Ausbreitung durch Feinstaubbelastung beschleunigt?
Eine neue Studie aus Italien lässt aufhorchen: Darin wird nicht zum ersten Mal ein Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und der Ausbreitung von Viren festgestellt. Könnte die hohe Feinstaubbelastung in Norditalien zur rasanten Ausbreitung des Coronavirus in der Region beigetragen haben?
Wien, 21. März 2020 / Wie die italienische Zeitschrift „La Repubblica“ berichtet, veröffentlichte „Sima“, die italienische Gesellschaft für Umweltmedizin zusammen mit den Universitäten Bari und Bologna eine Studie, die den Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und der Ausbreitung von Viren untersucht. Feinstaub schafft demnach ein Substrat, das dem Virus erlaubt, für längere Zeit in der Luft zu überleben und übertragen zu werden. Die Forscher haben die Daten aus den Messstationen der jeweiligen Umweltschutzbehörden untersucht und sich dabei jene Episoden angesehen, an welchen die gesetzlichen Grenzwerte in den italienischen Provinzen überschritten wurden (50 Mikrogramm / m3 durchschnittliche tägliche Konzentration). Parallel dazu wurden die Daten der Ansteckungsfälle der jeweiligen Regionen untersucht.
Das Ergebnis
Die Analyse ergab einen Zusammenhang zwischen den im Zeitraum zwischen dem 10. und 29. Februar festgestellten Überschreitungen der gesetzlichen Grenzwerte für Feinstaub-Konzentrationen und der Anzahl der mit COVID-19 infizierten Fälle, die bis zum 3. März gemeldet wurden. Dabei wurde eine zeitliche Verzögerung von ungefähr 14 Tagen berücksichtigt: Die durchschnittliche Inkubationszeit des Virus von der Infektion bis zur Feststellung der Erkrankung.
Der explosionsartige Anstieg von Ansteckungen in der Poebene
In der Poebene wurden zwei außergewöhnlich stark ansteigende Expansionskurven der Infektionen festgestellt. Dieser explosionsartige Anstieg von Infektionen fiel zusammen mit den höchsten Feinstaubkonzentrationen, die zwei Wochen zuvor verzeichnet wurden. Das Feinstaub-Vorkommen könne, so die Studie, einen Boost-Effekt auf die Verbreitung des Virus ausgeübt haben.
Leonardo Setti von der Universität Bologna sagt gegenüber „La Repubblica“:
„Die im Februar im Po-Tal festgestellten hohen Feinstaubkonzentrationen beschleunigten die Ausbreitung von Covid-19. Der Effekt ist am deutlichsten in den Provinzen zu erkennen, in denen die ersten Ausbrüche aufgetreten sind.”
Es könne also einen Zusammenhang zwischen Feinstaub und der Virusausbreitung geben:
„Der Feinstaub überträgt das Virus. Die Partikel fungieren als Träger. Je mehr Feinstaub es gibt, desto mehr Bahnen werden für Ansteckungen geschaffen. Deshalb ist es notwendig, die Emissionen zu minimieren, und auf günstige Wetterbedingungen zu hoffen “,
so Gianluigi de Gennaro von der Universität Bari.
Sicherheitsabstand womöglich nicht weit genug
So “haften” die Viren an den Feinstaubemissionen, die aus festen und / oder flüssigen Partikeln bestehen, und sind so in der Lage, Stunden, Tage oder Wochen in der Atmosphäre zu bleiben und über lange Strecken transportiert zu werden. Alessandro Miani, Präsident von Sima, erklärt:
“In Erwartung positiver Evidenz für diese in unserem Positionspapier vorgestellte Hypothese könnte die Feinstaubkonzentration auf jeden Fall als möglicher indirekter Indikator oder ‘Marker’ für die Virulenz der Epidemie von Covid-19 angesehen werden. Basierend auf den Ergebnissen der aktuellen Studie ist der derzeit als sicher eingestufte Sicherheitsabstand möglicherweise nicht ausreichend, vor allem wenn die Feinstaubkonzentration hoch ist. “
Daten zu anderen Infektionen
Der Zusammenhang zwischen Feinstaubkonzentration und der Ausbreitung von Viren wurde bereits vor Covid-19 untersucht. Zum Beispiel wurde 2010 festgestellt, dass die Vogelgrippe durch asiatische Staubstürme, die das Virus übertragen, über weite Strecken verbreitet werden kann. Die Forscher haben gezeigt, dass es einen exponentiellen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Infektionsfälle und der Feinstaubkonzentration gibt. Im Jahr 2016 wurde weiters ein Zusammenhang zwischen der Ausbreitung des humanen respiratorischen Syncytial-Virus (HRSV) und der Feinstaubkonzentration beobachtet. Dieses Virus verursacht bei Kindern eine Lungenentzündung und wird durch Feinstaub tief in die Lunge übertragen. In Lanzhou (China) wurde bereits dieses Jahr ein weiterer Zusammenhang zwischen Feinstaubkonzentration und Virusausbreitung festgestellt: Demnach gilt der Grad der Umweltverschmutzung bzw. Feinstaubkonzentration als Hauptfaktor für die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Masern-Virus.
Die Situation heute – ohne Verkehr
Angenommen, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Verschmutzungsgrad der Luft und der Ausbreitung des Virus – bedeutet der Shutdown dann die Lösung des Problems der raschen Ausbreitung?
“Der Verschmutzungsgrad ist sicherlich gesunken, aber der Fahrzeugverkehr macht nur etwa 22 Prozent der Gesamtverschmutzung aus. In der Poebene ist es schwierig, die Feinstaubkonzentration so schnell zu verringern: Auch ohne Verkehr und wenn die Industrie ihre Produktion zurückfährt. Das hängt mit den geografischen Gegebenheiten und Luftstagnation zusammen. Die Feinstaubbelastung sinkt daher nicht so plötzlich, es sei denn, es gibt starken Sturm”,
sagt Alessandro Miani gegenüber “La Repubblica”.
Die ESA veröffentlicht neue Daten des Copernicus Sentinel-5P Satelliten: Darauf ist der Rückgang der Luftverschmutzung, insbesondere der Stickstoffdioxid-Emissionen, über Norditalien sichtbar.
Feinstaubbelastung höher in Innenräumen
“In Innenräumen ist die Luftverschmutzung im Durchschnitt fünfmal höher als im Freien, und die Menschen verbringen heutzutage den größten Teil ihrer Zeit in geschlossenen Räumen”,
erklärt Miani. Er rät daher, man solle die Fenster mehrmals täglich für einige Minuten öffnen und Luftreiniger benutzen. Die hohe Feinstaubbelastung in Innenräumen könne ebenso ein Multiplikator für eine Infektion sein, insbesondere dann, wenn Infizierte – auch wenn sie asymptomatisch sind – sich im selben Raum aufhielten, so der Experte im Gespräch mit „la Repubblica“
Umweltschutzmaßnahmen sind nötig
Der Zusammenhang zwischen der Feinstaubkonzentration in der Luft und einer hohen Ausbreitung von Virusinfektionen wurde durch die Wissenschaft bereits mehrfacht beobachtet und festgestellt. Das Positionspapier der italienischen Experten und Wissenschaftler unterschiedlichster Fachdisziplinen richtet sich insbesondere an Entscheidungsträger: Darin werden restriktive Maßnahmen zur Eindämmung der Umweltverschmutzung gefordert.
(lb)
Titelbild: Screenshot ESA