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Das Ende des freien Internets? Datenschützer schlagen wegen Zadic-Gesetz Alarm

Datenschützer schlagen wegen Zadic-Gesetz Alarm

Erleben wir die letzten Monate von Facebook und Twitter, so wie wir es kennen? Die Datenschützer der NGO „epicenter.works“ schlagen aufgrund des Hass-im-Netz-Gesetzes Alarm. Jetzt könnte das türkis-blaue Netzgesetz kommen, nur vielleicht noch schlimmer. Drohen Uploadfilter, Netzsperren und das Ende der Anonymität im Netz?

 

Wien, 15. Oktober 2020 | Diese Woche endet die Begutachtungsfrist des türkis-grünen Gesetzespaketes zu Hass im Netz. Die Datenschützer von „epicenter.works“ schlagen Alarm. Nicht nur, dass eine großflächige Veränderung des Internets durch Uploadfilter und Netzsperren drohen könnte, aus dem Hass-im-Netz-Paket könnte noch etwas anderes werden: ein Überwachungspaket.

Überwachung

Nutzer, die sich beleidigt oder diffamiert wähnen, könnten auf Mittel zurückgreifen, die bisher nur Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen. Als Privatankläger könnte man Name, IP-Adresse, Adresse oder E-Mail-Adresse anfordern, sogar noch bevor Anklage gegen den möglichen Verleumder erhoben wurde. Und wenn es nicht zur Anklage kommt, hat die Person die Daten trotzdem.

Thomas Lohninger von „epicenter.works“ konkretisiert die Kritik am Gesetzespaket im Gespräch mit ZackZack:

„Auch wenn ich dem Gesetz nicht den guten Willen absprechen will, verorten wir bei diesem massive Rechtsschutzdefizite und Missbrauchspotenzial. Bisher konnten so eingriffsintensive Überwachungsmaßnahmen wie Inhaltsüberwachung und Handyortung nur von Strafverfolgungsbehörden eingesetzt werden, weil die einem speziellen Datenschutzregime unterliegen. Diese Möglichkeiten, jetzt Meinungsgegnern in die Hand zu legen, ist brandgefährlich.”

Das ohnehin bereits aufgeheizte politische Klima auf Facebook oder Twitter könnte dieses Gesetz eskalieren lassen, und zwar nicht im Netz, sondern im realen Leben. Werden sich Abtreibungsgegner und Abtreibungsbefürworter zukünftig gegenseitig zu Hause besuchen kommen?

Netzsperren und Uploadfilter?

Aber das Gesetz hat noch weitere Lücken: Anders als von Justizministerin Alma Zadic bisher verlautbart, scheinen auch Netzsperren zu drohen. Dann man könnte auch die Netzanbieter, etwa A1, zu „Unterlassungsaufforderungen“ auffordern. Dieser Einschätzung zu Netzsperren stimmt auch der Providerverband ISPA in seiner Stellungnahme zu. Damit könnten ganze Seiten vom Netz genommen werden, sollten Nutzer das aufgrund des Persönlichkeitsschutzes erwirken. „Die Bestimmung ist so breit, dass sie es grundsätzlich zulässt, dass bereits aufgrund eines illegalen Postings gleich ein ganzer Blog oder ein ganzes soziales Netzwerk gesperrt werden kann“, zeigt sich “epicenter.works” in ihrem gestern veröffentlichten Blogeintrag schockiert.

Auf Twitter gehen die Wogen hoch.

Auch Uploadfilter, die unter Türkis-Blau unter anderem den grünen Nationalratsabgeordneten Michel Reimon auf die Straße zum Protest brachten, wären laut Gesetz möglich. Die Umsetzung des Gesetzes würden aber wohl nur große Tech-Konzerne wie Google und Facebook umsetzen können. Filter-Algorithmen könnten vorab jedes Posting kontrollieren, um es auf Rechtswidrigkeit prüfen zu lassen. Google hat bereits Millionen in solche Technologien investiert, kleine Plattformen würden dem Gesetz weit schwieriger nachkommen können.

Dringender Verbesserungsbedarf

Auch Universitätsprofessor Oliver Rathkolb schlägt in seiner Stellungnahme Alarm. Durch den „postmortalen Persönlichkeitsschutz“ könnte „nicht nur die NS-Opferforschung massiv behindert (…), sondern auch die in Österreich ohnedies noch nicht sehr ausgeprägte NS-Täterforschung ein Ende finden.“

„Epicenter.Works“ fordert, dass die Stellen, die kritisiert werden, unbedingt zu reparieren sind. Von der grünen Klubchefin Sigi Maurer kam via Twitter aber Kritik am Alarm der Datenschützer. Der Artikel sei „reißerisch“ und enthalte „falsche Behauptungen“, konterte Sigi Maurer (Grüne) via Twitter.

Laut Maurer müsse das Gericht zuerst prüfen, ob ein Post strafbar wäre, damit Privatankläger an die Daten des potentiellen Verleumders dürfen.

„Erst im Hauptverfahren kann geklärt werden, ob eine Aussage illegal oder von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, weil sie zum Beispiel der Wahrheit entspricht. Vor diesem Hintergrund sehen wir nicht, dass das schon bei Beweisanträgen vor einem etwaigen Hauptverfahren möglich wäre. Alleine deshalb schon, weil sich der potentielle Täter noch gar nicht verteidigen kann und es vielleicht nie zu einer Anklage kommt“,

entgegnet Thomas Lohninger gegenüber ZackZack. Derzeit hagelt es Kritik seitens Grünen an seiner NGO, jedoch gehe es “epicenter.works” nur um die Qualität des Gesetzes und um die Sicherung der Grundrechte. „Nun ist es eben mal eine Kritik an den Grünen, wir müssen jede Regierung kontrollieren und die Debatte ist zivilisiert. “, so Lohninger.

Das Justizministerium stellte via „Standard“ erneut klar, dass „Netzsperren nicht beabsichtigt“ seien, Ergebnisse der Begutachtung analysiere man. Die Kritik von „epicenter.works“ hält das Zadic-Ministerium für “unbegründet und nicht nachvollziehbar”.

Eine ZackZack-Anfrage an Michel Reimon leitete dieser an den grünen Netzpolitksprecher Süleyman Zorba weiter – Reimon sei „nicht zuständig“. ZackZack erreichte Zorba mitten in der parlamentarischen Budgetdebatte, eine Stellungnahme wird nachgereicht. Das Büro von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler reagiert auf eine ZackZack-Anfrage bisher nicht.

Update 18:30 Uhr: „Das Gesetz ist in der Begutachtungsphase und es ist sehr gut, dass so viele Stellungnahmen eingebracht wurden. Auch die großen Player in diesem Feld haben Stellung genommen, darüber bin ich sehr froh. Wir werden alle Kritikpunkte berücksichtigen und an manchen Stellen wird das Gesetz bestimmt noch überarbeitet“, beruhigt Zorba gegenüber ZackZack.

(ot)

Titelbild: APA Picturedesk

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