Donnerstag, Oktober 3, 2024

Bargeld-Karl, Parkbank-Karl und der Kampf der Fahnen

Die ÖVP zieht in den Kulturkampf und weiß nur noch nicht, ob sie Nehammer oder Kurz ins Finale führen wird. Wenn die Grünen in den Kulturkampf einsteigen, erweisen sie der ÖVP einen letzten Dienst.

Karl Nehammer wird immer mehr zum Paradebeispiel, dass das Hirn ein Verdauungsapparat ist: Vorne kommt etwas hinein, wird zerkleinert und kommt hinten je nach Konsistenz als Vorschlag oder Idee wieder heraus. Aber wer tut da etwas vorne hinein? Und warum wird weiter gefüttert, obwohl mit Ausnahme des Gefütterten alle sehen, dass die Fladen in seiner Spur kaum mehr einen Weg zum Erfolg säumen?

Karl Mahrer ist scheinbar ein ähnlicher Fall. Wenn sich gerade wieder jemand als Sau selbst durch das Dorf treibt, weiß man derzeit nie, ob es Parkbank-Karl oder Bargeld-Karl ist. Aber Karl ist nicht Karl. Man sollte genauer hinsehen.

SNU-Karl

Mahrer und Nehammer wissen offensichtlich nicht so genau, was sie tun. Im Fall „Mahrer“ scheint die Erklärung einfach: Er tut das, was er politisch und geschäftlich für gewinnbringend hält. Das Ergebnis hat wenig mit seiner Absicht und viel mit seinem Talent zu tun.

Hinter Mahrer steht niemand. Hinter Nehammer steht der Propagandaapparat von Sebastian Kurz. Das Kürzel „SNU“ hat Gerald Fleischmann für den „strategisch notwendigen Unsinn“, der die Nebeltöpfe der ÖVP auf ihrem Weg zur Macht füllt, erfunden. Man kann natürlich annehmen, dass sich Fleischmann nur dem Niveau seiner neuen Chefs angepasst hat.

Wahrscheinlicher ist aber, dass der treue Kurz-Mann in Optionen denkt und handelt. Option 1 ist ein erfolgreicher Nehammer. Option 2 ist ein Nehammer, der seine Partei in die Verzweiflung treibt. Ist die groß genug, kommt der Ruf nach der Ballhausplatz-Partie. Dann schlägt die zweite Stunde von Fleischmann, Frischmann, Blümel, Köstinger, Steiner, Bonelli und Sebastian Kurz.

Letzte Chance „Kulturkampf“

Das sehen wir auf der Personalbühne der ÖVP. Dahinter geht es um Strategie und um den Umstieg von der politischen Auseinandersetzung in den Kulturkampf. Von „Inflation“, „Mietwucher“ und „Millionärssteuer“ bis „Klimaschutz“ und „Gleichberechtigung“ ist für die ÖVP bei den großen Themen nichts zu gewinnen. Die politische Zeit arbeitet gegen sie. Aber beim Gefühl, dass das „normale Leben“ nicht mehr so funktioniert wie früher und dass dafür radikale und laute Minderheiten verantwortlich sein müssen, ist etwas zu holen. „Normale“ Menschen sind keine transsexuellen Klimakleber, die die Balkanroute für den Haschischnachschub offenhalten wollen. „Normale“ Menschen sind normale Männer, die mit dem Auto in die Arbeit fahren, und normale Frauen, die zu Hause mit den Kindern auf den Mann warten.

Normale Menschen erfahren zwischen Regierungsinseraten, dass ihnen „Abnormale“ das Bargeld wegnehmen wollen. Dass ihr Bargeld immer weniger wird, weil sie und ihre Familien statt der Immobilien- und Zeitungsmillionäre die Steuern für die Bewältigung der vielen Krisen zahlen müssen, lesen sie nicht.

Schwarze FPÖ

Egal, wer sich jetzt an die Spitze der ÖVP klammert – eines steht fest: Im Kulturkampf will die ÖVP nur noch die schwarze FPÖ sein. Mit Nehammer läuft sie Gefahr, den Fixplatz im Finale gegen die SPÖ an Herbert Kickl zu verlieren. Mit Sebastian Kurz riskiert sie, einen Wahlkampf um die Regierungsbank auf der Anklagebank zu führen.

Je stärker im Hintergrund das Wasser Säulen von Benko bis Raiffeisen unterspült, desto wahrscheinlicher wird der rechtzeitige Tritt in Nehammers Hintern. Aber egal, wer dann plakatiert wird – das Ziel ist und bleibt die Machtübernahme durch den Rechtsblock und die Orbánisierung Österreichs. Vielleicht stellt der Dritte dann ein zweites Mal den Kanzler.

Grüner Kulturkampf

Wenn klar ist, dass es so läuft, müssten am anderen Ende der Regierungsbank die Grünen aufstehen und das letzte Ultimatum stellen: sofort alles für den Klimaschutz und gegen die Inflation, kein anti EU-Dreibund mit Orbán, keine Soldaten als Lehrer, raus aus der politischen Sackgasse. Aber kaum jemand beachtet, dass auch die grüne Spitze eine Entscheidung für Kulturkampf getroffen hat.

Die Rechnung scheint einfach. Wenn Kickl und Nehammer mit blauen und türkisen Fahnen in den Kulturkampf ziehen, schwenken Grüne auf der anderen Seite die Fahnen des Regenbogens. Viele haben sich gewundert, warum die Justizministerin mit einer neuen Unnachgiebigkeit ein Gesetz mit rein weiblichen Bezeichnungen durchdrückt. Die Antwort heißt „Bundeskongress“ und Neuwahl der grünen Spitze.

Alma Zadic weiß, dass an ihrer neuen Front für hunderttausende Frauen, die mit ihren Kindern in der Armutsfalle sitzen, nichts zu gewinnen ist. Aber diesen Kampf haben die Grünen in der Regierung nie geführt. In den großen sachlichen Auseinandersetzungen haben sie viele Schwänze eingezogen. Von Umwelt bis Justiz haben sie wenig erreicht. Also zeigen sie jetzt, wofür sie stehen, auch wenn es drei Jahre lang meist ein Herumstehen war.

Ein anderes Boot

Zadic weiß, dass im grünen Kulturkampf wenig schiefgehen kann. Nicht nur Frauen stellen zurecht fest, dass nach Jahrhunderten männlicher Herrschaft das Formenpendel auch einmal in die andere Richtung ausschlagen darf. Aber darum geht es nicht. Die Grünen könnten der politische Gegenpol zum Rechtsblock werden. Doch sie haben sich anders entschieden. Ihre Spitze will bis zum Schluss im ÖVP-Boot bleiben. Wenn es doch noch absäuft, kann man sich vielleicht in ein anderes Boot retten.

Vielleicht überlegen Grüne doch noch eines: Wenn es im Wahlkampf um die großen Sachthemen geht, hat eine Mehrheit jenseits der beiden freiheitlichen Parteien eine Chance. Wenn der Wahlkampf Kulturkampf ist, steht der Rechtsblock als Sieger fest. Der rechtzeitige Umstieg in einen Kampf um eine Mehrheit für Gutmenschen ist die große Entscheidung, die niemand den Grünen abnehmen kann. Wenn sie jetzt an ihren Sesseln kleben bleiben, haben die Schlechtmenschen vielleicht schon gewonnen.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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