Donnerstag, Oktober 3, 2024

Koalitionskrach um “ungesunde Werbung”: Kanzler-Vorlage wird Anschober untergejubelt

Kanzler-Vorlage wird Anschober untergejubelt

Ein Gesetzesentwurf aus dem Bundeskanzleramt sieht strengere Kontrollen von Werbung ungesunder Lebensmittel vor. Kritiker schießen sich aber vor allem auf das Gesundheitsministerium ein. Geht es nach einigen Unternehmen, sollen Kinder und Minderjährige auch weiterhin mit schädlicher Werbung konfrontiert werden können. Gesundheitsexperten warnen.

Wien, 13. November 2020 | Soll Fernsehwerbung für Kinder in Zukunft keine ungesunden Lebensmittel mehr enthalten dürfen? Darüber zeigen sich Vertreter aus den entsprechenden Branchen sowie der “Kurier” empört – und greifen das Gesundheitsministerium an.

Der tatsächliche Hintergrund: am 04. September 2020 veröffentlichte das Bundeskanzleramt, nicht das Gesundheitsministerium, einen Gesetzesentwurf, in dem es heißt, dass zukünftig „unangebrachte Inhalte“, besonders ungesunde Lebensmittel, „vor, in und nach Kindersendungen“ nicht mehr gezeigt werden sollen. Heftig debattiert wird dabei besonders, was genau ungesunde Lebensmittel sind. Denn noch ist unklar, wer darüber entscheidet, welche Lebensmittel so ungesund sind, dass sie nicht mehr in Kinderwerbungen gezeigt werden sollen.

Selbstkontrolle vs. Strafe

Bisher war es in Österreich so, dass die Werbetreibenden selbst festlegen, welche Werbungen für Kinder und Minderjährige nicht gezeigt werden dürfen. Werbefirmen und die Lebensmittelindustrie, die sich mit schädlicher Nahrung ein goldenes Näschen verdienen, fürchten jetzt, dass staatliche Regulierung bald ein Wörtchen mitzureden hat.

Besondere Angst hat man offenbar vor Rudolf Anschobers (Grüne) Gesundheitsministerium, obwohl das Gesetz aus dem türkisen Bundeskanzleramt kommt.

ÖVP-freundliche Kanäle eilen zu Hilfe

Die Reaktion ÖVP-freundlicher Kanäle ließ nicht lange auf sich warten. Der “Kurier” berichtete, wie groß die Sorge von Werbe- und Lebensmittelunternehmen sei, eventuell bald nicht mehr selbst darüber entscheiden zu können, welche ungesunden Lebensmittel man rund um Kindersendungen bewirbt. Wenig überraschend kommen im entsprechenden “Kurier”-Artikel nur Stimmen aus den betroffenen Branchen zu Wort. So heißt es: „Derzeit regulieren sich Lebensmittel-, Werbe- und Medienbranche selbst – was sie auch weiterhin tun wollen. ‘Das hat auch bisher gut funktioniert’“, zitiert der “Kurier” den Geschäftsführer mehrerer Branchenmedien.

Verblüffend sind auch die Stellungnahmen der Wirtschaftskammer und des österreichischen Werberats, beide stets auf der Seite großer Unternehmen. Denn sie unterscheiden sich in wesentlichen Punkten überhaupt nicht voneinander. Wer von wem abgeschrieben hat, bleibt unklar.

Viel zu wenig Kontrolle

Nach Meinung von Gesundheitsexpertinnen funktioniert die Selbstkontrolle ganz und gar nicht. Übergewichtige Kinder nehmen jedes Jahr zu – nicht nur auf der Waage, sondern auch an der Zahl. „Leider gibt es bis dato in der digitalen Vermarktung nur wenig oder keine wirksame Regulierung und kaum Kontrollen“, so Eva Winzer von der MedUni Wien. Experten zufolge kann nur eine unabhängige Stelle entscheiden, welche Nahrung ungesund ist und welche Werbung Kindern gezeigt werden darf.

Laut Gesundheitsministerium wolle man Werbung ungesunder Lebensmittel keinesfalls, wie beispielsweise vom Werberat fälschlich unterstellt, allgemein verbieten. Sie soll aber rund um Kinderprogramme reduziert oder verboten werden, wie ein Anschober-Sprecher ZackZack gegenüber betont.

Gesunde Kinder oder reiche Unternehmer?

Für den “Kurier”, und auch die Werbe- und Lebensmittelbranchen scheint klar zu sein: Kindergesundheit ist im Zweifel weniger wichtig als die fetthaltigen Gewinne einiger Unternehmen. Frei nach dem Motto: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Dass es dem übergewichtigen Kind gut tut, wenn es nach seiner Kindersendung von McDonald’s und Nestlé bestrahlt wird, darf bezweifelt werden.

(dp)

Titelbild: APA Picturedesk

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