Sonntag, April 28, 2024

Not a Bot – Die Legende von der Dienstreise

Not a Bot

Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!

Daniel Wisser

Wien, 02. Jänner 2020 |

Vor zwei Jahren bewohnte ich bei einem Schreibaufenthalt in Schweden ein Haus mit einem Kollegen aus einem südostasiatischen Land. Wir hatten jeder ein Stockwerk, benutzten aber gemeinsam eine Küche. Bald sah ich, dass man meinem Kollegen T. nicht gezeigt hatte, dass in Schweden Müll (sehr akribisch) getrennt wird. Er warf einfach alles in einen Sack. Also zeigte ich ihm, wie man den Müll getrennt haben wollte. Schon am Tag darauf hielt er sich vorbildlich daran.

Einen weiteren Tag später fand ich allerdings wieder Glas, Biomüll, Plastik, Metall und Restmüll zusammen in einem Sack vor der Tür. Ich klopfte bei T. an und sagte, ich habe ihm doch die Mülltrennung erklärt. Er sah mich entsetzt an und sagte: »Oh, today again?«

Es gibt keinen Lockdown in Österreich

Diese Anekdote sollte nicht ausländerfeindlich verstanden werden, sondern vielmehr inländerfeindlich. Sie erinnert mich nämlich an das Verhalten der Österreicher*innen im sogenannten Lockdown. Sogenannt, denn: ES GIBT KEINEN LOCKDOWN IN ÖSTERREICH. Die Österreicher*innen sind Weltmeister darin, sich selbst zu belügen.

Am 26. Dezember machte ich den Fehler, bei einem Spaziergang an der Donau zum Leopoldsberg abzubiegen und weiter zum Kahlenberg zu gehen. Dort waren Menschenmassen unterwegs. Aber nicht nur das: Menschen (zum Teil ohne Masken) stiegen in überfüllte Busse. Stände mit Maroni und Braterdäpfel waren geöffnet. Trauben von acht, zehn, zwölf Menschen gingen ohne genügend Abstand und Maske nebeneinander.

Hotels in Skiorten sind offen

Was viel schlimmer ist als das Verhalten einzelner Personen, ist nun der Rahmen, innerhalb dessen alle CoV-Regelungen umgangen werden können. Nicht nur gibt es Gedränge an den Skiliften, sondern die Hotels in den Skigebieten sind geöffnet. Nein, noch schlimmer: Sie sind zum Teil ausgebucht.

Gegen Vorlage eines formlosen Schriftstücks, man sei beruflich in der Gegend, kann man in Skiorten in Hotels übernachten. Auch bei der privaten Zimmervermietung wird nicht kontrolliert, sondern weggeschaut. Gilt das in allen Bereichen? Nein. Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich an Vorgaben halten. Besonders die Kulturveranstalter und Gastronomiebetriebe, die sich nicht nur zwischen den Lockdowns sklavisch an die Vorgaben gehalten haben, sondern nun auch geschlossen sind, müssen sich nun fragen, warum sie nicht auch gegen Vorlage eines formlosen Schreibens Gäste empfangen und Veranstaltungen durchführen?

Zweierlei Maß

In Österreich wird mit zweierlei Maß gemessen. Und solange die Regierung hier nicht für Gleichheit und Transparenz sorgt, sind die Phrasen vom Zusammenhalt und vom Miteinander reine Provokationen. Die österreichische Regierung hat es schon im ersten Lockdown im Frühjahr verabsäumt, allgemeine Rahmenbedingungen zu schaffen, die im Krisenfall jederzeit wieder angewandt werden können. Mit dem jetzigen sogenannten harten Lockdown hat sie aber dafür gesorgt, dass die Menschen die Regelungen nie wieder ernst nehmen werden.

Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die nun ohne Rücksicht ihre Geschäfte machen, weil sie niemand daran hindert. Wo kein Kläger, da kein Richter, lautet das alte Sprichwort. Ob Mafia, Camorra, Yakuza — wo auch immer die staatliche Regulierung zusammengebrochen ist, nach Kriegen oder Katastrophen, wurden Märkte und Handel am darauffolgenden Tag vom organisierten Verbrechen beherrscht. Von der Regierung kommt dazu kein Kommentar. Geschweige denn irgendeine Form des Handelns. Die Regierung ist offensichtlich nicht zuständig.

Helden ohne Zuständigkeit

Im FALTER lese ich, Gesundheitsminister Rudolf Anschober sei ein Held. Das ist das erste Mal, dass der FALTER mit Michael Jeannée übereinstimmt, der denselben Satz schon vor Monaten geschrieben hat. Was die Impfungen betrifft, bekräftigte Anschober vor Kurzem der Presse gegenüber, man setze dabei auf dezentrale Strukturen. Das ist wohl ein Euphemismus für das gute alte Wir sind nicht zuständig. Tatsache ist: Wien hat einen genauen Impfplan, der Bund nicht (Ein Plan wurde erst für Mitte Jänner in Aussicht gestellt).

Es ist ein seltsames Heldentum, das hier gefeiert wird. Vor einem halben Jahr wurden noch die Arbeitskräfte beklatscht, die unsere Versorgung sicherstellen. Inzwischen ist der Applaus verhallt. Man wird fast nostalgisch, wenn man daran denkt, dass man noch vor Kurzem dafür bestraft wurde, auf einer Parkbank ein Buch zu lesen, weil ja jemand zu knapp an einem vorbeigehen konnte. Oder dass der Innenminister Menschen auf der Straße, die eine Bierdose in der Hand halten, bestrafen lassen wollte. Das ist sowas von Erster Lockdown!

Keine Einsicht

Die mangelnde Einsicht seitens der Unternehmer im Wintertourismus und das Messen mit zweierlei Maß in der Presse und der Bevölkerung haben verheerende Auswirkungen. Konsumentenschützer und Anwälte, die Geschädigten helfen, werden heute als Querulanten bezeichnet, während ein wegen Untreue gerichtlich verurteilter Finanzminister landauf, landab verkündet, wie ungerecht es ist, dass Gesetzesbruch in Österreich bestraft wird. Klassenjustiz bedeutet, dass kleine Vergehen harsch bestraft werden, große aber mit geringen Strafen oder gar nicht.

Die Tourismusunternehmer wissen das. Sie haben nicht nur keine Angst, sie genieren sich auch nicht, in Interviews klarzumachen, dass sie es sind, die die Politiker lenken und nicht umgekehrt. Damit haben sie es geschafft, sich im Jahr 2020 durch eine negative Image-Kampagne selbst ins Out zu stellen und Österreich zur Lachnummer zu machen. Krisen kann man nutzen. Zuallererst aber braucht es Einsicht. Der Glykolskandal von 1985 war ein Auslöser dafür, dass wir heute scharfe Weingesetze haben und sich österreichischer Wein weltweit einen Namen machen konnte. Ähnliches könnte auch im Wintertourismus passieren. Könnte.

Der Kommentar spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Mehr vom Autor finden Sie hier.

Titelbild: APA Picturedesk

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