Der Untergang der Subkulturen verstärkt Rechtsruck und Intoleranz.
Wien | Die Generationen X, Y und Z liegen hinter uns, das Alphabet ist aufgebraucht. Die Subkulturen wurden entweder aufgegeben oder kommerzialisiert – womit sie keine Subkulturen mehr sind. Heute rächt es sich, dass die Gesellschaft keine konsequenten Widerstandszellen hat, die den demokratischen Diskurs beleben. Subkulturen müssen sich notwendigerweise gegen gesellschaftliche Entwicklungen wenden – und dabei auch gegen die Gesellschaft auftreten.
Das haben heute rechte Gruppierungen übernommen, die unter dem Deckmantel der Rechtschaffenheit Menschen bedrohen, verletzen und töten. Sie schrecken nicht davor zurück öffentliche Einrichtungen – wie das Kapitol – zu überfallen.
Kampf gegen gesellschaftliches Unrecht
Die Öko-AktivistInnen, die heute auftreten und mit rührender Gewaltlosigkeit den Straßenverkehr für kurze Zeit blockieren, will der österreichische Innenminister zu Verfassungsgegnern machen. Gerade der Mann, der der Ziehsohn eines strafrechtlich verurteilten Politikers ist, stellt sich moralisch über eine Gruppe, die uns klarmacht, was der Autoverkehr anrichtet: er verpestet unsere Luft, er belästigt uns mit Lärm, raubt uns den Platz, verletzt Menschen und tötet Menschen.
Die mangelnde Toleranz dieser Bewegung gegenüber ist ein Kalkül, hinter dem eine antidemokratische Haltung steht. Es hat lange gedauert, bis Homosexualität in Österreich keine Straftat mehr war – bis ins Jahr 1971. Keine Partei, die im Parlament vertreten ist, würde fordern, sie heute wieder unter Strafe zu stellen. Wie aber hätten AktivistInnen für die Legalisierung von Homosexualität öffentlich agieren sollen, als sich vor 1971 dazu zu bekennen?
Aktivismus gegen Gesetze, die als gesellschaftliches Unrecht empfunden werden, kann nicht völlig mit dem Gesetz in Einklang stehen, das ist sonnenklar. Sonst gäbe es heute kein allgemeines Wahlrecht und eigentlich alle Errungenschaften der Demokratie nicht.
Was den Straßenverkehr blockiert, ist der Straßenverkehr selbst
Es ist also notwendig, dass eine Anfang vielleicht kleine Gruppe mit Aktivismus gegen bestehendes Recht kämpft. Wird ihre Sache später allgemeiner Konsens, so gilt die Gruppe als Vorreiter, als Avantgarde. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir von AktivistInnen Rechtschaffenheit fordern, wie wir sie von denen, gegen die sie sich richtet, nicht fordern. Was den Straßenverkehr blockiert, ist der Straßenverkehr selbst. Es ist die sinnlose und überbordende Verwendung des Pkw – der heute zu einem Lastwagen geworden ist, mehr Treibstoff verbraucht und mehr Lärm macht, als je zuvor, der zehn bis fünfzehn Prozent für den Wahnsinn einer Klimaanlage verbrennt –, die das Autofahren zur Hölle macht.
Und es sieht so aus, als müssten wir uns heute von einer Partei verabschieden, die uns einst als jene Kraft erschien, die eine korrektive Entwicklung des Verkehrswahnsinns politisch in Gang bringen könnte: die Grünen. Leider ist es nicht so gekommen. Die Grünparteien in Westeuropa haben es verabsäumt, zwei wesentliche Voraussetzungen für die Einlösung ihrer Programmatik zur conditio sine qua non zu machen: Antikapitalismus und gerechte Umverteilung.
Der Anti-Marxismus: eine Gefahr für die Demokratie
Mich ärgern Klima-AktivistInnen auch, wenn sie idiotische Dinge tun, wie Suppe auf ein Van-Gogh-Gemälde zu schütten. Was aber ihr wirkliches Problem ist, ist ihre mangelnde ideologische Klarheit. Wenn ich heute schon höre, dass eine Politikerin oder ein Politiker sagt, die Begriffe links und rechts würde ihr oder ihm nichts mehr bedeuten, dann blicke ich der Orientierungslosigkeit ins Auge. Natürlich kann man links und rechts durch andere Begriffe ersetzen; doch damit ist nichts verändert. Dass es aber progressive Politik gibt, die gesellschaftliche Entwicklungen im Sinne einer Vergemeinschaftung von Besitz und Macht fördert, und konservative, die auf eine immer größere Konzentration von Besitz und Macht drängt, kann niemand bestreiten.
Und so kann man heute den Marxismus, eine philosophische Richtung, die aus dem Hegelianismus kommt, verunglimpfen und – wie einst Hitler, der in Mein Kampf mit nervtötender Frequenz »Marxismus und Judentum« als die größten Gefahren der Menschheit anführt – das Wort Marxist zum Schimpfwort machen. Man muss sich aber im Klaren sein, was man damit tut: Man richtet sich gegen die Demokratie.
Wir brauchen sie wieder
Das Alphabet ist aufgebraucht. Aber es ist unübersehbar: Wir brauchen Subkulturen, die der Gesellschaft unbequem sind. Gruppierungen, die Dinge negieren oder zerstören, die die Wohlstandsgesellschaft für Errungenschaften hält. Ich traue dem Klima-Aktivismus zu, eine einflussreiche Subkultur zu werden. Schließlich geht es um nicht mehr und nicht weniger, als den menschlichen Lebensraum zu erhalten.
Titelbild: Miriam Mone / ZackZack