Samstag, April 27, 2024

Die Legende vom heiligen Alkolenker

Angesichts des Todes ist Pietät zu wahren, heißt es. Das sollte für alle Menschen gelten – auch für Christian Pilnacek. Der Erste, der sich daran nicht gehalten hat, heißt Sebastian Kurz.

Es gibt Dinge, die sich nur Reiche leisten können. Reich-Sein heißt nicht immer viel Geld zu haben. Es kann auch bedeuten, dass über einen gemutmaßt, berichtet und geschrieben wird. Es bedeutet auch, dass man die Tatsachen, die über eine/n Reichen bekannt sind, umformulieren, schönfärben, umdrehen kann und darf.

Man stelle sich vor, ein Geflüchteter, der in Österreich Asyl beantragt hat, würde von der Polizei in alkoholisiertem Zustand als Geisterfahrer angehalten und man entzöge ihm daraufhin seinen Führerschein. Ich überlasse es der Fantasie der Lesenden, was die Boulevardpresse darüber schreiben würde. Ich überlasse es der Fantasie der Lesenden, was in den Postings unter dem Artikel stehen würde. Man stelle sich vor, der Geflüchtete würde kurz nach seinem Führerscheinentzug sterben. Würden Presse und Öffentlichkeit die Pietät des Toten wahren?

Nicht aufregend genug

Täglich sterben Tausende Menschen, die nicht sterben müssten. In sinnlosen Kriegen werden sie hingemetzelt, weil sich der wohlhabende Teil der Welt nicht für die Opfer dieser Kriege interessiert, sondern nur für das Geld, das er mit den Waffenlieferungen an die Kriegsführenden verdient. Unter vermeidbaren Zuständen verlieren sie ihr Leben, weil sich der wohlhabende Teil der Welt nicht für Hunger- und Dürrekatastrophen interessiert. Die Presse berichtet, wenn überhaupt spärlich darüber, denn ein seit Jahren tobender Krieg mit tausenden Toten ist nicht aufregend genug für unsere Timeline.

Auch in Österreich sterben Menschen, die nicht sterben müssten: Kinder und Radfahrer/innen, die von Lkw oder Pkw getötet werden; Soldaten des sinnlosen österreichischen Bundesheers bei dilettantischen Übungen dieses sinnlosen Bundesheers wie zum Beispiel am 16. Oktober 2023 ein vierundzwanzigjähriger Soldat auf dem Truppenübungsplatz in Allentsteig bei einem Panzerunfall; oder bei Hundeattacken wie unlängst in Bruck an der Leitha oder in Sebern.

Legendenbildung

Sie alle sind doppelt arm. Denn erstens ist ihr Tod sinnlos, weil vermeidbar. Und zweitens spielt ihr Tod keine Rolle. Es gibt kein Umdenken in der Verkehrspolitik, wenn es wieder einen Verkehrstoten gibt. Es gibt kein Umdenken beim Bundesheer, wenn ein junger Soldat stirbt. Es gibt kein Umdenken bei der Kontrolle von Besitzern lebensgefährlicher Hunde. Pietät sollte vielleicht auch bedeuten, dass man angesichts des sinnlosen Todes eines Menschen überlegt, wie ein so sinnloser Tod in Zukunft vermieden werden könnte. Diese Überlegungen sind aber nicht wichtig genug für ständig wahlkämpfende Politiker/innen.

Der reiche Mensch aber, wenn er gar zu Lebzeiten zu den Rechtspopulisten, den Lieblingen des Boulevard, gehört hat, kommt nach seinem Tod nicht aus den Schlagzeilen. Hier erfordert es eine offensichtlich andere Pietät, täglich über den reichen Toten zu berichten. Sein Tod wird – egal, was er auch getan haben mag – sofort zur Legende. Wir erinnern uns an Jörg Haider: Der Alkolenker wird heiliggesprochen. Nicht nur das: Die Umstände seines Todes führen zu sofortiger Legendenbildung. Die Legendenbildung führt zur Umdeutung: Man berichtet über seine Verfolgung und letztlich Tötung durch andere.

Sebastian Kurz geht es um Sebastian Kurz

Nun haben wir in Österreich einen neuen Fall: Christian Pilnacek. Die Pietät, die man angesichts des Todes wahren soll, wurde allseits gewahrt. Nur ein Mann hat sie bereits am Tag der Auffindung von Pilnaceks Leiche gebrochen: Sebastian Kurz. Ob Pilnacek ein herausragender Jurist war, sollen Experten der Rechtswissenschaften entscheiden. Sebastian Kurz ist kein Experte der Rechtswissenschaften.

Dazu kommt, dass auch ein herausragender Jurist nicht davor gefeit ist, Unrecht zu begehen. Pilnacek hat seine Verachtung für den VfGH zum Ausdruck gebracht (sich später aber dafür entschuldigt), ihm wurde eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung zur Last gelegt, er hat nachweislich Akten und Informationen an eine Journalistin weitergegeben und er wurde suspendiert. Was davon im Boulevard übrigbleibt, ist eine »Fehde mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft« (heute). Ich möchte einmal über einen Flüchtling in Österreich, der auf dem Brunnenmarkt einen Apfel stiehlt und dabei von der Polizei aufgegriffen wird, lesen, dass er eine »Fehde mit der Behörde« hatte.

In der Vernehmung des Angeklagten Sebastian Kurz, erwähnte dieser den kürzlich verstorbenen Pilnacek. Dabei ging es allerdings nicht um Pietät und nicht um Pilnacek. Sebastian Kurz ging es um Sebastian Kurz. Kurz trug zur Legendenbildung bei und erklärte über Pilnacek, er [Kurz] wisse »wie mit ihm [Pilnacek] umgegangen wurde« und »was das mit ihm gemacht hat«. Damit diskreditierte Kurz einmal mehr die Justiz, die seiner Meinung nach auch ihn »verfolgt«. Vorsätzlich werden hier tatsächliche Verhältnisse umgekehrt: Der von der Polizei zurecht angehaltene Pilnacek, wurde »verfolgt«, so wie Kurz nach eigener Ansicht nicht rechtmäßig angeklagt ist, sondern »verfolgt« wird.

Die angeklagte Justiz

Darauf folgte eine viel seltsamere Offenbarung: Kurz erklärte vor dem Richter, noch am Vorabend mit dem verstorbenen Pilnacek telefoniert zu haben. Wozu ein Ex-Ex-Kanzler mit einem suspendierten Sektionschef telefoniert, ist fraglich. Doch geht es uns überhaupt etwas an, dass die beiden telefoniert haben? Nein, es geht niemanden etwas an. Warum wird es dann just von Kurz selbst freimütig ausposaunt?

Es ist die alte Fleischmann-Taktik der Flucht nach vorne. Damit lenkt Kurz vom Gegenstand des Verfahrens ab. Kurz dreht die Tatsachen um: Für ihn ist die Justiz angeklagt – angeklagt von ihm und seinen Gefolgsleuten (inkl. Pilnacek), die sich gegen »rote Netzwerke« verteidigen müssen. Es klingt wie ein Fall für die Psychopathologie – und das ist es ja vielleicht auch.

Die Boulevardpresse liefert

Jedenfalls aber ist es ein Problem der Demokratie. Denn so bedeutungslos Kurz heute als Person in der Politik sein mag, er ist ein Feind der Demokratie und ihrer Gewaltenteilung, ein Feind des Parlamentarismus, ein Feind der freien Gerichtsbarkeit. Und so spielt er bei jeder Vernehmung der Boulevardpresse – der einzigen Gewalt, die er neben sich duldet, solange er sie sich mit Geldflüssen gefügig halten kann (denn die »können auch anders«) – den Ball zu. Und die Boulevardpresse liefert jedes Mal prompt.

Es gibt Dinge, die sich nur Reiche leisten können. Sebastian Kurz ist reich. Christian Pilnacek war reich. Der Luxus, in dem sie leben oder lebten, gestattet es, dass die Darstellung ihrer Person und ihrer Taten durch Euphemismen, Verdrehungen, Verkehrungen und Lügen zurechtgebogen werden.

Titelbild: Miriam Moné

Daniel Wisser
Daniel Wisser
Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.
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35 Kommentare

  1. Spezialmedien arbeiten bereits hart vor an einer Selbstmordtheorie?
    Für mich zumindest wirkt das wie eine große Mafiaorganisation, oder wie man so schön in Österreich zu sagen pflegt, das System?

  2. Mir war er stets verdächtig, dieser Herr Pilnacek. Wie er stets in der ZiB 2 hofiert wurde, wenn es um irgendwelche Strafverfahren ging, zum Kotzen. Ich war nicht beleidigt, als Kogler die Babypause von Alma dazu nutzte, diesen Menschen von der Macht zu trennen. Man hört, dass er sich langsam an die Macht zurückkämpfte, in diesem Sinne ist die schicksalshafte Wendung sozusagen gerade rechtzeitig erfolgt. (Leider bin auch ich pietätlos). Das Telefonat des davongejagten Coronakanzlers Kurz just am Vorabend des Geschehens ist jedoch hochverdächtig. Vielleicht sollte man einmal mit jenem Polizisten reden, der angeblich den betrunkenen Pilnacek angehalten und ihm den Autoschlüssel weggenommen hat – gibt es den überhaupt?

    • @Schoenebner
      Pietätlos? Gerade das macht Schwürkise und Brüne aus. Der von Ihnen besagte richtige Zeitpunkt würde ich nicht einmal jemandem von den Brünen wünschen. Glaube Pilnacek ist nun quit und hat seine Buße getan würde ich meinen.

  3. Danke für diesen Artikel!
    Ich vermisse in anderen Medien diese Qualität und tieferen Auseinandersetzung wie bei uns stets mit zweierlei Maß gemessen wird.

    • Ja, das sehe ich auch so.
      Wenn dieser Artike hier nicht erschienen wäre, dann müssten wir wohl wie damals auch so im Fall Aliyev noch weitere Wochen warten, bis wir wieder etwas dazu gehört hätten?

  4. IIch habe mich einige Zeit mit dem ‘Thema beschäftigt und viel darüber gelesen. Wenn das alles stimmt war der Top Jurist ein
    Machtmensch aller erster Sorte. Ein Staatsanwalt wurde von ihm degradiert weil wer sich weigerte seine Anweisungen für einen Prozess zu akzeptieren. Er landete in einem Bezirksgericht im Archiv. Eine Kllage des Betroffenen hat die Sache wieder hergestellt. Wie die Presse mit ihm umgegangen ist fand ich absolut grenzwertig. Verrat von Amtsgeheimnissen, Machtmissbrauch bla bla bla. Jetzt ist das Opfer von wem auch immer tot. Der lKurz soll sich doch bitte um seine Sachen kümmern. Er ist nicht mehr der BASTI BOMPASTI aber irgendwie kommt der aus der Sache raus.

    • Ja, und vor allem gibt es hier zahlreiche Opfer aus dessen Handlungen, welche bisher komplett auch von den Medien totgeschwiegen wurden.
      Ich kenne nur beispielsweiese unfassaber Abhandlungen von seinen politischen Weisungen mit schweren zum Teil unfassbaren Grund- und Menschenrechtsverletzungen, welche von den angeblichem Qualitätsmedien sogar vorsätzlich unterdrückt wurden, obwohl die Öffentlichkeit ein zwingendes Recht gehabt hätte davon zu erfahren…

        • Leider aber nicht die hierfür zuständigen Behörden in diesem Land bis hinein zu Amnesty International, wo der dortige Chef auch noch der Anwalt vom ehemaligen Justizminister Brandstetter ist…

          Auch das Totschweigen dieser Institionen von solchen Skandalen, bis hinein zu Reporter ohne Grenzen und vielen weiteren solcher zwischenzeitlich dubios wirkenden NGO´s mehr, gehört offentlich auch zu dieser noch immer so hochgejubelten Justizreform?

  5. Wo gibt es in diesem Lande noch Journalisten, die ein grob politisches Fehlverhalten auf die nackte Realität herunterbrechen und dazu auch die Hintergründe zu dem Verhalten dieser machtgeilen Hinterhof-Schnösel schonungslos aufzeigen?

    Danke Zackzack für eure Arbeit.

    Aber die leicht steuerbaren Österreicher begreifen einfach nichts und unterstützen mit ihren Kauf die fett gesponserten Falschmeldungs-“Huren der Reichen”. Damit sie ganz sicher nicht erfahren, wie sehr sie von diesen hochgeschrieben Galionsfiguren hintergangen werden.

    • Wo sind die recherchierenden Journalisten, welche nur die Zeit vor der Polizeianhaltung endlich vollständige und schonungslos aufdecken?
      Auch zur Fundstelle seiner Leiche gibt es schon drei verschiedene Varianten und hat das mit Sicherheit nichts mit dem offenen Gutachen zur Todesursache etwas zu tun?
      Allein, dass das bisher nichts zu diesen auf der Hand liegenden Aufklärungsfakten passierte, öffnet doch schon die Türen zu Verschwörungen?
      Aber vielleicht stehen hier schon einige wieder ganz schwer in der Enge?

  6. “… Es klingt wie ein Fall für die Psychopathologie – und das ist es ja vielleicht auch….”

    Wie wahr!

  7. Das Bundesheer per se ist nicht sinnlos, ansonsten guter Artikel. Ob es üblich ist, dass ein Angeklagter einen Tag vor seinem Prozess mit dem höchsten Beamten des Justizministeriums Kontakt aufnehmen darf, hat die Justizministerin bislang nicht beantwortet. Gibt sicher einige Angeklagte, auch kleinere Fische, die dieses Option für sich nützen möchten…

  8. Wisser hat recht.

    Die wahre Katastrophe in diesem Land sind nicht ausnahmslos die Kurz-geschriebenen (hirarchisch) abwärts. Das ungebildete, “parteiakademisch” ideologisch gebrainwashte Gesox in proaktiv systemfeindlicher Zivilverweigerung – bezahlt von eben dieser verachteten Zivilgesellschaft… Die wahre Katastrophe in unserem Land ist der breitflächig korrumpierte Medien-Boulevard, ohne den diese mMn zunehmend radikaler intendierten Unverfrorenheiten in überbordend politischer PR gar nicht möglich wären. Die benamten Katastrophen Dichant, Platterer, Salomon, Thalhammer, Asamer, Dickstein, Koller, Russ & Co., die mit zielgerichtet tendenziöser Propaganda, faktenverdrehtem Populismus die gesellschaftliche Atmosphäre beliebig vergiften, radikalisieren und manipulieren kann, jeweils nach aktueller Interessenslage den Istzustand katastrophaler Zusammenhänge und Hintergründe beliebig falschschreiben darf, die Öffentlichkeit – von dieser wiederum selbst bezahlt – fokussiert gesteuert täglich anlügt. Die demokratiepolitische Katastrophe, dass sich eine Minderheit konservativer Reaktionäre von einer Hand voll dynastisch neoliberaler Hochfinanz- und IV-WKO-BB-Wirtschaftskapitänen ausgesteuert eine täglich meinungspopulistische Mehrheit im Land leisten darf, und in diesem Machtzenit damit (sonderbarer Weise) Alles und Jeden konzertiert gegen sich selbst stellen darf – inklusive Verfassung und Justiz – um sich an der gängelnden Macht zu halten.

    Das ist der wahre Skandal abseits täglichem SNU, um vom Kernthema eines offenbarten intendierten Systemwechsels gnadenlos abzulenken…

  9. Ja, und zudem wollte Kurz dem Richter eine Angst einjagen….mit seinem seltsamen Sager über Pilnacek. Mafia-Style eben…

  10. i mag ned schon wieder übern kurz schreiben.

    ich möcht den endlich los sein.
    der pickt an der öffentlichen diskussion wie die sprichwörtliche scheisse an den schuhen, wenn ma in einen hundehaufen steigt.

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