Im aktuellen Spionage-Skandal dürfte der „Fall Weiss“ den „Fall Ott“ in den Schatten stellen: Der einst mächtige BVT-Abteilungsleiter setzte sich aus Österreich ab – vor den Augen der Behörden.
Als Martin Weiss im Oktober 2018 vor dem BVT-U-Ausschuss erschien, brachte er insgeheim eine gewaltige Portion Dreistigkeit mit. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier untersuchten damals die Umstände und Ursachen der BVT-Razzia vom Februar 2018 – unter Innenminister Kickl wurde das Amt bekanntlich ein halbes Jahr zuvor auf brachiale Weise gefilzt, sicherheitspolitisch wurde die Aktion zum Desaster.
Der Ex-Abteilungsleiter Weiss war einer der Belastungszeugen für das Vorgehen und erklärte im Ausschuss ausführlich, was im BVT angeblich alles falsch lief. Ein wesentlicher Punkt: Der schlampige bis illegale Umgang mit Daten: „Wenn wir Daten haben, die wir nicht haben dürfen, ist das ein strafrechtlicher Tatbestand. Aber wir haben dann sofort versucht, vor allem, was meine Abteilung anbelangt, den gesetzmäßigen Zustand wieder herzustellen“, erzählte er über seine Wahrnehmungen zum Thema „Datenproblem“ beim BVT.
Eine Aussage, die aus heutiger Sicht wie blanker Hohn klingt. Mittlerweile steht nämlich fest, dass Weiss die Zustände und Schwachstellen der Behörde selbst aktiv ausnutzte und Daten für sich und seinen Freund Jan Marsalek anzapfte – der sie mutmaßlich an den russischen Geheimdienst FSB weitergab. Als Weiss im Oktober 2018 vor den Parlamentariern saß, verschwieg er, dass er erst wenige Monate zuvor – im Sommer 2018 – mit einer Liste von 25 Namen an seinen früheren Mitarbeiter Egisto Ott herantrat und diese illegal und für eigene Zwecke durch die polizeiinternen Datenbanken jagen ließ.
Im Jahr 2019 wollte der U-Ausschuss den Abteilungsleiter dann noch einmal befragen – doch dieser blieb dem Gremium fern. „Aus gesundheitlichen Gründen“, hieß es. Bei Weiss hat das System: Immer dann, wenn es in den letzten Jahren unangenehm für ihn wurde, war er krank oder verhindert. Wenn er mutmaßlich illegal spionieren ließ, fragwürdige Geschäfte betrieb oder Freunden zur Flucht verhalf war er fit und einsatzbereit.
Der Karrierist und sein Netzwerk
Ehrgeiz kann man dem 1963 geborenen Mannersdorfer nicht absprechen. Weiss machte früh Karriere bei der Polizei. Seit den frühen 1990ern war er im Staatsschutz aktiv. Das BVT entsandte ihn in den 2000ern auch nach Brüssel, wo er den „Focal Point“ für Terrorismus leitet.
Zurück in Wien baute er die Abteilung 3 auf – zuständig für kritische Infrastruktur und Sicherheitsüberprüfungen. Weiss zog es aber weiter ins operative Herzstück des BVT, die Abteilung 2: Dort bündeln sich die Referate Extremismus, Terrorismus, Nachrichtendienst. Sämtliche staatspolizeilichen und sensiblen Ermittlungen finden hier statt, Weiss wird mehrere Jahre Chef des Ressorts, in dem unter ihm auch ein gewisser Egisto Ott als Kriminalbeamter werkt.
2016 dürfte es dann zu einem entscheidenden Bruch gekommen sein. Weiss erlitt einen Unfall, hatte in der Folge Probleme mit dem Rücken, ein Jahr lang geht er in den Krankenstand. In dieser Zeit orientiert er sich innerlich wohl endgültig um. Er war schon zuvor in den Clinch mit schwarzen BVT-Netzwerken zwischen Kabinett, Parlament und seiner Behörde geraten. Weiss verfügte zwar gute FPÖ-Kontakte, arbeitete aber wohl in erster Linie für sich selbst – und bald schon für seinen Freund Jan Marsalek, den er 2015 erstmals „im Ministerium“ kennenlernte.
Im September 2017 fing er wieder für wenige Tage im BVT an, wechselte aber in die Generaldirektion im BMI und war dort laut eigenen Aussagen „zu 90 Prozent“ im Urlaub. Im Jänner 2018 wollte er sich endgültig vom Staatsdienst lösen, ging im März in Karenz und gründete daneben ein Unternehmen. Fortan setzt Weiss alles daran, sein nachrichtendienstliches Wissen zu Geld zu machen.
Er war dabei nicht alleine: Laut der AG Fama, einer Ermittlungsgruppe aus Beamten des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Korruptionsbekämpfung, bildete sich in dieser Zeit ein Netzwerk von mehreren österreichischen Ex-Polizisten und Ex-BVTlern, die sich an allerhand dubioser Geschäfte versuchten: Von Nachrichtenhandel, Sicherheitsdienstleistungen und Kryptobusiness zwischen München, Dubai und Moskau ist die Rede. Auch der Ex-FPÖ-Abgeordnete Thomas Schellenbacher mischte hier mit.
„Martin Weiss war immer auf der Suche nach Möglichkeiten zum Geld verdienen“, sagte einer aus diesem Kreis aus. Weiss erhielt Provisionen von einer Kryptofirma, vor der die österreichische Finanzmarktaufsicht mittlerweile warnt, oder soll bei der möglichen Vermittlung von Glock-Pistolen für die Polizei von Abu Dhabi mitgemischt haben. Seitens Glock wird mitgeteilt, es habe nie Kontakt mit Weiss bestanden. Auch seine Anstellung bei der im Wirecard-Umfeld agierenden „IMS Capital“ ist bekannt, bei der es Verfahren wegen Geldwäsche und Betrug gibt.
Seine Verbindung und enge Freundschaft zum flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek ist es auch, die Weiss nicht nur ins Zwielicht, sondern auch ganz konkret zur staatsgefährdenden Spionagespur bringt. Marsalek soll laut “Spiegel”-Recherchen bereits seit 2013 für den russischen FSB aktiv sein.
Dubai, Lignano und 400.000 Euro Schulden
Als im Jahr 2020 Marsaleks Millardenbetrug bei Wirecard offensichtlich wurde, verhalf Weiss seinem Freund und Geschäftspartner zur Flucht über den Flughafen Bad Vöslau. Weiss aktivierte seinen Bekannten Schellenbacher, der die Maschine nach Minsk am 19. Juni organisierte. Abgerechnet wurde über zwei Rechnungen: Eine gestellt an die „IMS Capital“, eine zweite an Weiss’ eigene, in den Emiraten ansässige Firma „Osgaw Consulting.“ Spuren zu diesem Ein-Personen-Unternehmen, das seinen Sitz in einem Bürokomplex im Emirat Ras Al Khaimah hatte und sich als „führende internationale Beratungsfirma“ bezeichnete, verlieren sich schon im Jahr 2021: Seit damals ist der Webauftritt von der Firma bereits vom Netz verschwunden. Ob seine Geschäfte, zumindest die offiziellen, noch florieren darf bezweifelt werden. Laut Ermittlungen der AG Fama hat Weiss alleine bei einem irakischen Gründer der Dubaier „Noor Bank“ 400.000 Euro Privatschulden.
Wenige Tage nachdem Weiss seinem Freund den Abflug nach Weißrussland vermittelte, machte er erstmal mit seiner Freundin Kurzurlaub in Lignano. Auch Thomas Schellenbacher stieß dazu. Die Anwesenden amüsierten sich laut Einvernahmen später, weil sich Schellenbacher auf der Rückfahrt nach Kärnten mit seinem Cabrio verfuhr.
Erst im Jänner 2021 wurde es für den Ex-Abteilungsleiter kurzzeitig ernst: Die Staatsanwaltschaft Wien ließ ihn, nachdem er von Dubai über München nach Österreich gereist war und sich mit Ott und einem litauischen Journalisten in einem Wiener Hotel getroffen hatte, festnehmen – wegen Begünstigung, Bestechung, Amtsmissbrauch sowie dem Verrat von Staatsgeheimnissen. Auch Ott und Schellenbacher wurden verhaftet. Im Gegensatz zu den beiden anderen, über die U-Haft verhängt wurde, kam Weiss nach einer angeblichen „Lebensbeichte“ wieder frei. Er sagte zu, für weitere Vernehmungen zur Verfügung zu stehen. In Wahrheit setzte er sich schon kurz darauf nach Dubai ab.
Die Spur verläuft im Wüstensand
„Ich habe es gerade geschafft, meinen österreichischen Mann nach Dubai zu evakuieren. Das war auch ein ziemliches Abenteuer. Wir waren besorgt, dass sie ihn am Flughafen wieder verhaften würden”, schrieb Marsalek am 22. Februar 2021 einem mutmaßlichen Spion, der mittlerweile in England in Haft ist.
Auf Nachfrage will die Staatsanwaltschaft Wien gegenüber ZackZack nicht kommentieren, wann und ob sie von dieser Ausreise Wind bekam. Auch nicht, ob man daraufhin eine Fahndung einleitete. Laut vorliegenden Akten der AG Fama war den Ermittlungsbehörden schon bald bekannt, dass sich Weiss dem Verfahren entzieht und „entgegen seiner niederschriftlichen Aussage aktuell in Dubai aufhältig ist, und nach durchgeführter Ladung nicht nach Österreich reist”, wie es in einem Anlassbericht vom 1. April 2021 heißt.
Versucht man heute mit Martin Weiss über seine österreichische Nummer in Kontakt zu treten, blickt auf dessen WhatsApp-Kanal ein offenbar KI-generiertes Anzeigebild eines Mannes entgegen, der ganz offensichtlich nicht Martin Weiss ist. In arabischen Lettern wurde im April 2023 zudem die Nachricht „Hallo ich nutze WhatsApp“ eingestellt. Wer das Telefon wirklich nutzt, ist unklar. Auch über seine emiratische Nummer bekommt man keine Antwort.
Kollegen aus Deutschland waren im April 2022 noch erfolgreich: Reporter der „Welt am Sonntag“ und des „Bayerischen Rundfunks“ interviewten Weiss damals in Dubai. „Wenn sie eine Ehe eingehen, da wissen Sie am Ende des Tages auch nicht, ob sie gut geht oder ob sie nicht gut geht“, erzählte ein angeblich „abgekämpft“ wirkender Weiss den Journalisten zu seinem Freund Marsalek und behauptete, seit dem Frühjahr 2021 keinen Kontakt mehr zu ihm zu haben.
Unmittelbar danach, am 4. April, kam Weiss sogar nach München, um vor der dortigen Staatsanwaltschaft auszusagen. Das „profil“ berichtet, dass da in Österreich bereits nach ihm gefahndet wurde, die heimischen Behörden wussten jedoch nichts von dem Termin. Ob und seit wann damals eine Fahndung tatsächlich lief, will die Wiener Staatsanwaltschaft gegenüber ZackZack aber nicht bestätigen. „Dazu geben wir keinerlei Auskunft“ heißt es.
Gericht fahndet seit 2023
Im April 2023 hätte Weiss dann jedenfalls in Wien wegen eines weiteren Verfahrens vor Gericht stehen sollen, es ging um eine Geheimdienstoperation namens „White Milk“, bei der das BVT einen syrischen General auf Geheiß des Mossads von Frankreich nach Österreich holte und diesem hier Asyl verschafft haben soll. Der Vorwurf lautete Amtsmissbrauch, es gab Freisprüche. Weiss erschien als einziger Angeklagter nicht und gab über seinen Anwalt gesundheitliche Probleme und mangelnde Transportfähigkeit als Grund dafür an. „Zu den vom Angeklagten angeführten körperlichen Beschwerden kam die Sachverständige zum Schluss, dass ihrer Ansicht nach Transportfähigkeit gegeben sei“, sagt hingegen Gerichtssprecherin Christina Salzborn zu ZackZack. Zu Beginn des Prozesses habe über den Verteidiger von Weiss noch Kontakt bestanden, doch Weiss kündigte die Zusammenarbeit. Daraufhin leitete das Gericht eine Aufenthaltsermittlung, sprich eine Fahndung, gegen Weiss ein. Ein Auslieferungsabkommen gibt es mit den Vereinigten Arabischen Emiraten jedoch nicht. Laut APA hätte die WKStA im letzten Jahr eine Festnahmeanordnung erwogen, beschlossen wurde sie aber nicht.
Ob man Weiss jemals habhaft werden wird, bleibt fraglich. Gepflegte Beziehungen in die Emirate hat Österreich bekanntlich zur Genüge: Wie der „Standard“ kürzlich berichtete, macht Ex-Kanzler Sebastian Kurz Geschäfte mit dem dortigen Industrieminister, Kurz‘ ehemaliger Pressesprecher ist Botschafter in Abu Dhabi. Einigermaßen absurd mutet auch an, dass Weiss‘ Freund und Interpol-“Most Wanted” Jan Marsalek laut „Washington Post“ ebenfalls hauptsächlich in den Emiraten aufhältig sein soll. Präsident von Interpol ist ausgerechnet Ahmed Naser Al-Raisi, der selbst aus den Emiraten stammt und überdies Generalinspektor im dortigen Innenministerium ist. Man würde meinen, er wisse zu gut, was sich in dem Wüstenstaat abspielt. ZackZack bleibt jedenfalls dran.
Update 25.4.: Ergänzung seitens “Glock”
Titelbild: Google Earth, BMI-Magazin: Alexander Tuma 2015, Montage ZackZack