Unübersehbar: Die typisch österreichische Realitätsverweigerung, das Recht durch Jetzt-erst-recht zu ersetzen, hat nun auch die Medien des Landes befallen.
Als österreichischer Staatsbürger, der in einer Demokratie leben möchte, und als Steuerzahlender, der diesen Staat mitfinanziert, will ich, dass sein Recht von allen eingehalten wird. Ich will es nicht nur, ich habe das Recht darauf. Wenn die Justiz tätig wird, um mögliches Unrecht anzuklagen und in einem Verfahren darüber zu entscheiden, so erfüllt sie ihre Aufgabe.
Die Anklagen gegen Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner entsprechen der Erfüllung dieser Aufgabe. Nun sind diese Anklagen manchen Menschen unangenehm – aus parteipolitischer Voreingenommenheit, aus persönlicher Enttäuschung. Einige von ihnen sind aber Journalistinnen und Journalisten und damit in der Verantwortung, ihre öffentlichen Äußerungen sorgsamer zu pflegen als der Stammtischraunzer vom Gasthaus an der Ecke.
Gegenangriff ohne Angriff
Für die Staatsbürger Österreichs geht es nicht um die angeklagten Personen; es geht um das Funktionieren der Demokratie. Für die Staatsbürger Österreichs geht es nicht um Legitimierung oder Delegitimierung der Angeklagten als Volksvertreter. Als solche haben sie sich längst als untauglich erwiesen.
Die Attacken der ÖVP auf die Justiz (und diese sind kein »Gegenangriff«, da es keinen Angriff gab) und der von ihnen mit Millionenbeträgen angefütterten Medien funktionieren in altbekannter Weise, mit altbekannter Rhetorik: 1. Es wird personalisiert statt versachlicht. 2. Es werden Unwahrheiten kolportiert. 3. Die demokratischen Verhältnisse werden umgekehrt.
Lügen und Parteipolitik
In skandalöser Weise wurden sowohl vom Boulevard als auch von sogenannten Qualitätsmedien Lügen über die Bestellung des Verfahrensrichters als Wahrheiten kolportiert und ihm dabei auch noch Befangenheit und Freundschaften mit angeblichen Gegnern von Sebastian Kurz unterstellt. Das ist unübersehbar die Missachtung von Artikel 87 des Bundesverfassungsgesetzes. Und das durch Medien mit hoher staatlicher Förderung.
Für diese klar parteipolitisch agierenden Journalistinnen und Journalisten tut die Justiz nicht ihre Pflicht, sondern sie tritt zu einem Kampf an, bei dem für sie »viel auf dem Spiel steht«. Diese Behauptung ist lupenreiner Faschismus, indem der Gedanke suggeriert wird, die Staatsanwaltschaft trete in einen Konkurrenzwettbewerb und würde sich selbst delegitimieren oder abschaffen, wenn die Angeklagten nicht verurteilt würden.
Selbstjustiz des Boulevards
Eine Boulevardzeitung geht dabei sogar so weit, in einem Nebensatz auch die Verurteilung des früheren Finanzministers Grassers anzuprangern. Dass dieser sich unrechtmäßig an Steuergeldern bedient hat, scheint ihn für den Boulevard nur noch sympathischer zu machen. Da haben es die Zeitungen besser – sie bekommen ihre Millionen aus Steuergeldern auf legale Weise. Und wenn die Beträge nicht hoch genug sind, schickt eine Herausgeberin auch schon Mal die Drohung »Wir können auch anders« direkt an einen Minister.
Woher kommt aber dieses unablässige Sich-Auflehnen gegen das Recht und die Rechtsprechung gerade in einem Land, in dem die Einhaltung der Gesetze täglich gefordert wird, in dem die Boulevardmedien gierig Ausschau nach Gewalttaten und Kleindelikten halten und sie anprangern? Offenbar will der Boulevard nicht nur selbst Recht sprechen, sondern auch bestimmen, wer als Rechtsbrecher in Frage kommt und wer nicht.
Kontostand und Psychopathologie
Ein Lügenbaron hat von seinem Flug auf einer Kanonenkugel berichtet und Millionen Menschen sind im Geiste auf dieser Kanonenkugel mitgeritten. Nachdem sich herausstellt, dass all das ein Märchen war, reagieren die Getäuschten mit Trotz. Es kann nicht sein, dass ausgerechnet sie sich geirrt haben. Also müssen jene, die sich darum bemühen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, Schurken sein. Bei vielen – und die Boulevardmedien gehören dazu – ist der Grund, warum sie die tatsächlichen Verhältnisse umkehren, mit einem Blick auf ihr Konto erklärbar. Bei der großen Mehrheit, die von einer derartigen Fehlbetrachtung ja gar nicht profitiert, ist es eine Frage der Psychopathologie.
Ja, die große Mehrheit profitiert nicht nur nicht, ihr Geld wurde auch missbraucht und nun man will ihnen sogar das Recht verweigern, dagegen vorzugehen. So ist es auch mit der COFAG. Der Finanzminister verweigert dem Steuerzahler die Transparenz der Förderungen. Wir kennen sie nur ab einem Betrag von 100.000 EUR und auch das nur, weil die Regierung zur Eintragung in einer EU-Beihilfentransparenzdatenbank verpflichtet ist.
Feindbilder aus selbstverschuldeten Krisen
Die Reaktion des Jetzt-erst-recht ist eine demokratische Fehlleistung, die den Blick auf Tatsachen verstellt. Damit die verdrehte Welt, die Welt der Selbsttäuschung aufrecht erhalten werden kann, muss der Sinn in einem Kampf gesucht werden. Es muss von »Angriffen« die Rede sein, von »Gegnern« und »Feinden« – eben vom »Krieg«. Genau auf diese Weise erzeugt der Faschismus aus inneren, selbstverschuldeten Krisen Feindbilder, die im Nu den wahren Konflikt vergessen machen und überwuchern.
Es besteht in unserem Land offensichtlich eine strukturelle Schwierigkeit darin, demokratische Verhältnisse zu leben und deren Transparenz für alle einzufordern. Und es ist auch bei dem, was die Medien dieses Landes von sich geben, kein Wunder, dass das Bewusstsein dafür nicht wächst, sondern im Sinken begriffen ist, dass Österreich in allen Rankings von Korruption und Demokratie absinkt und dass das Zusammenleben der Menschen in diesem Land spürbar unter demokratischen Überschreitungen leidet.
Demokratisches Defizit
Natürlich liegt das demokratische Defizit auch darin begründet, dass Österreich ein Land ist, in dem die Demokratie immer nur dann eingeführt wurde, wenn das Land wieder einmal einen Weltkrieg verloren hatte. Doch das allein kann es nicht sein. Die konservativen Parteien aller westlichen Staaten taumeln seit 1989 in eine Orientierungslosigkeit, die sie immer mehr dazu treibt, mit rechtsextremen Parteien zu koalieren und sie zu imitieren. Ein demokratisches bürgerliches Selbstverständnis ist in unserem Zeitalter Minderheitenprogramm.
Wird das Problem einer Bewegung das Problem des ganzen Landes werden? Ja, das kann es tatsächlich, wenn wir die Jahre 1934 bis 1938 betrachten. Umso mehr geht es heute in Österreich darum, klarzumachen, dass das Überschreiten demokratischer Grenzen und die Nicht-Einhaltung des demokratischen Konsens von der Mehrheit nicht geduldet werden. Wie das Verfahren gegen Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner ausgeht, ist dafür unerheblich. Viel wesentlicher wäre es da schon, dass die Bewegung, der sie angehören, sich in Selbstreflexion übt. Noch wesentlicher aber ist, dass die Medien damit aufhören, auf Gedeih und Verderb jede demokratische Überschreitung der ÖVP zu exkulpieren, ihren Populismus kleinzureden, die Justiz zu diffamieren und sich zu Schreiberlingen des ÖVP-Kommunikationschefs degradieren zu lassen.
Titelbild: Miriam Moné/ZackZack