Samstag, November 9, 2024

Not a Bot – Gebt den Ischglern Ischgl zurück

GEBT DEN ISCHGLERN ISCHGL ZURÜCK

Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!

Daniel Wisser

Wien, 30. Jänner 2021 | Jeden Tag werden in Österreichs Skigebieten neue Corona-Cluster bekannt. Am Dienstag war es ein Skilehrerkurs im Pongau, von dessen 152 Teilnehmern 76 positiv getestet wurden. Damit wird der Westen Österreichs durch den normal weiterlaufenden Wintertourismus innerhalb von 10 Monaten zum zweiten Mal zum Superspreader des Coronavirus in Europa.

Das wäre verhinderbar, würde die Regierung im sogenannten Lockdown alle Wirtschaftsbetriebe gleich behandeln. Doch sie tut es nicht. Damit machen sich nicht nur Sebastian Kurz, Elisabeth Köstinger, Gernot Blümel und auch der jüngst als stotternde Schützenhilfe zur Regierungspressekonferenz eingeladene Landeshauptmann Schützenhöfer lächerlich. Damit belohnt die Regierung auch all jene Mitbürger*innen, die sich an die Corona-Bestimmungen halten, mit einem Schlag ins Gesicht.

Abgenutzte Sündenböcke, lächerliche Ablenkungen

Am vorbildlichsten halten die Wiener*innen sich an die Vorgaben der Regierung, wie eine Auswertung der Mobilfunkdaten kürzlich zeigte. Schlusslichter: Salzburg und Tirol. Damit ist der Sündenbock Wien, der bis zur dortigen Landtagswahl von der Regierung und den von ihr angefütterten Medien täglich mit Häme angeprangert wurde, als Feindbild verbraucht. Auch die Bewohner der Balkanländer, die laut Kurz-Aussage vom 2. Dezember 2020 “uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt” haben, sind nun wohl doch nicht schuld.

Der Begriff Britenvirus, den Kanzler Kurz und Finanzminister Blümel wortwörtlich verwendet haben und der in bewährt xenophober Manier die Corona-Mutation B.1.1.7 bezeichnen soll, brachte auch nicht die gewünschte Ablenkung. Als im Tiroler Jochberg 17 britische Skilehrer positiv getestet wurden und Verdacht auf die britische Virusmutation bestand, bemühte man sich hinzuzufügen, dass ohnehin kein Ski-Unterricht stattgefunden hat. Wozu die Herren dann in Tirol waren, wurde bald darauf klar: Ein Skilehrer erzählte einer britischen Zeitung, es sei eine Nonstop-Party gewesen. Auch die sogenannte südafrikanische Corona-Mutation B.1.351, die laut Medienberichten bereits im Zillertal nachgewiesen wurde, eignet sich nicht mehr für xenophobe Sprüche. Es wurde bekannt, dass just Hoteliers aus dem Zillertal im Lockdown zum Golfen nach Südafrika geflogen waren.

Die Menschen für dumm verkauft

Als wäre ihre Untätigkeit nicht schlimm genug, lanciert die Regierung haarsträubende Ablenkungsversuche, die den ohnehin ihrer Zensur ausgesetzten österreichischen Satirikern den Schweiß auf die Stirne treiben. Außenminister Schallenberg beschäftigt sich seit Kurzem mit der Bedrohung eines nuklearen Angriffs auf Wien. Der ehemalige ÖVP-Obmann Spindelegger packt die neueste aller Schreckensmeldungen aus: Eine neue Flüchtlingswelle rolle auf das Land zu. Am besten ist die Begründung: Sie kämen wegen einer Impfung gegen Corona, während die hier ansässige Bevölkerung sich gerade überlegt, für diese Impfung nach Dänemark auszuwandern, da man sie in Österreich nicht bekommt.

Was das alles bewirkt? Einen riesigen Imageschaden und die völlige Unglaubwürdigkeit der Bundesregierung. Niemand kann ihre gebetsmühlenartigen Beschwörungen des Miteinander und des Am-besten-durch-die-Krise-gekommen und ihr Wir-haben-alles-richtig-gemacht mehr hören. Die Menschen fragen sich zu Recht, wie dumm man eigentlich ist, wenn man sich an die Vorgaben der Regierung hält.

Party nonstop

Dass das ökonomische, ökologische und soziale Desaster des Massenwintertourismus seine Raubzüge nicht ewig fortführen und vergrößern kann, ist seit Jahrzehnten klar. Tourismusorte sind zu Exklaven der Sklaverei geworden. Weder Einnahmen noch Arbeitsplätze kommen den dort Ansässigen zugute, die durch den Preisdruck auf Immobilien sogar aus ihren Heimatorten verdrängt werden. Dort arbeiten Menschen, die zur Saison anreisen, zu illegalen und inakzeptablen Bedingungen. Die Tourismusorte sind Hurenhäuser der europäischen Schickeria geworden. Jeder weiß, dass es dabei nicht ums Skifahren geht. Ein Tiroler hat mir ganz offen erzählt, dass reiche Männer mit Frau und Kind nur in bestimmte Skiorte reisen. Und dann gibt es andere Orte, wohin der Mann alleine mit seinen Geschäftspartnern reist. Dort gibt es Exzesse, Drogen, Prostitution, Party nonstop. Viele Medien wie die NZZ oder Focus haben darüber berichtet.

Darum: Gebt den Ischglern Ischgl zurück! Gebt den Zillertalern das Zillertal zurück!

Erpressung und öffentliche Verhöhnung

Besonders die Tourimusbosse in Tirol haben die Politik mit jahrzehntelanger Erpressung in ihre Gewalt gebracht. Nicht Herr Platter oder Frau Felipe oder sonst jemand aus der Landesregierung haben in Tirol das Sagen. Wenn es brenzlig wird, meldet sich Herr Hörl selbst. (Es tut mir übrigens leid, dass es mir nicht leidtut, dass er sich mit Corona infiziert hat.) Auch die Bundesregierung hat den Mund zu halten. Mit bewunderswerter Naivität hat Finanzminister Blümel sogar öffentlich mitgeteilt, was die Tourismusbosse im Falle einer Schließung der Skigebiete verlangen: 800 Millionen Euro pro Woche. Blümel forderte diese Summe prompt von der EU. Dass Blümel nicht weiß, dass die österreichische Regierung für die Lockdown-Bestimmungen zuständig ist und nicht die EU, zeigt, dass Rechnen nicht seine einzige Schwachstelle ist.

Österreichs Steuerzahler*innen geben Abermillionen für Tourismusgebiete aus und bekommen dafür nichts. Im Gegenteil: Jetzt in der wirtschaftlichen und sozialen Krise, die die Lockdowns mit sich bringen, sehen die Menschen, wie sie von Tourismusbossen im Westen öffentlich verhöhnt werden. Das macht die Menschen wütend. Zu Recht. Die Skigebiete gehören im Lockdown geschlossen. Und jeder weiß, dass Herr Hörl und seine Freunde, wenn ihnen dieses Jahr eine Steigerung ihrer Einnahmen gegenüber dem Vorjahr um 10 Millionen ausbleibt, nicht zugrunde gehen werden.

Kein goldener Swimmingpool

Ich war seit dem Jahr 1987 nicht mehr Skifahren. Und ich werde wohl auch in den nächsten Jahren nicht Skifahren gehen. Es tut mir leid, wenn Herr Hörl es sich nun durch mein Fernbleiben nicht leisten kann, die Einstiegsleiter zu seinem Swimmingpool vergolden zu lassen. Schlimmer wäre es, wenn es jetzt zu einer globalen Verunglimpfung aller Tiroler*innen und Salzburger*innen käme. Das kann und soll nicht das Ziel sein. Auch soll der Tourismus nicht verschwinden, es sei denn, er geht auf Kosten der Umwelt und der sozialen Gleichheit.

Die Politik ist dazu aufgerufen, dem schändlichen Treiben ein Ende zu machen, sich um die Gleichbehandlung aller Menschen zu kümmern und endlich einmal, die Probleme der in Skigebieten ansässigen Bevölkerung ernst zu nehmen. Denn eines ist klar: Die Hörls und Schröcksnadels sind nicht deren Vertreter. Gebt den Kitzbühelern Kitzbühel zurück! Gebt den Pongauern den Pongau zurück!

Titelbild: APA Picturedesk

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