“Was hat er bis zum Freitag eigentlich beruflich im Jahr 2021 gemacht?“
So hat man den Politologen Peter Filzmaier wohl selten erlebt. Am Sonntag nahm er den Bundeskanzler Sebastian Kurz in der ZIB 2 aufgrund dessen Attacke auf die EU auseinander. „Da muss er sich dann die Frage gefallen lassen, was hat er bis zum Freitag eigentlich beruflich im Jahr 2021 gemacht.“
Wien, 15. März 2021 | Es war wohl ein Stück Fernsehgeschichte, die der Politologe Peter Filzmaier in der ZIB 2 am Sonntag geschrieben hat. So scharf kritisierte der Polit-Experte einen Bundeskanzler noch nie. Anlass war die Attacke von Sebastian Kurz bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Freitag, in der er der EU eine ungerechte Verteilung des Impfstoffes vorgeworfen hatte. Wie am Wochenende nun bekannt wurde, waren nicht wie der Kanzler in den Raum stellte etwaige Geheimverträge der Hintergrund für die Verzögerung, sondern einige europäische Staaten die sich dazu entschieden hatten, weniger von den teuren Impfstoffen Moderna und Biontech zu kaufen. Stattdessen setzten sie vor allem auf den billigeren Astrazeneca-Impfstoff, darunter Österreich. Durch Lieferschwierigkeiten von Astrazeneca kommt es nun zu einer unterschiedlichen Verteilung in der EU.
“Sankt Nimmerleinstag”
Filzmaier nahm den Bundeskanzler deshalb gehörig auseinander. Noch im Dezember hatte Kurz in der ZIB 2 behauptet, dass der Beschaffungsprozess der Europäischen Union aus seiner Sicht schon sehr gut organisiert sei. 2,5 Monate später bezeichnete er genau das als „Basar“. Was sorgte für den plötzlichen Schwenk? Filzmaiers Knallhart-Urteil: Der Befund sei sehr einfach, denn die Impfsache laufe furchtbar schief und der Bundeskanzler stehe objektiv und wohl auch subjektiv gewaltig unter Druck. Man müsse kein Mathematiker sein, um sich auszurechnen, dass beim jetzigen Impftempo erst im Sommer 2022 alle durchgeimpft werden seien. Sollten Auffrischungen nötig sein, könne es auch erst 2023 oder am „Sankt Nimmerleinstag“ soweit sein.
“Was hat er bis zum Freitag eigentlich beruflich im Jahr 2021 gemacht?“
Auch die Strategie von Sebastian Kurz lässt Filzmaier staunen. Warum der Bundeskanzler, der mit schlechten Umfragewerten konfrontiert ist, den Vorwurf an die EU öffentlich macht? „Es ist weniger ein Zeichen von Souveränität, nicht jeden, aber sehr viele als Total-Versager zu bezeichnen, mit Ausnahme von sich selber.“ Es sei ein politisches „Rette mich wer kann-Programm“.
Ungewöhnlich sei zudem, dass der Bundeskanzler mit den Beamten im Gesundheitsministerium eine Ebene unter sich angreifen würde, denn das „Grundprinzip der politischen Kommunikation ist mehr, streite mit jemandem eine Ebene über dir.“ Es sei zudem irritierend, dass der Bundeskanzler zum Jahreswechsel sehr offensiv die Impfung als „Gamechanger“ präsentierte, dann aber nicht mitbekommen haben will, wie die Verträge eigentlich aussähen. Filzmaier mit dem vernichtenden Urteil:
„Da muss er sich dann die Frage gefallen lassen, was hat er bis zum Freitag eigentlich beruflich im Jahr 2021 gemacht.“
Sehr viele als „Totalversager zu bezeichnen mit Ausnahme von sich selber“, sei kein „Zeichen von Souveränität“, so #Filzmaier über #Kurz in der #ZiB2, 14.3.21 pic.twitter.com/ZNJQP9SEb5
— Klecksa (@Anpatzer) March 15, 2021
Für Filzmaier noch problematischer ist allerdings „der Stil des Abputzens“, denn während der Grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober im Krankenhaus liegt, lässt er über die ÖVP ausrichten, er solle zwei Beamte entlassen. Filzmaier zeigte das umgekehrte Beispiel auf: sollten die Grünen, während der Kanzler krank wäre, die Entlassung des Bürochefs, seines Pressechefs, oder seines „Schredder-Chefs“ fordern, wäre das eine Kriegserklärung. Umgekehrt erwarte die ÖVP nun, dass dies nicht als Kriegserklärung verstanden werde.
ÖVP nervös
Das koalitionsinterne Ausrichten der ÖVP durch die Medien sei laut Filzmaier auf Nervosität in der Kanzlerpartei zurückzuführen. Es bestehe eine klare Mehrheitsansicht in der Bevölkerung, dass die Entscheidungen der Regierung schlecht begründet und Informationen schlecht verständlich vermittelt würden. Auch, dass die Regierung zu wenig Inhalte präsentiere und nur noch Inszenierung nach außen trägt, werde immer mehr zum Problem. Das sei ein Alarmsignal und auch ein Armutszeugnis, wenn man bekanntlich von Asyl bis zu Demonstrationen miteinander streite, “wenn nur noch das Argument vorherrscht: ‘in einer Pandemie kann man sich eben nicht trennen’. Denn dann ist die Koalition auf wackligen Beinen.“
Für wacklige Beine dürfte bei so manchem auch das Filzmaier-Interview gesorgt haben.
Das gesamte Interview finden Sie hier.
(bf)
Titelbild: APA Picturedesk