Donnerstag, Oktober 3, 2024

„Kurz hat sich verzockt“ – EU-Gipfel

EU-Gipfel

Der Kanzler hat es sich mit den anderen EU-Staaten verscherzt. Beim EU-Gipfel steigt er mit einer herben Niederlage aus. Österreich dürfte wohl keine einzige zusätzliche Impfdose mehr bekommen. Auf kritische Fragen reagierte Kurz zunehmend gereizt.

 

Wien, 26. März 2021 | Der EU-Gipfel über die Impfstoff-Verteilung stand unter keinem guten Stern für Sebastian Kurz. „Staatsmännlein“, „Kurz hat sich verzockt“, „Sebastian Kurz tritt völlig unzulässigerweise als Ankläger auf, er ist ein Bittsteller”: die Presse- und Parteifreundmeldungen, unter anderem des EVP-Gesundheitssprechers Peter Liese, über die EU-Attacke des österreichischen Bundeskanzlers sind verheerend. Im Vorfeld des EU-Gipfels über die Impfstoffverteilung stellte sich Sebastian Kurz noch der Presse, und auch da ging für den Kanzler fast alles schief.

Kurz reagiert gereizt auf kritische Fragen

Der renommierte ORF-Journalist Peter Fritz sprach den Bundeskanzler auf die Verstimmungen der großen Nationen gegenüber dem österreichischen Kanzler an:

„Herr Bundeskanzler, Sie haben ja neue Verbündete gefunden bei diesem Impfstoffverteilungs-Thema, aber es scheint zumindest so, als hätten Sie andere Verbündete verloren. Angela Merkel will sie gar nicht mehr empfangen, wenn Sie in Berlin sind. Emmanuel Macron scheint auch verstimmt zu sein. War das wirklich in der Form nötig? Und halten Sie es auch für nötig, jetzt einen ganzen Gipfel mit diesem Thema zu kapern?“

Kurz reagierte gereizt auf die kritische Frage:

„Ich hoffe sehr, dass Sie selbst nicht glauben, was Sie da fragen.“ Er telefoniere mit Merkel regelmäßig.

Unverständnis beim EU-Gipfel

Beim EU-Videogipfel am Donnerstagabend wurden die Verstimmungen noch klarer. Kurz forderte zum wiederholten Male einen „Korrekturmechanismus“. Länder wie Bulgarien, Tschechien und auch Österreich, die statt Biontech auf den Astrazeneca-Impfstoff setzten, wollen von der EU zusätzliche Dosen erhalten. Die Haltung der anderen Regierungschefs war klar: Ablehnung. Ein ranghoher Beamter der deutschen Bundesregierung machte klar, dass es nichts zu korrigieren gebe. Österreich habe mehrere Wochen Zeit für seine Kaufentscheidung gehabt. Wieso nun andere Länder, die sich rechtzeitig um Impfstoffe bemühten, nun diese an Österreich abtreten sollen, stieß auf Unverständnis. Auch die Impfshowreise des Kanzlers nach Israel zu Benjamin Netanyahu sorgte für einen schiefen Haussegen. Mehrere EU-Länder beklagten, dass Kurz nur von europäischer Solidarität rede, wenn diese ihm selbst nützt.

Kurz blockiert Gipfel

Stundenlang blockierte Kurz eine Einigung im Gipfel, das Ergebnis war ein Formalkompromiss. Zehn Millionen Dosen Biontech-Impfstoff sollen im „Geist der Solidarität“ verteilt werden. Doch für Österreich und Kurz dürfte davon nur wenig abfallen. Dass Österreich zusätzliche Dosen erhalten würde, gelte als unwahrscheinlich. Italiens Premierminister Mario Draghi richtete sich in der Tageszeitung La Repubblica an Kurz: “Auch wir haben Impfstoff-Mängel, Kurz wird keine einzige zusätzliche Dosis erhalten”. Der niederländische Premier Mark Rutte, Mitglied mit Sebastian Kurz der “Sparsamen Vier”, ist von Österreichs Forderungen ebenfalls nicht begeistert. Ein Blick auf die Zahlen zeige, dass vor allem Bulgarien, Lettland und Kroatien ein Problem hätten. Denen wolle man helfen. Bei Österreich könne er dies hingegen derzeit nicht erkennen, so Rutte.

Auch für Wirbel in den sozialen Netzwerken sorgte Kurz mit seiner Videokonferenz. Während alle Regierungschefs bereits mit Video an der Konferenz teilnahmen, blieb die Kamera des österreichischen Regierungschefs schwarz. Nicht zum ersten Mal. Kurz darauf wurde auch klar, warum. Der Bundeskanzler nahm noch Fotos für seine Twitter-Seite auf.

Bei der Pressekonferenz am Freitag nach dem EU-Gipfel wollte sich der Kanzler schlussendlich nicht festlegen, mit wie vielen Impfdosen er den Gipfel als Erfolg werte. Im Vorfeld des Gipfels wünschte sich Kurz 400.000 zusätzliche Impfdosen von den 10 Millionen Biontech-Impfstoffen, die wird es wohl nicht spielen. 200.000 würden durch den Bevölkerungsschlüssel zustehen. Zum Statement eines EU-Diplomaten, der gegenüber dem „Spiegel“ behauptete “Kurz hat sich verzockt”, entgegnete der Kanzler: “Ich glaube, dass hier immer wieder von anonymen Quellen Falschbehauptungen verbreitet werden.”

(bf)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Benedikt Faast

    Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

30 Kommentare

30 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Rechtsruck in Österreich

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!