Auswahl der Orte aber kaum nachvollziehbar
Die punktuelle Maskenpflicht in Wien stößt zwar auf viel Unmut, ist aber laut Experten epidemiologisch gerechtfertigt. Sie dürfte im Fall einer Anfechtung auch vor dem VfGH halten. Eine Schanigartenöffnung muss damit aber vom Tisch sein, sagt Virologe Norbert Nowotny.
Wien, 6. April 2021 | Seit 1. April gilt eine Maskenpflicht an fünf öffentlichen Plätzen in Wien, u.a. dem zentralen Abschnitt des Donaukanals, am Schwedenplatz, Stephansplatz und Karlsplatz. Die Auswahl scheint beliebig, an nachvollziehbare Kriterien geknüpft ist sie nicht.
„Wir alle kennen die Bilder von diesen Plätzen“, sagte Gesundheitsstadtrat Peter Hacker in „Wien heute“ (31.3.). Man brauche eine „klare Signalwirkung“, physische Distanz sei „die zentrale Tugend“, auf die man im Überschwang eines Treffens manchmal vergesse.
Gesetzliche Grundlage vorhanden
Die gesetzliche Grundlage für die Maskenpflicht gibt es jedenfalls mit dem Covid-Maßnahmengesetz, sagt Karl Stöger, Professor für Medizinrecht an der Universität Wien. Voraussetzung für eine solche Verordnung sei aber, dass diese „zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 erforderlich ist“.
Ist sie das? Laut Robert-Koch-Institut ist zwar die Wahrscheinlichkeit einer Exposition mit infektiösen Partikeln innerhalb von ein bis zwei Metern „erhöht“. Allerdings kämen „Übertragungen im Außenbereich insgesamt selten“ vor. Bei Wahrung des Mindestabstands sei die Wahrscheinlichkeit einer Infektion „aufgrund der Luftbewegung sehr gering.“
Quelle: RKI
„Virologisch und politisch sinnvoll
„Im Freien ist man nicht automatisch sicher. Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung ist zwar wesentlich geringer als in Innenräumen, sie besteht aber sehr wohl“, sagt Lukas Weseslindtner, Virologe an der MedUni Wien, im Gespräch mit ZackZack. FFP2-Masken zu tragen, wo man den Abstand nicht einhalten kann, sei also „jedenfalls sinnvoll“, sagt er gerade auch im Hinblick auf die ansteckendere britische Variante.
Ähnlich sieht das Virologe Norbert Nowotny von der VetMed Uni Wien. Von allen drei Arten, sich zu infizieren – Tröpfchen, Aerosole, Schmierinfektion – sei die Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch die mit Abstand häufigste. Und auch diejenige, zu der es im Freien zuvorderst kommen kann.
„Was dagegen hilft: Zwei Meter Abstand oder Maske, wo dies nicht möglich ist“, sagt Nowotny. Weil aber nicht alle Menschen den Abstand einhalten, brauche es eben eine Maskenpflicht an bestimmten Orten. „Das macht politisch und virologisch durchaus Sinn.“
Insgesamt erfolgen „rund 90 Prozent“ aller Covid-Infektionen in Innenräumen, sagt Nowotny. Bei rund 3.000 Infektionen täglich wären das rund 300, die auf Ansteckungen im Freien zurückzuführen sind. Wiewohl Nowotny keine derartigen Cluster oder Infektionsketten in Außenbereichen bekannt sind. Die AGES lieferte uns auf Anfrage keine Daten zu Ansteckungen im Freien.
Abstandspflicht gibt es längst
Allerdings, und dieser Aspekt fehlte ein wenig in der Diskussion, hat die Polizei längst die Möglichkeit, fehlende Abstände zu sanktionieren. Schließlich gilt österreichweit eine Abstandspflicht von zwei Metern zu Haushaltsfremden.
Quelle: RIS
Wir haben bei der Stadt nachgefragt, ob nicht ohnehin die bestehenden Bestimmungen ausreichen würden, das Rathaus verneinte – angesichts der „angespannten Situation auf den Spitälern“ seien weitere Maßnahmen zur Infektionsbegrenzung „angemessen“.
Eine gewisse Rolle dürfte auch die symbolische Wirkung (Hacker: „Bilder, die wir alle kennen“) und das Vermeiden von Angriffsflächen für Bund und Länder spielen. Schließlich wurde der Donaukanal zum Synonym für das Nichteinhalten der Maßnahmen, egal ob „Im Zentrum“, in der „Zeit im Bild“ oder in vielen Artikeln, wo von dortigen „Menschenmassen“ und „illegalen Parties“ die Rede war.
Warum neben dem Donaukanal auch vier andere Plätze – u.a. der weitläufige Karlsplatz – von der Maskenpflicht erfasst werden und wie die Auswahl getroffen wurde, hat die Stadt kaum begründet. Gegenüber ZackZack heißt es aus dem Rathaus: „Die Auswahl der Örtlichkeiten erfolgte aufgrund von Erfahrungswerten von Einsatzeinheiten.“
Stadt muss besonderes Risiko belegen
Die Stadt muss jedenfalls laut dem Juristen Stöger – im Fall einer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof – belegen, warum gerade an diesen fünf Plätzen ein besonderes Risiko besteht. „Etwa aufgrund von Beobachtungen in den Tagen vor dem Lockdown. Wenn gerade dort viel los war, vielleicht sogar regelmäßige Abstandsüberschreitungen beobachtet wurden, ist das ein Argument für eine solche Verordnung“, sagt Stöger.
Nur weil an anderen „stark frequentierten“ öffentlichen Orten – wie etwa dem Augarten, dem Stadtpark, dem Burggarten – aber keine Maskenpflicht herrsche, sei die Verordnung nicht per se unzulässig. Das wäre erst dann der Fall, wenn die erfassten Orte so wenige sind, dass die Maskenpflicht insgesamt keinen Effekt hat, sagt der Jurist.
Rechtlich problematisch wäre es laut Stöger aber in jedem Fall, vorsorglich und gewissermaßen ohne Anhaltspunkte gleich für alle Plätze eine Maskenpflicht vorzuschreiben. „Das wäre überschießend – außer die Situation wird so schlimm, dass das medizinisch wirklich Sinn macht.“
Keine Hoffnungen schüren
Nowotny plädiert im Gespräch mit ZackZack für eine punktuelle Maskenpflicht auch an gedrängten Bereichen in anderen Großstädten. Denn auch wenn es dadurch zur Verlagerung hin zu anderen Plätzen kommt, würden sich die Gruppen dadurch besser verteilen. Dies zeige sich bereits in den letzten Tagen in Wien.
Er betont aber, dass mit dieser Maßnahme die Öffnung von Schanigärten vom Tisch sein müsse: „Alles andere wäre inkonsequent.“ Schließlich würden dort ja auch Haushaltsfremde am selben Tisch zusammensitzen. „Ich glaube, die Österreicher vertragen durchaus die Wahrheit. Da braucht man nicht Hoffnungen schüren, die dann nicht eingehalten werden“, sagt Nowotny sowohl in Richtung Bundesländer als auch Bundesregierung.
„Wenn Bundeskanzler Kurz weitreichende Öffnungsschritte im Mai will, muss er im April österreichweit mindestens zwei Wochen zusperren.“ Die Maskenpflicht am Donaukanal wäre da noch das geringste Problem.
Florian Bayer
Titelbild: APA Picturedesk