Impfstoff-Panne vor Ablauf des Kanzler-Countdowns
Kanzler Kurz kündigte vor Wochen an, man sei in Sachen Sputnik V-Impfstoff “de facto am Ende angelangt”. Seine selbst gesetzte Frist für 300.000 Dosen läuft morgen ab. Unterdessen gibt es neue Zweifel an der Sicherheit des russischen Vakzins: Brasilien lehnt es wegen “schwerwiegender Mängel” ab.
Wien, 29. April 2021 | „Wenn wir Sputnik bestellen, dann werden wir noch im April 300.000 Dosen, im Mai 500.000 Dosen und 200.000 Dosen Anfang Juni erhalten“, twitterte Bundeskanzler Sebastian Kurz am 31. März. Das heißt, morgen (30. April) sollten demnach 300.000 Dosen kommen, will Kurz seinen eigenen Countdown einhalten. Tage später legte Kurz nach und behauptete, man sei in puncto Verhandlungen „de facto am Ende angelangt.“ Doch auch eine morgige Lieferung würde das Impftempo nicht erhöhen. Der Impfstoff Sputnik V ist in der EU noch nicht zugelassen, die Europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit noch.
Es sei denn, Kurz nimmt sich ein Beispiel am ungarischen Machthaber Viktor Orban und impft an der europäischen Zulassung vorbei. Einige Schwergewichte innerhalb der EU, so auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), hatten Länder kritisiert, die ohne etwaige Zulassung einen Alleingang gehen.
Österreich im Sog der Anti-EU-Kampagne
Hinzu kommt, dass Russland und China ihre Corona-Impfstoffe einer EU-Analyse zufolge für gezielte Desinformationskampagnen gegen die EU benutzen. Beide Staaten werben schon seit Monaten aggressiv für den Bezug ihrer staatlichen Impfstoffe, betonte der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) am Mittwoch. Verbunden sei dies mit breiter Desinformation und Manipulationsversuchen, um das Vertrauen in die westlichen Konkurrenz-Vakzine, die Institutionen der EU sowie westliche Impfstrategien zu untergraben.
Die große Ankündigung könnte sich als Fettnäpfchen erweisen. Screenshot: Twitter.
Der Kanzlerpartei scheint das einerlei zu sein: Klubobmann August Wöginger hatte schon vor Wochen betont, bei der Beschaffung von Impfstoffen dürfe es keine „Scheuklappen“ geben. Jetzt wartet Österreich gespannt auf die Erfüllung der Kanzler-Zusage, spätestens am morgigen 30. April mehr als eine Viertel Million des russischen Vakzins geliefert zu bekommen.
In Deutschland, das am 26. September einen neuen Bundestag sowie eine neue Kanzlerin wählt, betrachtet man den Sputnik-Populismus auch im Lichte des Wahlkampfes: „Häufig stehen Wahlen in den Ländern an, in denen Politikerinnen und Politiker versuchen, mit Sputnik V das Impftempo zu erhöhen“, so ein Bericht des „Deutschlandfunk“, der den Umgang der EU-Staaten mit dem Impfstoff beleuchtet.
„Schwerwiegende Mängel“: Brasilien lehnt Sputnik ab
Derweil muss sich das von der Coronakrise schwer gebeutelte Brasilien von Sputnik V verabschieden. Wie am Montag bekannt wurde, lehnte das Impfgremium der brasilianischen Gesundheitsbehörde einstimmig die Zulassung des russischen Corona-Impfstoffes ab. Das technische Personal zur Überprüfung hatte zuvor „inhärente Risiken“ und „schwerwiegende Mängel“ bezüglich Information, Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität festgestellt.
Ein Problem ist dem Vernehmen nach auch, dass sich das Adenovirus im Impfstoff reproduzieren konnte. Laut Gustavo Mendes, General Manager für Arzneimittel in der Behörde, ein „schwerwiegender Defekt“. Man benötige mehr Informationen zu den Testverfahren bzw. zum Herstellungsprozess. Ähnliches konnte man bereits aus der Slowakei vernehmen, deren Arzneimittelkontrolle den Impfstoff stark kritisiert hatte. Dass Brasilien den Impfstoff ablehnt, muss angesichts der Lage im Land gute Gründe haben: im Verlauf der Pandemie ist das fünftbevölkerungsreichste Land der Erde zu einem Covid-Hotspot geworden. Seit dem Ausbruch der Pandemie hat das Land etwa 14,4 Millionen bestätigte Infektionsfälle und fast 400.000 Tote registriert.
(wb)
Titelbild: APA Picturedesk