Freitag, November 8, 2024

Trotz Protesten: Notschlafstelle Gudrunstraße geschlossen

Trotz Protesten

Die „Gudi“ zählt zum letzten Auffangnetz für Obdachlose. Mit Verweis auf Sanierungsarbeiten wurde sie nun zumindest vorläufig geschlossen, obwohl der Bedarf laut Mitarbeitern weiter groß ist. Ihre Kritik, auch an schlechten Arbeitsbedingungen, trifft den Samariterbund und die Stadt Wien.

 

Florian Bayer

Wien, 29. April 2021 | Während die zehn anderen Wiener Notquartiere coronabedingt verlängert wurden, muss jenes in der Gudrunstraße schließen. „Da will doch eh keiner hin. Man holt sich dort nur Krankheiten, es ist eng und schmutzig“, sagt ein Mittvierziger mit Lederjacke und Schnauzer in breitem Wienerisch. Er lehnt an der Sonnenseite der Johanneskirche, wo auch andere sitzen, mit denen es das Leben nicht immer gut gemeint hat. Der frühere Arbeiter war lange obdachlos, hat nun aber eine Gemeindewohnung in der Nähe bekommen. In der „Gudi“, wie die Notschlafstelle ums Eck genannt wird, hat er nie geschlafen und ist froh darüber.

Nicht alle sind das. Zwar ist der Favoritner Gemeindebau aus den 1920ern tatsächlich desolat, wie auch die Betreiber betonen. Aber noch immer besser als die Straße. Dutzende verlieren mit der Schließung ihren Schlafplatz, rund 25 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz (meist Teilzeit). Gestern Früh wurden alle Obdachlosen aus dem Gebäude gebeten, viele zogen direkt zum Keplerplatz zum informellen Solidaritätsfrühstück, das einige Mitarbeiter und linke Gruppen organisiert hatten – ein letzter Abschied.

(Solidaritäts-Frühstück am Keplerplatz. © David Lang/KOMintern)

Demos halfen nichts

„Wir brauchen sicherlich nicht weitere Kürzungen von Schlafplätzen und Schließungen von Einrichtungen, sondern das Gegenteil davon“,

schreiben die Gudi-Mitarbeiter. Viele von ihnen haben zuletzt auf verschiedenen Ebenen demonstriert. Genützt hat es nichts. Im offenen Brief kritisieren sie, dass der Grundauftrag bloß „warm, satt und sauber“ sei, „mehr sollen und dürfen wir nicht leisten“, obwohl dies nötig sei. Das jahrelange Ignorieren der Sanierungsbedürftigkeit und die „plötzliche“ Umstellung auf 24-Stunden-Betrieb ohne ausreichende Personalaufstockung hätten zu Erschöpfung und Burnouts geführt. Auch die Bewohner hätten darunter gelitten: „Es gab Phasen, in denen wir die grundlegenden Bedürfnisse der Nächtigenden nicht mehr decken können. Ein trauriger Zustand.“

Verantwortlich machen sie den Samariterbund (ASB), der die Einrichtung betreibt, sowie den Fonds Soziales Wien (FSW), der die Notschlafstellen jährlich an die verschiedenen Trägerorganisationen – u.a. Rotes Kreuz, Caritas, Johanniter, Volkshilfe – vergibt und finanziert. Bei der Recherche wird klar, dass durchaus gern die Zuständigkeit von einer Seite zur anderen geschoben wird.

FSW: „Offen für Gespräche“

„Ich kann den Eindruck der Mitarbeiter nachvollziehen, dass das Haus gut belegt war. Die Auslastung von zuletzt 85 Prozent aller Quartiere des Winterpakets zeigt aber, dass es in Wien weiterhin genug Notschlafstellen gibt“,

sagt Kurt Gutlederer, Leiter der Wohnungslosenhilfe beim Fonds Soziales Wien (FSW). Das Winterpaket sei eine „humanitäre Notmaßnahme“. Bei den meisten würden andere Hilfsangebote der Stadt greifen.

(Notschlafstelle Gudrunstraße 145 in Wien-Favoriten. © Florian Bayer)

Dass die Sanierung überfällig war, bestätigt auch er. Mitarbeiter sprechen von schimmligen Duschen und äußerst karger Möblierung in den Zimmern. „Natürlich gab es laufende Instandhaltung, doch das hat nicht mehr gereicht. Es braucht einen größeren Umbau, das geht nicht im laufenden Betrieb“, sagt Gutlederer. Die Mitarbeiter meinen, dass das sehr wohl möglich wäre.

Den Personalschlüssel von routinemäßig drei bis vier Betreuern für 75 Obdachlose hält Gutlederer für „durchaus vertretbar“, zumal Beratung und Sozialarbeit außerhalb passieren, etwa bei der Sozial- und Rückkehrberatung oder der Erstanlaufstelle P7 der Caritas. Die konkrete Arbeitssituation sei aber Sache des Trägers, also des ASB.

Dies sei auch der Grund, warum sich der FSW nie mit den Mitarbeitern ausgetauscht habe, wie diese kritisieren. Mit den Trägerorganisationen bestehe eine enge Kooperation, im Rahmen dieser wolle sich der FSW in Zukunft verstärkt mit dem Thema Personaleinsatz auseinandersetzen. Man sei offen für Gespräche mit Teams in einzelnen Einrichtungen.

Samariterbund: „Basale Grundversorgung“

Auch der ASB verweist auf die „basale Grundversorgung“, die im Zuge des Wiener Winterpakets geschehe, der über ein warmes Bett, Essen und Trinken kaum hinausgehe. Auch habe es ein Eingehen auf die Mitarbeiterwünsche gegeben, etwa eine Aufstockung um insgesamt sechs Vollzeitstellen seit Pandemiebeginn.

Dennoch: „In solch einer Krise mit sich ständig ändernden Rahmenbedingungen ist es vermutlich unmöglich, zu jedem Zeitpunkt die 100 Prozent richtigen Entscheidungen zu treffen. Dennoch haben wir es gemeinsam gut geschafft, die Versorgung der Nächtigenden in der Gudrunstraße zu erfüllen“, heißt es vom ASB zu ZackZack. Die Schließung und Sanierung sei darüber hinaus Entscheidung des FSW gewesen.

„Wir haben es versucht“

Vor Ort in der Gudrunstraße 145 wird am Tag der Schließung schon eifrig am Abbau gearbeitet. Wir wollen mit der Gudi-Leiterin sprechen, doch es gibt kein grünes Licht der ASB-Pressestelle. Die Stimmung unter den Mitarbeitern ist durchmischt, sagt Thomas (Name geändert, Anm.), der bis gestern hier gearbeitet hat: „Die Enttäuschung war groß, jetzt haben sich viele mit der Schließung abgefunden. Manche hoffen, dass sich etwas zum Besseren verändert, andere resignieren. Aber wir haben es versucht.“

Die Gudi-Mitarbeiter stünden „alle“ hinter dem Brief, sagt Thomas und verweist auf die Initiative Sommerpaket, die die Protestaktionen und sogar einen Warnstreik im März organisiert hatten. Auch Betreuer und Mitarbeiter anderer Trägerorganisationen haben sich solidarisiert. Etwa Michael Gehmacher, Betriebsrat beim ASB Wien und Teil der Initiative „sozial, aber nicht blöd“, die mehr Personal und eine Coronaprämie für die stark beanspruchten Mitarbeiter fordert.

(Im nahegelegenen Park am Keplerplatz sind nach wie vor Obdachlose anzutreffen. © Florian Bayer)

„In ganz Wien herrscht Unzufriedenheit mit Kürzungen und steigende Belastung. Unser Protest hatte eine hohe Symbolwirkung. Hoffentlich folgen bald mehr Kolleginnen und Kollegen diesem Beispiel“, sagt Gehmacher. Eines der Grundprobleme sei die jährliche Neuvergabe der Projekte, die keinen klaren Kriterien folge: „Wir müssen jedes Jahr aufs Neue um seinen Job bangen.“

Andere Häuser „komplett ausgelastet“

Thomas glaubt nicht, dass alle von der Schließung Betroffenen anderswo unterkommen können, wie es seitens des FSW heißt. Unsere Recherche bestätigt das. „Unsere Quartiere sind zu 100 Prozent ausgelastet“, heißt es von der Volkshilfe Wien auf ZackZack-Anfrage. „Unser Notquartier Haus Baumgarten war im ersten Quartal voll. Im Schnitt waren 68,4 von 70 Plätzen pro Tag belegt“, so das Wiener Rote Kreuz. In den nächsten Monaten soll es im Zuge der Coronakrise und auslaufender Stundungen zu tausenden Delogierungen kommen.

Warum wurde die Gudi geschlossen? Viele der Mitarbeiter interpretieren es als „Strafe für unsere Aufmüpfigkeit“, auch der dortige Coronacluster vom Jänner – acht Mitarbeiter und rund 20 obdachlose Männer waren erkrankt – spiele wohl eine Rolle. „Man will weitere negative Schlagzeilen vermeiden“, sagt Thomas und verweist auf die bis zu acht Personen pro Zimmer. Das Argument der Renovierung lässt er nicht gelten, diese wurde in früheren Sommern nicht gemacht, als die Gudi geschlossen war.

Wie es weitergeht

Wird die Gudi im Herbst wieder aufsperren? „Wir prüfen derzeit die Möglichkeiten, aber unser Ziel ist es schon, das Notquartier zu erhalten“, sagt Gutlederer. Generell sei es schwer, gute Standorte zu finden. Der FSW sei „ständig“ auf Objektsuche, vor allem langfristige Verträge seien schwer zu bekommen.

Rund 25 Mitarbeiter sind nun jedenfalls ohne Job. Wiedereinstellungsgarantien gibt es keine, selbst wenn das Quartier wiedereröffnet wird. Der Mittdreißiger Thomas verdiente laut eigenen Angaben fünf bis sechs Euro pro Stunde. Zu Weihnachten bekamen er und seine Kollegen eine Tasse vom ASB geschenkt, mit Aufschrift: „Ich bin systemrelevant, genau wie mein Kaffee.“ Jetzt ist er arbeitslos.

Titelbild: Florian Bayer

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