Samstag, Dezember 14, 2024

»Die Nadel im Heuhaufen«

Das ist ein Unterüberschrift

Gernot Blümel lieferte Akten in Geheimhaltungsstufe 3. Was bedeutet das für die Arbeit der Mitarbeiter im Ibiza-Untersuchungsausschuss? “Reine Schikane” sagen sie.

Wien, 07. Mai 2021 | Die österreichische Informationssicherheitsverordnung kennt vier Geheimhaltungsstufen. Die dritte – “geheim” – ist für Staatsgeheimnisse reserviert. “Ein typisches Beispiel sind Namen und Decknamen von verdeckten Ermittlern, die sich gerade im Einsatz befinden”, erklärt ein erfahrener Mitarbeiter der SPÖ-Fraktion im Ibiza-Untersuchungsausschuss.

Finanzminister Gernot Blümel lieferte am Donnerstag, nachdem der Verfassungsgerichtshof Bundespräsident Alexander Van der Bellen ersucht hatte, die Lieferung durchzusetzen, mit einem Jahr Verspätung die geforderten Unterlagen. Das Finanzminsterium stufte sie in Bausch und Bogen als “geheim” ein. Es geht um 107 Aktenordner – etwa 33.000 Seiten insgesamt. Was bedeutet das für die Parlamentsmitarbeiter, die das Material sichten und die Abgeordneten auf Befragungen vorbereiten?

Sogar die Kartons sind geheim

Schon, indem das Finanzministerium die Akten von einer Logistikfirma liefern ließ, hat es mutmaßlich Gesetzesbruch begangen. Denn nicht sicherheitsüberprüfte Personen dürfen nicht einmal die Kartons sehen, in die Akten der Geheimhaltungsstufe 3 verpackt sind – so geheim ist “geheim”. Die Kartons hätten daher eigentlich in verschließbaren Außenbehältnissen geliefert werden müssen.

In der Parlamentsdirektion habe man gestern fieberhaft nach Tresoren gesucht, erzählte SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer bei einer Pressekonferenz am Freitag. Es gebe einfach nicht genug Platz für so viele Akten hoher Geheimhaltungsstufe. Die Stahlschränke in der Parlamentsdirektion seien für die Aufbewahrung so geheimen Materials nicht sicher genug.

Was ist nun so geheim an den ausgedruckten E-Mails, die Blümel am Donnerstag lieferte? “Ich darf es Ihnen nicht sagen”, erklärt der SPÖ-Mitarbeiter. Das Finanzministerium habe eine schriftliche Begründung mitgeliefert, aber selbst diese als “vertraulich” klassifiziert. Diese Einfstufung der Akten hält der SPÖ-Referent – wie seine Kollegen von NEOS und Grünen, mit denen ZackZack sprach, ist er Jurist – für absurd. Sinn der Sache sei, dass geheime Dokumente im Ausschuss ebenso geschützt würden wie im Ministerium selbst. Dass die 33.000 Seiten Mails im Finanzministerium selbst als Geheimdokumente behandelt wurden, sei nicht vorstellbar. Die Klassifizierung sei ihrer Ansicht nach “nicht rechtens”, erklärt die Grünen-Referentin. Andere Mails aus dem Finanzministerium, die bereits zuvor geliefert worden waren, hatten die Geheimhaltungsstufe 1 (“eingeschränkt”) erhalten. Warum die Mails auf einmal so geheim wären, sei nicht erklärbar.

Über die Akten darf nur im “Bunker” gesprochen werden

Geheime Akten dürfen nur in einem abhörsicheren Raum gelesen werden. Das Parlament verfügt aber nur über einen – eine Art Bunker unter der Rampe des Parlaments. Er ist gut 10 Quadratmeter groß, zwei Arbeitsplätze befinden sich darin – für alle Abgeordneten und Mitarbeiter zusammen. “Die Liste der Leute, die da rein wollen, ist lang,” sagt der SPÖ-Referent. Die Fraktionen müssen sich untereinander abstimmen, wer wann zum Lesen kommen darf. Ein NEOS-Mitarbeiter hat bereits begonnen, Akten zu sichten. Geheime Akten dürfen nicht verfielfältigt werden, nicht einmal Abschriften sind erlaubt. Die Abgeordneten und Mitarbeiter dürfen sich lediglich handschriftliche Notizen als Gedächtnisstützen machen. Die werden dann der Parlamentsdirektion übergeben, kopiert und mit Kopierschutz versehen wieder ausgehändigt. Die ursprünglichen Notizen werden vernichtet. “und die ganze Zeit steht ein Sicherheitmann hinter dir”, erzählt der NEOS-Referent.

Wer über den Inhalt dieser Geheimakten spricht, kann bis zu drei Jahre hinter Gittern landen. Nur mit anderen Personen mit gleich hoher Sicherheitseinstufung darf geredet werden – allerdings wiederum nur im abhörsicheren Raum. Wie tauscht man sich dann aus, wie werden Abgeordnete vorbereitet? “Na gar nicht”, erklärt der SPÖ-Mitarbeiter. Außerhalb des “Bunkers” im Parlament dürfe er nicht einmal mit den Abgeordneten im Ausschuss über den Inhalt der Akten reden. Und natürlich darf auch im Ausschuss selbst vor Medienvertretern nicht über geheime Dokumente gesprochen werden.

Befragungen von Auskunftspersonen auf Basis geheimer Akten seien schon allein deshalb de facto unmöglich, weil man sich darüber nicht absprechen könne, erklärt die Grünen-Referentin. Im Ibiza-Ausschuss habe es daher auch noch keinen solchen Fall gegeben. Mit restriktiver Klassifizierung der gelieferten Akten habe sie gerechnet – nicht aber damit, dass eine solche Menge an Dokumenten als “geheim” eingestuft werde.

Zeit schinden

“Es ist unzumutbar,” findet der NEOS-Referent. “Ich habe heute acht Ordner geschafft, dann war ich fertig und konnte nicht mehr. Die Akten sind nicht geordnet, es gibt kein Inhaltsverzeichnis.” Man fange einfach irgendwo an, ohne zu wissen, was im Ordner enthalten sei und ob das überhaupt relevant sein könnte. Brauche man eine bestimmte Passage im Wortlaut, bleibe nur, sie auswendig zu lernen. Eine erste Durchsicht zeige: Da sei viel “belangloses Zeug” dabei. Der NEOS-Mitarbeiter vermutet, Blümel könnte die “Nadel im Heuhaufen” verstecken wollen.

Damit könne man schon fertig werden, hätte man unbegrenzt Zeit, sagt sein SPÖ-Kollege. Doch der letztmögliche Befragungstermin im Ausschuss ist der 15. Juli. Danach kann er nur noch mit Stimmen aus der Regierungsmehrheit verlängert werden – für die Grünen wäre das Koalitionsbruch. Der SPÖ-Referent vermutet, dass es Blümel darum ginge, Zeit zu schinden, sodass die Inhalte der Akten niht rechtzeitig ausgewertet werden könnten. “Es ist reine Schikane”, sagt er.

In zwei Monaten könne es vielleicht machbar sein, alle Akten wenigstens einmal zu sichten, schätzt der NEOS-Mitarbeiter. Dann bliebe allerdings keine Zeit mehr, Befragungen vorzubereiten. Seine Kollegin von den Grünen hält das für optimistisch. “Zwei Monate könnten sich vielleicht ausgehen, müssten wir uns nicht beim Lesen abwechseln.” Doch so werde es bestenfalls “sehr schwierig”.

(tw)

Titelbild: APA Picturedesk

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