In den vergangenen Monaten dominierten europaweit Bauernproteste die Schlagzeilen. Die Frustration der Landwirt:innen ist verständlich. Sie haben seit Jahrzehnten mit niedrigen Einkommen, fehlenden Zukunftsperspektiven und den Folgen einer verfehlten Agrarpolitik zu kämpfen.
Von Julianna Fehlinger
Anstatt den wirtschaftlichen Druck vom Rücken der Bäuer:innen zu nehmen und die Kooperation mit Konsument:innen zu unterstützen, führen die politischen Antworten noch tiefer in die Krise. Doch es gibt Alternativen.
Das Höfesterben geht weiter
Über sechzig Jahre lang haben eine falsche europäische Agrar- und Subventionspolitik (die nach Fläche fördert) die Industrialisierung unserer Landwirtschaft vorangetrieben. Sie ist nicht auf die Produktion gesunder und leistbarer Lebensmittel, sondern auf niedrige Preise und „Wettbewerbsfähigkeit“ in einem globalisierten und deregulierten Markt ausgerichtet. Daher ist sie heute in hohem Maße auf fossile Energie, Düngemittel und Pestizide angewiesen. Das hat nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Umwelt, sondern hält die Landwirt:innen auch in einem Teufelskreis aus immer höheren Ausgaben und fehlenden Einkommensgarantien gefangen.
Auch in Österreich stecken Bauern und Bäuerinnen in einem Dilemma. Trotz des Trends zu mehr Bio und regionalem Konsum hat seit 2010 jeder neunte Betrieb aufgehört. Kleine Höfe sind vom Druck des Wachsens oder Weichens besonders betroffen. Auch Bio-Betrieben bleibt am Ende des Jahres oft zu wenig übrig, um ein entsprechendes Einkommen für die geleistete Arbeit zu erhalten.
Die geheimen Gewinne von Billa, Spar und Co.
Ein Grund dafür: In Österreich haben die vier Supermarktketten Rewe (Billa und Penny), Spar, Hofer und Lidl mehr als 90 Prozent des Marktes in der Hand. Bäuer:innen haben gegen diese Marktmacht kaum Gestaltungsspielraum bei Produkten und Preisen. Und obwohl sie auf der einen Seite ums Überleben kämpfen, müssen wir alle als Konsument:innen auf der anderen Seite immer tiefer in die Geldbörse greifen.
Wie viel Gewinn die Handelsriesen mit den Lebensmittelpreisen machen und warum diese in Österreich besonders hoch sind, ist ein wohl gehütetes Geheimnis. Das bestätigt auch eine aktuelle WIFO-Studie vom 23. April. Demnach ist die Preisgestaltung im Lebensmittelsektor in Österreich höchst intransparent.
Umweltschutz gegen Bäuer:inneninteressen?
Viele Bäuer:innen sind bereit für Veränderungen. Doch die Politik muss sich endlich mit ihren wirklichen Problemen befassen: gerechte Einkommen, Arbeitnehmer:innenrechte und die Umstellung auf lokale und agrarökologische Lebensmittelsysteme. Doch der europaweite Aufschrei der Landwirt:innen wird aktuell vor allem von konservativen und rechtsextremen Parteien sowie agroindustriellen Lobbys ausgenutzt, um Klima- und Umweltziele und -verpflichtungen anzugreifen. Auf ihren Druck hin wurden am 24. April 2024 im EU-Parlament grundlegende Umweltanforderungen bei den EU-Agrarförderungen gestrichen – und zwar im Eilverfahren und ohne Folgenabschätzung.
Dabei sind Umweltgesetze und -auflagen nicht das Problem. Denn wenn wir die Klima- und Biodiversitätskrise leugnen, werden sich die Probleme, mit denen Bäuer:innen bereits jetzt unmittelbar auf ihren Höfen konfrontiert sind, nur noch verschärfen – von Hitzewellen bis hin zu Überschwemmungen und Dürreperioden. Statt Scheinlösungen bedarf es konkreter Schritte, um Umwelt, Klima und Biodiversität zu schützen sowie faire Preise für Bäuerinnen und Bauern sicherzustellen. Das scheint jedoch unvereinbar mit der aktuellen „wettbewerbsorientierten“ Ausrichtung der Agrarpolitik.
Die Konsument:innen sollen entscheiden?
Statt politische Lösungen zu finden, wird die Verantwortung für Klimaschutz und Höfesterben derzeit den Konsument:innen übertragen. Sie sollen einfach anders einkaufen. Doch warum soll ich als Konsument:in für die Rettung der Welt Verantwortung übernehmen und mehr bezahlen, wenn ich nicht einmal sicher sein kann, ob das Geld bei den Bäuer:innen ankommt? Wie kann ich durch bewussten Einkauf einen Beitrag leisten, wenn ich es satt habe, dass sich politisch nichts (oder alles in die falsche Richtung) bewegt? Wie kann kritischer Konsum – jenseits der individuellen Ohnmacht vor dem Supermarktregal – Schritte setzen, um unsere Welt zu verändern?
Für viele Konsument:innen sind Lebensmittelkooperativen (Food Coops) oder eine Dorfgenossenschaft ein Ort, an dem sie beginnen, sich mit den Strukturen der Landwirtschaft zu befassen. Dort können sie sich mit Gleichgesinnten austauschen, gemeinsam aktiv werden und aus der individuellen Ohnmacht ausbrechen.
Supermarkt für soziale Gerechtigkeit
Wie es gehen kann, zeigt der älteste, größte und erfolgreichste kooperative Supermarkt weltweit: Seit 1973 setzt sich die “Park Slope Food Coop” in New York für gutes Essen für alle ein. Für und von seinen 17.000 Mitgliedern gesteuert, bietet die Kooperative eine preiswerte und nachhaltige Alternative zu großen Supermarktketten. Das Geheimnis? Die aktive Partizipation der Mitglieder, die drei Stunden pro Monat im Supermarkt mithelfen. Dadurch wird es möglich, gute (vorrangig faire, lokale und biologische) Produkte zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Die Park Slope Food Coop dient als Vorbild für viele weitere bereits existierende und im Entstehen begriffene partizipative Supermärkte in Europa.
MILA – ein kooperativer Supermarkt in Wien entsteht
Einer dieser Märkte ist MILA, der Mitmach-Supermarkt in Wien. Bei MILA ist es besonders wichtig, dass Qualität und Leistbarkeit Hand in Hand gehen. Gutes Essen sollte für jeden zugänglich sein und darf kein Luxus sein, den sich nur wenige leisten können. Viele der Produkte bei MILA stammen aus der Region und sind bio-zertifiziert, jedoch nicht zwingend alle. MILA kauft vorwiegend bei regionalen Produzent:innen und bäuerlichen Genossenschaften und setzt auf Transparenz und Fairness. Auf den Einkaufspreis werden 30 Prozent aufgeschlagen. Das ist im Vergleich zu den großen Supermarktketten sehr wenig. Gleichzeitig zahlt MILA den Bauern und Bäuerinnen faire Preise, damit sie gut leben und klimafreundlich wirtschaften können.
Beispiele wie diese zeigen, dass es als Gesellschaft möglich ist, Verantwortung für eine klimasoziale Lebensmittelproduktion zu übernehmen: Diese Initiativen holen Konsument:innen aus der individuellen Ohnmacht vor dem Supermarktregal. Und sie ermöglichen es Bäuerinnen und Bauern durch eine nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Böden ein gutes Einkommen zu erwirtschaften.
MILA ist als Genossenschaft organsiert und hat derzeit mehr als 500 Mitglieder. Alle Informationen dazu unter: https://www.mila.wien/
WIFO Studie: Die Supermarktpreise sind in Österreich massiv gestiegen – und keiner weiß so wirklich, warum: https://www.derstandard.at/story/3000000216440/die-supermarktpreise-sind-in-oesterreich-massiv-gestiegen-und-keiner-weiss-so-wirklich-warum