Samstag, Juli 27, 2024

Erste Kassa bitte!

Der Supermarkt ist in jeder Hinsicht ein Spiegel unserer Gesellschaft: Dort findet der Klassenkampf genauso statt, wie der Kassenkampf.

Das Erste, was ich tue, wenn ich in ein anderes Land reise: Ich suche in der Nähe meines Wohnorts einen Supermarkt und gehe täglich dorthin – manchmal zwei Mal täglich. Es dient meiner Beruhigung. Und wahrscheinlich ist es der Versuch, sich ein wenig gegen das Dasein als Tourist zu wehren, als ein Fremder, der dieselben Wege ablatscht wie alle Fremden, in denselben Touristenfallen dasselbe „typische“ Essen bestellt und dieselben Dinge kauft und nach Hause mitnimmt.

Auch in Österreich gehe ich gerne in Supermärkte. Die romantische Vorstellung, dass sich dort das wirkliche Leben abspielt, ist natürlich Unsinn. Das Leben ist überall wirklich. Im Supermarkt scheint es mir nur besonders konzentriert. Hier zeigen sich die Krisen der Gegenwart: Bei eklatanter Teuerung werden Leistung und Angebot der Supermärkte rasant schlechter.

Ich bin ein Anhänger des Elfenbeinturms

Ich habe schon mit vielen Menschen darüber gesprochen, da ich mich versichern wollte, dass viele ebenfalls das wahrnehmen, was ich wahrnehme. Denn – das ist das Erstaunliche – die Medien berichten darüber nicht. So erstaunlich ist die Tatsache dann aber wieder auch nicht. Auf der äußerst empfehlenswerten Plattform Kobuk hat Tanja Neubäck einen erhellenden Artikel über die „Berichterstattung“ über Supermärkte in österreichischen Boulevardmedien geschrieben. Ihr Fazit ist, dass diese Berichterstattung nicht nur äußerst positiv ausfällt, sondern dass viele Medien praktisch Werbung für Supermarktketten betreiben, ohne dass diese als solche gekennzeichnet wäre. »Supermärkte sind gleichzeitig die größten privaten Inseratenkunden von Zeitungen«, heißt es dort.

Es ist also ein Give-and-Take. Und es gibt auch Zeiten, in denen mit der Politik ein Give-and-Take existiert. Im Präsidentschaftwahlkampf 2016 sah man auf der Autobahn viele Lkw-Anhänger des Diskonters Hofer mit der Aufschrift: »Ich bin ein Hofer-Anhänger«. Natürlich interpretiere ich jetzt nur. Ich bin ein Anhänger des Elfenbeinturms.

Selbstbedienung

Die Realität im Supermarkt ist leider nicht so rosig, wie die Yellow Press sie darstellt. Schlecht ausgebildetes Personal arbeitet dort unter schlechten Bedingungen. Die hygienischen Bedingungen haben sich ebenfalls deutlich verschlechtert. Das betrifft die Sauberkeit in der Feinkost, rund um die Kassen, aber auch Produkte, bei denen ausreichende Kühlung wichtig ist, wie etwa bei Sushi- und Maki-Sets. Im Juli 2013 hat die Arbeiterkammer Oberösterreich einen Test bei diesen vorgenommen und von zwölf Angeboten acht als »wertgemindert« und eines als »nicht für den menschlichen Verzehr geeignet« eingestuft.

Der wichtigste Kampf der Österreicher ist aber schließlich der Kassenkampf. Um ihm zu entgehen, benutze ich in letzter Zeit öfter Selbstbedienungskassen – wenn es sie gibt. (Selbstbedienung ist in Österreich eine gefährliche Drohung, ja Bedrohung.) Sicher,  anfangs ist es lästig, die Bedienung dieser Dinger in den Griff zu kriegen. Wenn man aber den Crash-Kurs geschafft hat, spart man oft Zeit und Ärger. Außer natürlich man kauft auch eine Flasche Prosecco, dann muss man auf jemand vom Personal warten, der die Altersfreigabe durchführt. In einer Billa-Filiale, wo ich einmal eingekauft habe, konnte das nur die einzige Kassierin machen, die mir zurief, sie würde zuerst die Schlange an ihrer Kassa abarbeiten und dann zu mir kommen. Womit die Selbstbedienungskassa sinnlos ist.

Kassenkampf

Trotzdem warte ich lieber dort, als am Förderband, wo die Österreicherinnen und Österreicher den Kaufvorgang dadurch beschleunigen, dass sie einem ihren Einkaufswagen in den Rücken rammen. Im Land der Bargeldverehrung ist es außerdem üblich, der Kassierin eine in der Hand aufgetürmte Sammlung von Cent-Münzen hinzuhalten, mit der Aufforderung, sie möge sich den Kaufbetrag bitte selbst zusammensuchen. Klar, dass niemand gerne diesen Job macht. Wo früher in den Schlangen der Ruf »Zweite Kassa bitte!« laut wurde, heißt es heute immer öfter: »Erste Kassa bitte!«

Ich verstehe die Frustration. Aber es gibt und gab auch Supermärkte, in denen Menschen, die dort arbeiteten, dem Geschäft eine Seele gegeben haben. Manche davon – zum Beispiel eine inzwischen pensionierte aus China stammende Mitarbeiterin eines Billa im zweiten Bezirk – wurden regelrechte Berühmtheiten. So oder so, der Supermarkt ist ein guter Spiegel der Gesellschaft, leider auch des Benehmens, der Höflichkeit und der Rücksicht auf andere.

Ein Riesenfehler

Um ehrlich zu sein: Mich locken keine Aktionen und Rabatte in Supermärkte. Ich „spare“ nicht, indem ich mir zwölf Stück von etwas kaufe, was ich nur einmal brauche. Was in den Analysen leider fehlt, ist ein genauer Blick auf die Arbeitsbedingungen. Da liegt der Hund begraben. Von vielen Diskontern weiß man seit Jahrzehnten, dass dort etliche gesetzliche Bestimmungen notorisch nicht eingehalten werden. Und der zweite Indikator wäre die Kundenzufriedenheit. Damit meine ich nicht Angebote und Preise, sondern ein allgemeines Rating für einen Supermarkt.

Die Unzufriedenheit, die man bei uns so gerne ostentativ vor sich herträgt, ist selbstgemacht. Wir haben in der Amerikanisierung und Rationalisierung der Wirtschaft der letzten Jahrzehnte auf den Menschen vergessen; den Menschen als Arbeitenden und als Konsumenten. Wenn beide zufrieden sind, geht es allen besser. Dafür hat es dann auch Sinn, einen bestimmten Preis zu zahlen. Stattdessen befördern wir das jährliche Wachstum der Gewinne von Großkonzernen. Und sind dann unzufrieden. In der Politik ist das nicht anders.

Ich träume von einem Supermarkt nach meinen Plänen. Hin und wieder zeichne ich auf ein großes Blatt, wo die Artikel aufgestellt sind – natürlich genau in der Reihenfolge meines Einkaufszettels. Und noch ein Hinweis, lieber Spar in der Blumauergasse: Die Feinkosttheke gleich links nach dem Eingang aufzubauen, war ein Riesenfehler.

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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