Die Wahlergebnisse der Städte Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck zeigen, dass es in unserem Land politisch anders aussieht, als weithin angenommen, kolportiert und prognostiziert wird. Wäre ein Österreich, in dem alle hier Arbeitenden wählen dürften, ein anderes Österreich ohne rechte Mehrheit?
Man kann sich täuschen lassen durch die ewiggleichen Behauptungen und Schein-Analysen, die durch die Medien laufen, und zumindest eines zeigen: dass der Unterschied zwischen Boulevard und Qualitätsmedien durch Regierungsgeld zugeschüttet wird. Man kann sich täuschen lassen von den sogenannten Meinungsforschern, die beispielweise vor jeder Wahl die Stimmen der FPÖ viel zu hoch einschätzen. Oder man beschäftigt sich kurz mit der Realität.
Das Ergebnis von Spitzenkandidat Florian Tursky und seiner Liste Das neue Innsbruck (de facto ÖVP) – Tursky kommt aus der JVP Tirol, war Büroleiter von Günther Platter und zuletzt Staatssekretär in der grün-schwarzen Regierung – hat jüngst gezeigt: Trotz der höchsten Wahlkampfausgaben von allen Parteien, trotz höchster Medienpräsenz, trotz falscher Prognosen, trotz Unterstützung von Ex-Kanzlern und ORF-Moderatoren, die immer mehr dazu übergehen, ihre durch das Fernsehen erreichte Popularität für Parteiwerbung zu missbrauchen, war die Kandidatur ein grandioser Misserfolg.
Sie ziehen uns hinunter
Die Mechanismen, mit der die ÖVP seit 2017 gewohnt ist, überall durchzuspazieren, greifen nicht mehr wie früher. In Graz und Salzburg hat die KPÖ zudem klar gemacht, dass man auch, wenn man von den Medien durch die Bank verdammt und verteufelt wird, gute Wahlergebnisse erreichen kann. In den Städten Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck waren die Prognosen des Wahlergebnisses der FPÖ viel zu hoch gegriffen. So wird es auch bei der Nationalratswahl im Herbst 2024 sein.
Freilich werden Wahlen in Österreich immer noch auf dem Land und immer noch von den Pensionistinnen und Pensionisten entschieden. An den Wahlstrategien von ÖVP und FPÖ sieht man, dass es keine Umorientierung gibt. Im Gegenteil: Xenophobie, Islamophobie, Law-and-Order-Parolen und arbeitnehmerfeindliche Ankündigungen (wie jüngst von Ministerin Edtstadler, die jetzt offensichtlich für Arbeit und Soziales zuständig ist) dominieren ihre Propaganda. Die gesellschaftliche Entwicklung spricht dafür, dass das nicht ewig so sein wird. Die Rechtsparteien ziehen daraus keinen anderen Schluss, als noch weiter nach rechts rücken zu müssen. Die Fleischmann-Sobotka-ÖVP, in Wahrheit eine rechte niederösterreichische Splittergruppe der ÖVP, ist immer noch an der Macht wie unter Kanzler Kurz. Sie ziehen Österreich immer tiefer hinunter; bald schon wird es auf dem Niveau Ungarns oder dem eines pseudodemokratischen Nachfolgestaats einer früheren Sowjet-Republik rangieren.
Das Aufstreben progressiver und liberaler Kräfte
Schätzt man die vier österreichischen Städte über 100.000 Einwohner zusammen grob auf 2.810.000 Einwohner, so macht die Summe 31 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Ich habe dieses Verhältnis (ebenfalls nur grob) mit den Wahlberechtigten der letzten Wahlen durchgerechnet und komme in Wien, Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt auf 2,1 Millionen Wahlberechtigte gegenüber 6,5 Millionen im Bundesgebiet, also auf 32 Prozent. Nimmt man die Städte über 20.000 Einwohner dazu, sind es 36 Prozent. Nimmt man Städte über 10.000 Einwohner dazu, sind es 44 Prozent.
Wenn man nun das Gedankenexperiment machte, dass in diesen Städten alle tatsächlich Arbeitenden wahlberechtigt wären, so ist davon auszugehen, dass die progressiven und liberalen Kräfte mehr Unterstützung hätten und ÖVP und FPÖ weiter abgeschlagen wären. Und wie erst, wenn es der SPÖ endlich gelänge, für die richtige Sozial- und Infrastrukturpolitik, die sie im Burgenland macht und in Niederösterreich zu von der ÖVP abgelehnten Koalitionsbedingungen gemacht hat, in allen ländlichen Regionen des Landes mehr Zustimmung zu bekommen?
Die vakante Mitte
Es zeigt sich, dass es auch ein anderes Österreich gibt. Oder geben könnte. Ein Österreich, das nicht rechts außen steht wie die Fleischmann-Sobotka-ÖVP, die FPÖ oder Parteien wie die Grünen, die die rechts-außen Politik mitmachen, und sich von der ÖVP mit Haut und Haaren haben fressen lassen. Ein Österreich mit links-liberalen Kräften, die in Wahrheit längst die vakante Mitte besetzen. Selbst, wenn diese Kräfte zusammen nur 45 Prozent ausmachen, ist das genug, um Demokratie und Verfassung gegen die Vorhaben des Rechtspopulismus zu verteidigen. Ein Österreich, das in manchen Bundesländern, in Städten, aber auch in vielen ländlichen Bereichen zeigt, dass es auch anders geht als uns das die ÖVP, durch die von ihr unterwanderten Medien, täglich erklären lässt.
Ein Österreich vor allem, dessen größter Feind nicht Herbert Kickl ist, sondern die Zerstörung der Demokratie, ständiger Druck auf Parlament, Justiz und Medien, der der Bundesverfassung nicht gerecht wird. Ein Österreich, das gerechte Umverteilung, Sozialpartnerschaft und demokratische Konsenspolitik lebt, und die Durchgriffsrechts-Strategien und Reichenförderung der vergangenen sechs Jahre hinter sich lässt.
Grüne Neuaufstellung
Nach den nächsten Wahlen wird vieles anders sein. Es ist vorauszusehen, dass die Grünen sich neu aufstellen werden und zu ihrem Programm und ihrer demokratischen Einstellung zurückfinden müssen. Es sei denn, sie können einer Versuchung nicht widerstehen: Sollten ÖVP und FPÖ Mandate auf die Mehrheit fehlen und die Grünen für eine Dreierkoalition gebraucht werden, wird die ÖVP ihnen das anbieten –mit dem Lockmittel, dass nicht Herbert Kickl Regierungschef wird, sondern die ÖVP trotz weniger Stimmen als die FPÖ den Kanzler stellt, wie es im Jahr 2000 schon einmal geschehen ist. Dann hätten die Grünen das Argument, sagen zu können, sie hätten Kickl als Kanzler verhindert; die Leitartikel der Zeitungen beschäftigen sich seit Monaten mit nichts anderem mehr.
Österreich anders denken
Noch wichtiger aber wäre es, dass die ÖVP nach den nächsten Wahlen eine völlige Neuaufstellung durchführt. Das Bürgertum braucht eine Partei der Mitte. Das radikalisierte Bürgertum aber führt, wie die Geschichte zeigt, direkt in Diktatur und Faschismus. Eine ÖVP ohne Fleischmann, Wöginger, Sobotka, Nehammer, Karner und Edtstadler, eine ÖVP, die nicht vom Diktat der ÖVP-Niederösterreich und des ÖAAB ständig weiter nach rechts geführt wird, würde die Demokratie in diesem Land mit einem Schlag wieder festigen. Die FPÖ hat von einem Wahlergebnis von 25 Prozent nichts. Außer: Man koaliert mit ihr. Es liegt an der ÖVP.
Ich kann mir Politik in Österreich in den nächsten Jahren anders denken als viele düstere Prognosen es tun: Eine auf breitem Konsens stehende Bewältigung der katastrophalen Finanzpolitik der letzten sechs Jahre, die wieder Kaufkraft und durch Investitionen auch Prosperität bringt. Eine gefestigte Demokratie, die darangeht, die Skandale der Vergangenheit von der Justiz in Ruhe aufarbeiten zu lassen. Ein Fokus auf gerechte Umverteilung, Re-Demokratisierung des Landes, Befreiung des ORF und der Medien von ÖVP-Parteipolitik, auf wirkliche Kulturpolitik (und nicht Leitkultur-Faschismus). All das ist möglich.
Titelbild: Miriam Moné