Samstag, Dezember 7, 2024

Maßnahmenvollzug: Regierung will Terrorverdächtige einsperren

Maßnahmenvollzug:

Terrorverdächtige sollen künftig auf Verdacht hinter Schloss und Riegel kommen – bis zu zehn Jahre lang. Wie Türkisgrün ein Kickl-Projekt umsetzen will.

Wien, 28. Mai 2021 | 2019 wollte der damalige Innenminister Herbert Kickl eine Sicherungshaft für “gefährliche Asylwerber” einführen. Der Vorstoß scheiterte. Karl Nehammer und Alma Zadic wollen nun einen ähnlichen Vorschlag umsetzen. Eine solche “Sicherungshaft” steht auch im Regierungsübereinkommen, stieß jedoch auf heftigen Widerstand von Zivilgesellschaft und Experten. Nun könnte Ähnliches über einen Umweg eingeführt werden.

Möglich werden soll das durch eine Reform des sogenannten Maßnahmenvollzugs, also Haft für psychisch kranke Rechtsbrecher. Die kann der Staat unbegrenzt wegsperren. 1.300 Menschen werden in Österreich zur Zeit auf diese Art gefangen gehalten. Viel zu viele, sagte der Europäische Gerichtshof. Menschen kommen hierzulande selbst wegen Bagatelldelikten jahrelang in den Maßnahmenvollzug. Justizministerin Alma Zadic nannte am Dienstag das Beispiel einer Lehrerin, die seit Jahren gefangen gehalten wird, weil sie eine Polizistin gestoßen hatte.

Die Regierung plant nun eine Reform des Maßnahmenvollzugs, die seit Dienstag in Begutachtung ist. Künftig soll im Regelfall nur eingesperrt werden, wer als psychisch Kranker eine Straftat begeht, die mit mindestens drei Jahren Haft bedroht ist. Wer jetzt – wie Zadic sagte – zu Unrecht im Maßnahmenvollzug ist, bleibt aber dort.

Maßnahmenvollzug für Terrorverdächtige

Über den Umweg des Maßnahmenvollzugs will die türkisgrüne Regierung auch eine vorbeugende Haft für Terrorverdächtige einführen. Möglich ist das über den §23 des Strafgesetzbuchs. Er erlaubt die Inhaftierung “gefährlicher Rückfalltäter”. Wer bereits zweimal wegen Gewalt, Vergewaltigung oder Drogendelikten wenigstens ein halbes Jahr Gefängnis ausgefasst hat, kann zusätzlich zu einer erneuten Strafe bis zu 10 Jahre eingesperrt werden – theoretisch. Denn praktisch ist der §23 totes Recht, wird also in Österreich nicht angewendet.

“Aus guten Gründen”, wie es von Seiten des “Netzwerks Kriminalpolitik” heißt. Über dieses Netzwerk beraten Richtervereinigung, die Vereinigung der Strafverteidiger, Bewährungshelfer und die führenden Strafrechtler des Landes den Gesetzgeber. Während es “höchste Zeit” sei, den Maßnahmenvollzug zu reformieren, habe sich der §23 “nicht bewährt”. Dass der vergessene Paragraf nun als Reaktion auf den Terroranschlag vom 2. November wieder hervorgeholt werde, sei “Anlassgesetzgebung.” Das “Netzwerk Kriminalpolitik” glaubt nicht, dass die Gesetzesänderung helfen würde.

Die “vorhandenen Sicherungsmittel” seien völlig ausreichend, heißt es – sofern sie angewendet werden. Zur Erinnerung: Der Allerseelen-Attentäter durfte trotz Vorstrafe wegen Terrorismus legal Waffen besitzen. Die Landespolizeidirektion hatte nach seiner Haftentlassung kein Waffenverbot über ihn verhängt. Bei der Observation des Täters hatten die Behörden versagt, wie eine Untersuchungskommission unter der Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes feststellte.

Warnungen ausländischer Dienste, dass sich der Attentäter mit bekannten Terroverdächtigen traf, in extremistischen Moscheen verkehrte und in der Slowakei versuchte, Munition für ein Sturmgewehr zu kaufen, wurden von den österreichischen Behörden ignoriert.

Kommission: Anschlag war “Staatsversagen”

Die Überwachung von Terrorverdächtigen sei zu aufwändig, teilte Innenminister Karl Nehammer am Dienstag mit. Daher brauche man eine vorbeugende Haft für “Gefährder”. Nehammer musste allerdings zugeben, dass die geplante Änderung den Attentäter vom 2. November nicht betroffen hätte, weil der erst einmal wegen Terrorismus inhaftiert gewesen war.

Statt neue Werkzeuge zu fordern, sollte die Behörden die bereits zur Verfügung stehenden anwenden, stellt die “Zerbes-Kommission” fest. Auch das “Netzwerk Kriminalpolitik” ist sich sicher: “Die Ursachen, dass der genannte Terroranschlag nicht verhindert werden konnte, liegen in mehrfachem Staatsversagen. Aus diesem Anlass eine zusätzliche Sanktion einzuführen, ist unangebracht.”

Die “Zerbes-Kommission” gab zusätzlich zu bedenken, dass eine Sicherungshaft für Terrorverdächtige ohne Verfassungsänderung nichts rechtskonform wäre. Daran scheiterte bereits Kickl. Indem der §23 ausgegraben wird, erübrigt sich eine Verfassungsänderung, erklärt Verfassungsrechtler Heinz Mayer, denn die Einweisung in den Maßnahmenvollzug sei als Folge eines Gerichtsurteils juristisch gesehen keine Präventivhaft. Verfassungsrechtliche Probleme sieht Mayer, sollten lebenslange Sanktionen daran geknüpft werden. Dazu zähle etwa auch Führerscheinentzug. Eine lebenslange Strafe ohne Wenn und Aber sehe das österreichische Rechtssystem nicht vor. “Wenn jemand keine Gefahr mehr darstellt, muss er entlassen werden”, sagt Mayer.

“Populistische Forderung”

Dass die Regierung nun einen Paragrafen reformieren möchte, der eigentlich totes Recht ist und also praktisch nicht angewendet wird, sei eine “populistische Forderung”. Der Maßnahmenvollzug brauche stattdessen eine “radikale Reform” sagt Mayer. Darauf weise auch die Volksanwaltschaft seit Jahren hin.

Das Justizminsiterium verweist auf ZackZack-Nachfrage auf die eng definierten Voraussetzungen, unter denen Terrorverdächtige in Maßnahmenvollzug kommen sollen. Die Unterbringung werde in “Hochsicherheitsbereichen getrennt von den psychich kranken Untergebrachten” erfolgen. Der Fokus im Vollzug solle auf Deradikalisierung liegen.

Wieso ist in die angekündigte Reform des Maßnahmenvollzugs das eigentliche unzuständige Innenministerium involviert und was ist sein Beitrag? Es hatte schon jene scharf kritisierte Reform der Strafprozessordnung mit ausgearbeitet, die Razzien bei Behörden verbieten sollte.

Das Innenminsiterium wollte zu dieser Frage nicht Stellung nehmen. Legistisch liege die Reform beim Justizministerium, heißt es eben dort auf ZackZack-Nachfrage. Der Entwurf sei aber “in der Regierung akkordiert.”

(tw)

Titelbild: APA Picturedesk

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