Die neue EU-Staatsanwaltschaft übernimmt jetzt die Korruptionsermittlungen gegen Tschechiens Regierungschef Andrej Babiš. Es geht um seine Doppelrolle als Premier und Ex-Eigentümer des Mischkonzerns Agrofert.
Wien, 10. Juni 2021 | Die EU-Staatsanwaltschaft (EPPO) hat ihren ersten großen Korruptionsfall. Laut französischer Nachrichtenagentur AFP sind zwei Berichte rund um den Fall Babiš an die EPPO übermittelt worden. Das bestätigte auch die Prager Staatsanwaltschaft, von der aus die Untersuchung ausgegangen war.
Interessenkonflikt wegen Doppelrolle
Der EU-Kommission war im April aufgefallen, dass in Babiš‘ Doppelrolle als Regierungschef Tschechiens und Ex-Eigentümer des Agrar-Chemie-Medien-Mischkonzerns Agrofert ein Interessenkonflikt liegen könnte. Der „Populist ohne Ideologie“, wie ihn die „Zeit“ bezeichnete, bestreitet alle damit zusammenhängenden Vorwürfe. Als damaliger Finanzminister habe der Milliardär seine Anteile im Jahr 2017 an Treuhandfonds übertragen.
Problem für ihn: es gibt öffentlich einsehbare Dokumente, die Babiš nach wie vor als Nutznießer des Konzerns ausweisen. Der Premier soll laut EU-Kommission „einen entscheidenden Einfluss“ auf die Treuhandfonds“ ausgeübt haben, wie unter anderem das Portal „Euractiv“ schreibt.
Die EPPO mit Sitz in Luxemburg ist seit Dienstag aktiv. Im Fokus ihrer Ermittlungen stehen neben Geldwäsche, Korruption, Veruntreuung und Subventionierungsbetrug vor allem Straftaten zulasten des EU-Haushalts. Besonders daran ist, dass sie Ermittlungen auf nationaler Ebene führen kann – ein Novum. Hinzu kommt die Möglichkeit, Anklage zu erheben und Haftbefehle zu beantragen. 22 Mitgliedstaaten sind Teil der EPPO, während für Dänemark eine Ausnahmeklausel gilt. Ungarn, Polen, Irland und Schweden sind keine Mitglieder der Behörde.
In Tschechien bereits Anklage
Babiš droht unterdessen Ungemach in seiner Heimat. Mittlerweile wurde Anklage erhoben. Dem Premier wird vorgeworfen, im Jahr 2007 seine „Storchennest-Farm“ zeitweise aus dem Agrofert-Konzern ausgegliedert zu haben, um an EU-Gelder für Kleinunternehmen zu kommen. Ein Misstrauensantrag gegen Babiš vorige Woche scheiterte allerdings, da sich die ehemals mit ihm koalierenden Kommunisten enthielten.
Babiš‘ Partei ANO hatte 2017 vor allem mit Anti-EU-Populismus die Wahlen gewonnen (30%), während die einst vorherrschenden Sozialdemokraten (7,3%) abgestraft worden waren. Im Oktober 2021 stehen planmäßig die nächsten Wahlen an. Laut jüngsten Umfragen liefert sich die populistische ANO (23%) mit der liberalen Piratenpartei (24%) ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
(wb)
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