Freitag, April 26, 2024

Generation Praktikum: Das Ende der Ausbeutung?

Viele junge Menschen machen schlecht oder gar nicht bezahlte Praktika. Für die Befürworter der notwendige Einstieg in die Arbeitswelt, für die Praktikantinnen oft eine finanzielle Sackgasse.

Wer einen halbwegs gut bezahlten Job finden will braucht meistens eines: Arbeitserfahrung. Die bekommt man aber erst durch Jobs – ein logisches Problem. Bleibt oft nur ein Ausweg: Ein Praktikum. Das muss man sich aber erst einmal leisten können. Wer die nötige finanzielle Rückendeckung der Familie nicht hat, kann es sich nicht erlauben, eine schlecht oder garnicht bezahlte Stelle anzunehmen.

Das EU-Parlament unterstützt das Europäische Jugendforum darin, gegen unbezahlte Praktika vorzugehen. Im Mai 2023 sprach sich das EU-Parlament dafür aus, die Regelungen für Praktika grundlegend zu überarbeiten.

Praktikum statt Einstiegsjob

Gut bezahlte Einstiegsjobs werden immer seltener, vor allem in bestimmten Bereichen. Während in der IT-Branche verhältnismäßig gute Einstiegsgehälter gezahlt werden, schauen junge Menschen in anderen Berufsfeldern oft komplett durch die Finger. Unbezahlte Praktika gibt es vermehrt im Sektor der sozialen Arbeit. Besonders häufig sind sie in der Medien-, Kultur- und Kreativbranche.

Seit der Finanzkrise 2008 nimmt laut Europäischem Jugendforum der Trend zu, Einstiegsjobs durch Praktika zu ersetzen. Das können sich jedoch nicht alle jungen Menschen leisten. Europaweit können Studienabsolventen, bei denen nur ein Elternteil ein regelmäßiges Einkommen bezieht, viermal seltener ein schlecht- oder unbezahltes Praktikum machen, als Absolventinnen mit finanzkräftigeren Eltern. Das hat Folgen für den Einstieg in den Arbeitsmarkt.

María Rodríguez Alcázar, Präsidentin des Europäischen Jugendforums kämpft seit zwei Jahren für die Abschaffung von unbezahlten Praktika. Denn diese würden junge Menschen ausbeuten: „Unbezahlte Praktika sind heute so weit verbreitet, dass sie eine Form der Ausbeutung von jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Indem sie jungen Menschen für mehrere Monate oder sogar Jahre ein Gehalt vorenthalten, untergraben sie ihre Unabhängigkeit, ihre langfristigen Berufsaussichten, ihren Sozialversicherungsschutz und wirken sich sogar auf ihre Renten aus.“

Situation in Österreich: unbezahlte Pflichtpraktika

Das österreichische Arbeitsrecht kennt kein Praktikum. Es wird lediglich zwischen einem Ausbildungs- und einem Arbeitsverhältnis unterschieden. Letzteres muss immer bezahlt werden. Wo ein Kollektivvertrag vorhanden ist, werden auch Praktikanten nach diesem bezahlt, sofern sie Arbeit verrichten müssen. Doch es gibt viele Grauzonen – meist dort, wo im Kollektivvertrag Regelungen für Praktikantinnen fehlen.

Immer wieder würden Arbeitgeber Praktika als Ausbildungsplätze ausschreiben, in denen dann aber eine Regelarbeitskraft ersetzt wird. Dieses Phänomen ist beispielsweise im Tourismus sehr häufig, wo Ferialpraktikanten mit schlechten Gehältern einen normalen Arbeitsplatz ersetzen. Sie bekommen als Vollzeitarbeitskraft oft lediglich eine Aufwandsentschädigung von zwischen 925 und 1215 Euro netto.

Noch gravierender ist die Situation jedoch bei Schülern und Studentinnen, die ein Pflichtpraktikum für ihren Bildungsabschluss absolvieren müssen. Boris Ginner von der Arbeiterkammer kennt die Zahlen: „Bei den Pflichtpraktika der Studenten ist nur rund ein Drittel bezahlt. 64 Prozent aller Studierenden, die ein Pflichtpraktikum machen, werden dafür nicht bezahlt.“ Zwar hat es Ginner zufolge durchaus Sinn, theoretisch erworbenes Wissen in Form eines Praktikums praktisch zu vermitteln, jedoch nicht ohne Bezahlung: „Es gehört politisch abgestellt, dass es unbezahlte Praktika gibt“.

Ginner weiß: „Sobald man Regelarbeitszeiten und Aufgaben zu erfüllen hat, liegt ein Arbeitsverhältnis vor. Dieses muss auch bezahlt werden“. Ihm zufolge gibt es nur eine Form des Praktikums, das keine Bezahlung vorsieht: Das Volontariat, das komplett auf Freiwilligkeit beruht. Hier kann man theoretisch kommen und gehen wann man möchte und hat keine Pflichtaufgaben zu erledigen.

Trotzdem verrichten viele Studentinnen im Rahmen ihres Praktikums Vollzeitjobs ohne dafür korrekt entlohnt zu werden, Tendenz steigend. Laut FORBA, einer Studie, die zum Thema Praktika durchgeführt wurde, liegt das daran, dass junge Studenten mit wenig Arbeitserfahrung nicht über das nötige Durchsetzungsvermögen verfügen, um ihre Rechte einzufordern. Denn unbezahlte Praktika mit Pflichtaufgaben – so etwas dürfte es nach österreichischem Recht nicht geben.

Luisa absolvierte ein Pflichtpraktikum im Gesundheits- und Sozialbereich. Sie beschwert sich in der Studie über fehlende Bezahlung: „Ich habe nix verdient, also ich war nur Praktikantin. (…) Ich finde es schade, dass ich nix bezahlt gekriegt habe, aber ich bin natürlich voll dankbar für die Erfahrungen, die ich gemacht habe. Also ich habe viel dazugelernt und viel gesehen. Aber ich habe ja doch viel gearbeitet … und da finde ich es ein bisserl unfair, dass man da nix bezahlt kriegt.“

Melanie, die Bildungswissenschaften studiert hat, sagt: „Ich habe mich immer auf Sozialpädagogik-Stellen beworben, weil ich weiß, dass viele Studienkollegen in dem Bereich arbeiten, obwohl sie NICHT fertig sind mit dem Studium. Das hat halt nie geklappt und ich habe gesehen, ich MUSS ein unbezahltes Praktikum machen, oder ich muss zumindest ein Praktikum machen. Aber ich habe nie eine bezahlte Praktikumsstelle gefunden. Das ist ziemlich schwierig, bezahlte Praktika zu finden.“ Die Studentin konnte sich das unbezahlte Praktikum nur durch Bildungskarenz leisten.

Im Bereich der freiwilligen Praktika ist die Situation in Österreich weit besser als in einigen anderen EU-Ländern. Hier werden die meisten Praktika nach Kollektivverträgen entlohnt.

EU-Parlament mit Vorstoß gegen unbezahlte Praktika

In Brüssel ziehen das Europäische Jugendforum und das Parlament an einem Strang. Der Beschäftigungsausschuss im Parlament stimmte nach Plädoyer des Jugendforums im Mai 2023 dafür, unbezahlte Praktika in der EU abzuschaffen. Zumindest die grundlegenden Lebenskosten müssten vom Arbeitgeber gedeckt werden, so der Vorstoß. Nun ist die Kommission an der Reihe, einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten, über den dann die Vertreter der Mitgliedstaaten abstimmen müssen. In Österreich ist Martin Kocher als Arbeitsminister dafür zuständig.

ZackZack hat beim Parlament, der Kommission und dem Europäischen Jugendforum nachgefragt, ob ein entsprechendes Gesetz noch vor der EU-Wahl im Juni realistisch ist. Die Einschätzung: nein. Zwar wird ein Entwurf der Kommission noch im März erwartet. Bis sich die Mitgliedstaaten auf ein Paket geeinigt haben, dürfte es jedoch noch länger dauern. Die Presseabteilung des EU-Parlaments ließ ZackZack auf Anfrage wissen: „Es hängt alles vom Zeitplan der Europäischen Kommission ab, wann die unbezahlten Praktika verboten werden. Logistisch gesehen wird es jedoch schwierig sein, einen neuen Legislativvorschlag sowohl vom Europäischen Parlament als auch vom Rat vor den Europawahlen am 9. Juni 2024 zu verabschieden.“

Ginner glaubt deshalb, dass das Problem der unbezahlten Praktika in Österreich schneller gelöst werden könnte.

Titelbild: pixabay

Daniel Pilz
Daniel Pilz
Taucht gerne in komplexere Themengebiete ein und ist trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm stecken geblieben.
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20 Kommentare

  1. Das Ende der Ausbeutung?
    Ich kenn Jemanden, der musste und wollte in Pension gehen.
    Dann musste er feststellen, dass er bei seinen 5 Mal 2 Monaten Praxis in den Ferien nur bei einem Unternehmen damals angemeldet war, obwohl der ganz normale Abrechnungen damals erhielt und auch die Bezahlung angemesen war, welche eigentlich darauf schließen lassen mussten, dass er ganz normal dort als Arbeitnehmer angemeldet war. Da es hier eine Aufbewahrungszeit von maximal 20 Jahren gibt, hatte auch die Schule wo er diese Nachweise erbringen musste, diese Daten nicht mehr gespeichert…
    Er musst hier deshalb nun aber auch noch zu Gericht gehen, auch weil ihm genau diese Zeiten auch noch fehlten, damit er auf die 45 Jahre gekommen wäre und hier damit noch in diese auslaufende Hacklerregelung.
    Obwohl er für alle Tätigkeiten Zeugen bennnen und auch die Nachfolgerunternehmen entsprechend bei Gericht für seine damaige Tätigkeit ausgesagt hatten, hat das Gericht ihm diese Zeiten trotzdem nicht zugesprochen und er hatte neben den umsonstigen Rechtskosten auch noch einen enormen Schaden in der Pension.
    Ich möchte nicht wissen, wie hier gegen die Bevölkerung gewütet wurde, aber auch auf Grund des totalen Behördenversagens und vor allem dem gekauften Medienversagens, aber auch der hier hauptsächlich zuständig sein sollenden SPÖ (Endlich hat Herr Babler hier von einem Leiden gesprochen, welches ich ihm hoch anrechnen möchte) der Öffentlichkeit das noch immer nicht entsprechend bekannt ist?

    • Selbiges gilt auch für den Präsensdienst, Zeiten die im Ausland gearbeitet wurden usw. wurden bei der Hacklerpensi auch nie angerechnet.

      • Ja das ist eine weitere bisher totgeschwiegene Schweinerei.

        Aber ich selber wurde als Reservist öfter vom BH eingezogen und meine Firma zahlte mir trotzdem weiter meinen Gehalt.
        So hatte ich schon einmal einen Pensionsstatus vor vielen Jahren angefordert, wo dann diese Zeiten doppelt mir in der Pension angerechnet wurden, da ja auch doppelt einbezahlt wurde.
        Vor ein paar Jahren hatte ich nochmals meinen Status abgefragt, da waren diese Anrechnungen plötzlich weg und war es mir nicht möglich diese wieder zu erhalten, oder eine Information zu bekommen, mit welcher Begründung das nun nicht mehr anerkannt wurde.

  2. Ein andres Thema: Die Krankenkassen scheinen kein Geld zu haben. ZB Bewilligungen scheinen absichtlich hinausgezögert zu werden.
    Vielleicht stimmt das nicht und es sind nur Einzelfälle, die halt manchmal passieren. Aber dem könnte man journalistisch nachgehen.

    • Das mit den Bewilligungen ist mir auch schon aufgefallen. Es gibt ja den Irrsinn, dass Dauermedikamente immer wieder vom Chefarzt bewilligt werden müssen wenn das Rezept von einem Wahlarzt stammt. Die Zeit muss man dann bei der Beschaffung immer einplanen inkl. etwaiger Verzögerungen.

  3. Mausfeld sagt zur Prekarisierung durch Teilzeitjobs, und (unbezahlte) Praktika sind noch schlimmer, dass die Zukunftsangst, die damit verbunden ist (für die die nachher einen “fixen” Job finden unterschwellig die Angst vor dem Abstieg, und für die die darin stecken bleiben, oder zu Leiharbeitern werden) beabsichtigt ist. Angst-Machen ist die neue Form des Regierens. Sie erzeugt sie den Ausschluss von demokratischer Teilnahme (da man mit sich selbst beschäftigt ist, und glaubt selbst alleine an seinem Unglück Schuld zu sein). Das hat den besonderen Vorteil, dass die politischen Entscheidungsträger nicht gestört werden, wenn sie für die Eliten im Hintergrund die Gesetze formen.
    ZB Mausfeld: Das Schweigen der Lämmer. oder Angst und Macht. Beides Westend.

  4. Ich sehe das Problem auch in der mangelhaften Praktikumsbegleitung bei PraktikantInnen die als “Personalersatz” eingesetzt werden. Alle Praktika sollten bezahlt und sozialrechtlich abgesichert sein.

  5. Im Sozialbereich – zumindest in OÖ- kenne ich derartiges nicht. Alle Praktikas finden im Rahmen von Ausbildungen statt. Bei Studien – Bachelor, Master – ist natürlich, so wie überall finanzielles Investment erfordert doch winkt dann in der Regel ein Job ab BAGS 8 und oft drüber hinaus. Bei jedem “normalen” Einstieg gibts die Möglichkeit die Ausbildung berufsbegleitend zu absolvieren. Also mit monatlichen Gehalt.

    • Hinzufügen muss ich noch dass Personen unter 18, die kein höheres Studium anstreben, ein freiwilliges soziales Jahr angeboten wird damit sie eine Ausbildung, mit oder ohne Diplomabschluss – z.B. Behinderten oder oder AltenfachbetreuerIn absolvieren können.

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