Kommentar
Wie macht man Werner Kogler klar, dass es falsch ist, der “Familie” über ihre schwerste Krise zu helfen? Peter Pilz kommentiert.
Peter Pilz
Wien, 16. Juni 2021 | Es gibt Sätze, die hinterlassen Spuren. Zuerst verschließt sich ihr Sinn. Aber oft lohnt sich, ihnen auf den Grund zu gehen. Am grünen Bundeskongress in Linz ist Vizekanzler und Parteichef Werner Kogler ein derartiger Satz gelungen: „Regieren ist nix für Lulus.“ Was hat er gemeint?
Es ist unbestritten, dass Minister und Vizekanzler nicht in die Hose urinieren sollen. Kogler scheint auch überzeugt, dass er selbst kein Lulu ist. Auch Kurz und Blümel, denen er am Bundeskongress offen seine Zuneigung zeigte, sind keine. Die ganze Regierungsfamilie dürfte Lulu-frei sein. Vom Standpunkt der Toilette ist das begrüßenswert.
Der politische Lulu-Sinn liegt natürlich tiefer. Kogler möchte allen die Sicherheit geben, dass er sich angesichts der Entwicklung seiner Regierung nicht in die Hose macht. Vor eineinhalb Jahren war das noch anders.
Erinnern wir uns: Bei den Regierungsverhandlungen im Winter 2019/20 waren die Verhandlungsteams auf wenig grüne Zweige gekommen. Daher zogen sich Kurz und Kogler in eine Chefrunde zurück. Kogler war beim Gang in die Klausur in der weit besseren Position, weil die Grünen für Kurz die letzte Option waren. Nach den Erfahrungen mit Kurz waren in SPÖ und FPÖ nur noch wenige bereit, sich ein weiters Mal aussaugen und wegwerfen zu lassen.
Bei der Rückkehr aus der Klausur war alles anders. Kogler und Kurz hatten sich auf ein Regierungsprogramm geeinigt, dass in früheren Zeiten wohl nur von der FPÖ unterschrieben worden wäre. Kurz konnte in der Klausur nicht nur den eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen, er konnte die Schlinge auch Kogler um den Hals hängen.
Jetzt sind beide wieder dort. Für Kurz ist die Lage fast aussichtslos. Der Plan, im Sommer triumphal die Corona-Route zu schließen, im Herbst neu zu wählen, mit der SPÖ eine Regierung zu bilden, dann das Justizministerium zu übernehmen und die drohenden Prozesse gegen ihn und seine Familie „daschlogn“ zu lassen, geht nicht auf. Das Virus bleibt, und die SPÖ hat sich intern gegen ihre Parteichefin bereits festgelegt, dass sie nicht mit Kurz regieren wird. Das „Nein“ von Herbert Kickl ist diesmal in echten Stein gemeißelt.
Kurz kann ohne Grüne nicht weitermachen. Sie sind die letzte Krücke, an der er am Abgrund entlanghumpelt. Genau da schlägt die Stunde des nicht-Lulus. Der steht auf, sieht dem Kanzler auf Augenhöhe in selbige und sagt: „Wir müssen einiges anders machen. Wir verlängern den Ibiza-U-Ausschuss. Wir führen die Klimasteuer sofort ein. Und wir holen die Kinder von Moria nach Österreich. Jetzt.“
Kurz hat die Wahl: Er kann „ja“ sagen – oder die Krücke ist weg. Wenn gewählt wird, deutet viel auf eine neue Mehrheit jenseits von ÖVP und FPÖ hin. Das ist ein Ziel für nicht-Lulus.
Natürlich hat Kogler eine Alternative. Er kann weitermachen. Er kann auf eine historische Chance pfeifen und der türkisen Familie über ihre schwerste Krise helfen. Dann könnte es passieren, dass Kurz eine WhatsApp-Nachricht an Blümel schickt: „Werner ist ein Lulu!!! ?“
Titelbild: APA Picturedesk