Gastkommentar
Wir müssen endlich ernsthaft über Armut und Reichtum in diesem Land reden. Nicht nur wegen der Corona-Pandemie und ihrer Folgen, aber auch. Denn schon lange bestehende Ungleichheiten haben sich in den vergangenen Monaten seit März 2020 massiv verstärkt.
Wien, 05. Juli 2021 | 2020 haben ATX-Manager im Schnitt rund 1,9 Millionen Euro an Gagen erhalten. Das ist – trotz größter Wirtschaftskrise der zweiten Republik – der zweithöchste Wert seit Beginn der AK Erhebung zu Managergehältern. Und es ist das 57-fache eines mittleren Einkommens.
Gleiches Jahr, gleiches Land: Laut Statistik Austria sind über 1,5 Millionen Menschen in Österreich armutsgefährdet, 350.000 davon sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist auf nie dagewesene Höhen angestiegen: Im Mai 2021 waren 181.987 Arbeitsuchende bereits mehr als zwölf Monate ohne Job. Langzeitarbeitslosigkeit erhöht das Armutsrisiko enorm. Noch ein Risikofaktor: Stundungen, etwa von Mieten und Kreditraten aus der Corona-Krise, laufen aus, große Beträge sind fällig.
Die Reichen wurden reicher
Die AK macht und verlangt daher Tempo bei der Lösung der Probleme, die durch die Corona-Krise verdeutlicht wurden – aber auch vorher schon da waren. Armut ist eines davon. Es gilt, neue Armut zu verhindern und bestehende abzubauen. Sozialminister Mückstein hat bei seinem Amtsantritt die Halbierung der Armut als Priorität genannt. Wir werden ihn an seinen Taten messen und stehen jederzeit mit Expertise bereit, wenn es um die Reduzierung von Armut geht.
Ungerechte Verteilung des Reichtums ist ein weiteres Problem – zwar nicht für die Reichen, aber für die Gesellschaft insgesamt. In Österreich gibt es laut „Moment.at“ etwa 300.000 Millionen Dollar-Millionäre. Die Reichen sind sogar im Krisenjahr noch reicher geworden, berichtet das Magazin Trend. Und was hören wir von der Politik? Lesen wir Schlagzeilen über die baldige Einführung von Vermögenssteuern? Sollen große Erbschaften endlich einen gerechten Beitrag in den Steuertopf zahlen? Mitnichten. Stattdessen kursieren asoziale Ideen wie jene, das Arbeitslosengeld zu senken – vom ohnehin schon niedrigen Niveau von 55 Prozent des vorigen Einkommens. Wir hören, dass Arbeitslose mehr Anreize brauchen, Arbeit anzunehmen – egal, ob sie der Qualifikation und dem daher zu erwartenden Einkommen entspricht oder zum Beispiel in Tirol ist, auch für Menschen aus Wien.
Österreich kann nach der Krise gerechter sein
Das sind nicht die Antworten, die wir jetzt brauchen. Wir müssen die Armut verringern und können nicht zuschauen, wie Reiche ihre Vermögen steuerfrei vermehren. Unser Ziel muss doch sein, Österreich nicht nur aus der Krise zu bringen, sondern gleichzeitig auch ein großes Stück gerechter zu machen. Ich will, dass alle Kinder die beste Bildung mit der größtmöglichen Unterstützung bekommen, damit ihnen alle Wege für ein gutes Leben offenstehen. Ich will Investitionen in umweltfreundliche Technologien und nicht Milliarden Euro Strafe zahlen, weil wir die Klimaziele nicht erreichen. Ich will gute, gut bezahlte Arbeitsplätze für Frauen – denn Applaus zahlt keine Miete. Ich will einen gut ausgebauten Sozialstaat, der den Menschen hilft, wenn sie ihn brauchen.
Das alles ist möglich, es braucht dafür nur zwei Dinge, nicht mehr – nur zwei: Das Geld und den Willen. Geld, um die wichtigen Vorhaben zu finanzieren – das wird uns, besser früher als später, zur Verteilungsfrage führen. Und den politischen Willen, Österreich nicht nur aus der Krise herauszuführen, sondern zugleich ein großes Stück gerechter zu machen – und zwar für die Vielen. Beides werden wir von der Bundesregierung vehement einfordern.
Renate Anderl ist Gewerkschafterin und Präsidentin der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte (AK).
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