Trotz EU-Kritik:
Trotz scharfer Kritik der EU setzt Kurz-Freund Viktor Orban das umstrittene Anti-Homosexuelle-Gesetz durch. ZackZack hat sich bei LGBTQ-Sprechern umgehört.
Budapest, 08. Juli 2021 | Das umstrittene Anti-LGBTQ-Gesetz ist am heutigen Donnerstag offiziell in Kraft getreten. Unter dem Vorwand des Jugendschutzes untersagt es öffentliche Darstellungen von Homosexualität, was von führenden europäischen Politikern und auch der EU-Kommission als offensichtliche Menschenrechtsverletzung qualifiziert wird.
Mehrere EU-Staaten haben das Gesetz öffentlich kritisiert. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte legte seinem ungarischen Amtskollegen Orban nahe, doch die EU zu verlassen, wenn er ihre Werte nicht mittragen wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer “Schande”. ZackZack hat sich bei den LGBTQ-Sprechern in Österreich umgehört.
“Wir dürfen nicht schweigen”
Der neueste Angriff Orbans auf die ungarische LGBTIQ-Community zeige laut SPÖ-Gleichberechtigungssprecher Mario Lindner klar, dass der “Kampf um Menschenrechte den Einsatz von uns allen braucht.” Für Lindner ist es beschämend, dass die österreichische Regierung sich erst zu Wort gemeldet hat, als der nationale und internationale Druck zu groß wurde.
“Es ist ein wichtiger Schritt, dass die EU mit harten Maßnahmen gegen diese menschenverachtende Politik vorgeht. Aber gerade wir in Österreich dürfen nicht schweigen, wenn wenige Kilometer vor unserer Grenze LGBTIQ-Personen unsichtbar gemacht, verfolgt und unterdrückt werden!“,
drängt Lindner gegenüber ZackZack.
“Es ist schändlich, dass die Regierung so leise ist”
Für den NEOS LGBTQ-Sprecher Yannick Shetty ist die Durchführung des Orban-Gesetzes ein “Wahnsinn”.
“Es ist eine absolute Grenzüberschreitung und ist der erste Schritt in Richtung Kriminalisierung bon Homosexuellen. Es sind ungarische Verhältnisse und es ist schändlich, dass die Türkis-Grüne Regierung so leise ist”
“Das sind russische Zustände”
Warum Österreich erst heute die Protestnote unterzeichnet hat ist für die Menschenrechtsprecherin Ewa Ernst-Dziedzic des grünen Koalitonspartners nicht nachvollziehbar:
„Das sind russische Zustände in Ungarn. Man verbietet Aufklärung an Schulen, man verbietet das sichtbare Tragen einer Diversität in der Gesellschaft. Da kann mir niemand erklären, dass niemand in Österreich gewusst hat, worum es geht.”
Wer das Anti-LGBTQ Gesetz, welches die Menschenrechte von LGBTQ-Personen stark einschränkt, relativiert, mache sich laut Ernst-Dziedzic mitschuldig an der Kriminalisierung einer Personengruppe aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität.
“Das alles an dem Tag, an dem vor genau 50 Jahren im Österreichischen Parlament das Totalverbot der Homosexualität fiel.”,
so Ernst-Dziedzic in einem Facebook-Post.
„Beabsichtigtes Ziel“
Bei dem umstrittenen ungarischen Anti-LGBTQ-Gesetz geht es nach Einschätzung des Historikers Krisztian Ungvary nicht um Homosexuelle, sondern um eine Herabsetzung westlicher Werte. Es gehe darum, „eine Debatte zu entfachen, wo mit dem Zeigefinger auf den Westen gezeigt werden kann“, der einerseits die ungarischen Minderheitenrechte nicht wahrnehme, andererseits „aber die Rechte der Homosexuellen durchpeitschen will“, sagte Ungvary am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal.
„Das ist das beabsichtigte Ziel zu zeigen, wie perfide und verlogen der Westen sei. Dass dabei eine komplette Gruppe aus der ungarischen Gesellschaft ausgegrenzt und gepeinigt wird, das interessiert natürlich Viktor Orban nicht“,
erläuterte Ungvary.
Foto: APA
„Nur die Spitze des Eisbergs“
Zwar sei die Empörung über das Gesetz auch in Ungarn sehr groß, „aber das Ganze ist nur die Spitze des Eisbergs“. Es gebe nämlich „jede zweite Woche ein Gesetz, das aus dem blauen Himmel fällt und die Interessen von unschuldigen Menschen verletzt“, erläuterte der Historiker gegenüber der APA.
Dass Ungarn, wie von Orban behauptet, „sehr tolerant und geduldig gegenüber Homosexuellen“ sei, stimme „überhaupt nicht“, betonte Ungvary. Die Regierungspropaganda verfehle ihre Wirkung nicht. „Dieses Gesetz rückt Homosexualität in die Nähe der Pädophilie, und das ist sowieso ein Problem in einem traditionellen Land, wie man mit Homosexualität umgeht.“ Die Wirkung dieses Gesetzes sei „klar“. „Das ist einfach eine Hetze gegen eine Minderheit.“
Gleichsetzung mit Pädophilie
Ungefähr zwei Drittel aller LGBT-Personen an Schulen in Ungarn würden Diskriminierungserfahrungen machen, ein Fünftel erlebe körperliche Gewalt. Das berichtete das deutsche Online-Magazin “Welt”. Mit einem Rückgang sei nicht zu rechnen. Denn durch das Anti-Homosexuellen-Gesetz würden LGBTQ-Menschen zunehmend stigmatisiert werden – auch und gerade weil es Themen, die Minderheiten betreffen, mit Pädophilie vermengt.
Das zeige allein schon der Titel: „Gesetz über schärfere Maßnahmen gegen pädophile Straftäter und zur Erweiterung bestimmter Gesetze zum Schutz von Kindern“. An mehreren Stellen werden immer wieder die Begriffe Homosexualität, Pornografie, Geschlechtsumwandlung und Pädophilie in einen Topf geworfen.
Orban weist Kritik zurück
Mitte Juni wurde der Gesetzestext von einer Mehrheit im ungarischen Parlament verabschiedet: 157 von 199 Abgeordneten stimmten dafür. Sie dehnt die Einschränkung von Inhalten über Homosexuelle auf Medien jeglicher Art, Online-Dienste und Filme, Vereine, Stiftungen oder den Schulunterricht aus. Betroffen wären auch ungarische Fernsehstationen, ebenso Streaming-Dienste wie Netflix. Das Gleiche gilt für Werbung, in der Homo- oder Transsexualität dargestellt wird oder entsprechend interpretiert werden kann.
Orban weist Kritik an dem Gesetz indes zurück. Während eines EU-Gipfels in Brüssel Ende Juni sagte er sogar, er sei ein Kämpfer für die Rechte Homosexueller. „Aber in dem Gesetz geht es nicht darum“, schob er nach.
(jz)
Titelbild: APA Picturedesk