Karl Nehammer hat sich beim Wiener Gipfel vor den Karren von Viktor Orbán gespannt. Putin kann zufrieden sein.
Wien, 9. Juli 2023 Vorgestern mitten in Wien: Der Redakteur des ungarischen Staatsfernsehens hat gerade mit seiner vorbestellten Frage Viktor Orbán die Chance für eine lange Suada gegen Brüssel, Soros und Ausländer gegeben. Jetzt ist eine einzige Frage eines österreichischen Mediums zugelassen. Der Redakteur der APA darf sie stellen. Folgsam nimmt er das Mikrofon und fragt die drei Herren – nach dem NATO-Beitritt Schwedens.
In einem Land mit selbstbewussten, freien Medien wären alle aufgestanden und hätten gemeinsam den Orbán-Dreibund vor die Wahl gestellt: eine Pressekonferenz mit Fragen – oder keine und damit auch nichts über Orbán, Nehammer und Serbiens Vučić in Zeitung, Radio und Fernsehen. Aber Österreich ist nicht dieses Land, weil seine Medien nicht frei und seine Journalisten nicht mutig genug sind.
Eine Frage, ein Titel
Der von Nehammer ausgewählte Fragesteller titelt dann in der APA: „Migrationsgipfel: Nehammer fährt Orbán in die Parade“. Die „Kleine Zeitung“ schreibt ab: „Nehammer äußert ungewohnt scharfe Kritik an Orbán“. Die „Kronen Zeitung“ spart sich die Mühe und setzt den APA-Titel unredigiert ins Blatt: „Migrationsgipfel: Nehammer fährt Orbán in die Parade“. So wird aus dem Kanzler, der Orbán in Wien für dessen antieuropäische und antisemitische Tiraden die Räuberleiter macht, ein Widerstandskämpfer.
Österreich ist das Einfallstor für Orbán und seinen serbischen Gehilfen Vučić. Der Wiener Kanzler richtet ihnen nicht nur eine Pressekonferenz aus. Er schert aus der Allianz der europäischen Nettozahler aus und verbündet sich mit einem Halbdiktator, der auch österreichische Steuermillionen in die eigenen Taschen leitet. Nehammer fördert den Antisemitismus, die Europafeindlichkeit, den Fremdenhass und die Korruption von Viktor Orbán. Aber warum? Das wäre die Frage gewesen, die dem APA-Redakteur zu groß war.
Putin-Spezistaaten
Die „Tagesschau“ titelt anders: „Migrationsgipfel in Wien: Treffen der Hardliner“. In Deutschland wird das, was sich in der mitteleuropäischen Nachbarschaft zusammenbraut, genau beobachtet. Man fragt sich, warum Österreich ohne erkennbare Not die Mitte der EU verlässt und ins Lager der Feinde Europas wechselt. Dabei interessiert vor allem eines: Warum droht Österreich nach Weißrussland, Ungarn und Serbien zum vierten Putin-Satelliten zu werden?
Der britische „Economist“ hat diese Frage begründet. Auf der Liste der “nützlichen Putin-Idioten” liegt Österreich in der EU gleich hinter Ungarn auf Platz zwei. Während andere ihre wirtschaftlichen Beziehungen zum Kriegstreiber herunterfahren, baut sie Österreich aus. Nach wie vor ist unser Land ein sicherer Hafen für die Immobilien und die schwarzen Kassen der Putin-Männer. Raiffeisen steckt tief im Moskauer Geschäft und ist nicht bereit, sich zurückzuziehen. Die russischen Geheimdienste FSB und SWR haben Wien zu Putins Spionagezentrale in der EU ausgebaut. Putin-nahe Netzwerke finanzieren Desinformationsportale wie „Exxpress“, Nehammer gewährt ihnen Presseförderung. Alles geht, weil sich niemand in Wien in den Weg stellt.
Das Kurz-Erbe
Aber warum geht Nehammer diesen Weg? Das hat wenig mit den Interessen Österreichs und viel mit dem Kurz-Erbe in der ÖVP zu tun. Sebastian Kurz war der Kanzler, der mit Hilfe gekaufter Zeitungen den österreichischen Kurs neu bestimmt hat: weg aus der alten Spur, rauf auf die Gleise, auf denen bisher nur der FPÖ-Zug fuhr. Kurz war überzeugt, dass man der FPÖ ihr Leibthema nehmen und es zum eigenen machen müsse. So wurde aus der christdemokratischen Partei eine Staatspartei, die von Ausländerhass und Europafeindlichkeit bis zu Medienbeherrschung und Korruption alles von Strache und Orbán übernahm.
Die Frage, ob das nach dem Kurz-Sturz anders würde, haben Johanna Mikl-Leitner und Wilfried Haslauer beantwortet. Das Ziel steht fest, und damit Kurs mitsamt Partner: Rechtsblock mit der FPÖ.
Warum Putin?
Trotzdem bleibt die Frage: warum Russland und Putin? Die ÖVP agiert hier noch nicht so offen und ungeniert wie ihr Vorbild in Budapest. Sie ist noch längst keine Putin-Partei, sondern nur die Kanzlerpartei, die ihr Geschäft mit allen machen will. Wenn einem nichts anderes einfällt, nennt man das „Brücken bauen“. Beim Wiener anti-EU-Gipfel hat man gesehen, dass sich die Führer des neuen Dreibunds noch nicht in allen Fragen einig sind. Aber der Kurs stimmt und man gehört zusammen, wie auch Nehammer betont: „Das Wichtigste ist – und das Positive -, dass wir aufgehört haben, uns gegenseitig auszurichten: Wer ist der Gute, wer ist der Schlechte?“
Ab jetzt sind Orbán, Vučić und Nehammer „gut“ – und für Putin Glücksfälle. Er weiß, dass ein siegreicher Rechtsblock auch in Österreich zuerst mit der WKStA die Unabhängigkeit der Justiz und dann die Reste der Pressefreiheit angreifen würde. Nach den ersten EU-Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit des Kickl/Nehammer-Regimes müsste sich Brüssel anhören, das „wir uns nicht dreinreden lassen“. Dann ist man dort, wo Ungarn heute ist. Viktor Orbán hat für diesen Fall längst klargemacht, dass der Weg aus Europa nicht ins Nichts, sondern zu Putin führt.
Dollfüßchen
Ein Detail sollte man nicht vergessen: Die Putin-Spezis gehören auch zu den Staaten mit den höchsten Inflationsraten in der EU. Sie verzichten auf Deckelung von Spekulationspreisen von Gas und Strom bis Lebensmittel und Mieten und weigern sich, unverdiente Rekordgewinne abzuschöpfen und Vermögen gerecht zu besteuern. Sie schützen die Reichsten und bieten der großen Mehrheit statt Schutz vor Armut Schutz vor Asylanten. Sie wirtschaften in die vollen Taschen und kaufen dazu die Propaganda des Boulevards.
Es stimmt, wir sind noch nicht soweit. Nehammer ist noch ein Dollfüßchen, nicht mehr. Doch die Weichen sind seit vorgestern gut sichtbar gestellt.