Not a Bot
Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!
von Daniel Wisser
Wien, 10. Juli 2021 | Sprachgeneratoren und Worterfinder sind heute ebenso häufig anzutreffen wie Abschreiber und Kopisten. Ihr Plagiieren bemerkt man solange nicht, solange es sich um gute Plagiate handelt. Weh tut es allerdings dann, wenn der Leser das Original erkennt, der Schreibende aber offensichtlich unbewusst gehandelt hat.
Das fällt mir in den vergangenen Jahren bedauerlich häufig im Journalismus auf, und — was noch bedauerlicher ist — auch bei guten Journalisten und in guten Medien. Was ich damit meine ist vor allem das kritiklose Übernehmen von Begriffen, die Politiker in manipulativer Absicht prägen oder verwenden.
»Hickhack« und »Wirbel um …«
Was hinter der inflationären Verwendung dieser Begriffe steht, ist vielleicht von Vielen, die sie unbedacht hinschreiben, gar nicht intendiert: demokratiefeindliche Gesinnung. Der Begriff Hickhack will uns sagen, dass es eine Debatte gibt, wie sie eben zur parlamentarischen Demokratie gehört. Die rechten Message-Controller wollen aber die Debatte nicht und setzen daher den Begriff Hickhack derogativ für eine Säule des demokratischen Diskurses ein.
Nicht besser ist das verniedlichende Wirbel um, mit dem jedes Mal ein Vergehen kleiner gemacht werden soll, ja sogar in Zweifel gezogen wird. Gab es einen VfGH-Entscheid, dass Minister Blümel dem Ibiza-Untersuchungsausschuss E-Mails zuzustellen habe und musste der Gerichtshof bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Exekution seiner Entscheidung beantragen? (Ja, das sind die Tatsachen.) Die Message-Control antwortet, es gäbe einen »Wirbel um Aktenlieferungen« (das ist die verzerrte und zum Teil falsche Darstellung) — und viele Journalisten bringen mit Copy and Paste diesen Satz in ihren Artikeln oder sogar als Schlagzeile. Auf diese Weise würden solche Medien heute über die Novemberpogrome von 1938 unter dem Titel Hickhack um Gehsteigreinigung in Wien berichten.
Maßeinheit Kunhar
Die Durchdringung journalistischer Texte mit Begriffen der Message Control sollte auch gemessen werden können. Ich schlage also eine neue Maßeinheit vor: das Kunhar. Für jedes Hickhack, für jedes Wirbel-um, für jedes Anpatzen, für jedes War-nicht-für-die-Öffentlichkeit-bestimmt, für jede Privatmeinung, für jedes War-damals-noch-nicht-auf-der-Welt und für jeden Kurz-Kreisky-Vergleich gibt es ein Kunhar. Am Ende kann die Frequenz des Einsickerns der Message Control in einen Artikel quantifiziert werden.
Dazu kommt das klassische Bewerten mit zweierlei Maß. Es fand unlängst seinen Ausdruck, als ein durchaus kritischer Journalist in einem Tweet vom Land Niederösterreich und vom Roten Wien sprach. Nun, sowohl in Niederösterreich als auch in Wien gab es Landtagswahlen. In beiden Bundesländern gibt es eine Landesregierung. Man könnte also auch sagen: das schwarze Niederösterreich und das rot-pinke Wien. Egal, der Journalist hat nach etlichen Kommentaren seinen Tweet gelöscht. Macht minus 2 Kunhar. Ich schätze, dass Twitter zurzeit auf 4.500 Kunhar pro Minute kommt. Man kann sich also ausrechnen, was auf Facebook, Tiktok und anderen Plattformen los ist, deren Namen ich gar nicht kenne.
»Anpatzen«
Wie die Privatmeinung sich nicht im Duden oder einem anderen Wörterbuch findet, so ist auch Anpatzen inexistenz; es handelt sich um die Wortschöpfung eines österreichischen Politikers und kommt ausschließlich in österreichischen Zeitungen nach 2017 vor.
Ich könnte diese Liste lange fortsetzen. Es wird uns wohl nichts übrig bleiben, als ein Wörterbuch der Message Control mitsamt den gemessenen Kunhar pro Lemma anzulegen. Und es wird ja weitaus schwieriger werden, den Kurz-Jubel und vorauseilenden Kurz-Gehorsam zu quantifizieren. Wie viele Kunhar man dafür bekommt, wenn man schon künftige Wahlergebnisse vorwegnimmt und die Geschichte Österreichs nicht rückblickend, sondern vorausblickend schreibt? Man nehme folgenden Tweet:
Darüber reden wir dann gegen Ende der nächsten Legislaturperiode, so um 2028/29 herum. Dann dürfte Kurz in etwa gleich lang regiert haben wie Kreisky und auch Vranitzky. Dann ziehen wir umfangreich Bilanz!
— Thomas Mayer (@TomMayerEuropa) May 13, 2020
Ich schätze diesen Tweet auf 120 Kunhar.
Du kannst mein Freund sein
Wir sehen, dass es mit einem Wörterbuch nicht getan ist. Mir machen noch viel schwieriger zu quantifizierende Sprechweisen Kopfzerbrechen. Unlängst unterhielt ich mich lange mit einer Oppositionspolitikerin. Sie erzählte mir von einem Gespräch, das sie mit Bundeskanzler Kurz geführt habe. Irritiert stellte ich fest, dass beide per Du miteinander waren. Ich redete sie darauf an und sie antwortete: »Egal, wo er hinkommt, er sagt immer: Ich bin der Sebastian.«
Nun gut, man muss ein aufgedrängtes Du-Wort aber nicht annehmen. Ich habe selbst einmal nicht mehr als fünf, sechs Sätze mit Sebastian Kurz gewechselt. Das war auf der Auslandskulturtagung und Kurz war damals noch Außenminister. Dennoch hat er mich konsequent mit Du angesprochen.
Auf Du und Du
Ich erinnerte mich zum Glück rechtzeitig an die erste TV-Konfrontation, die es in Österreich je gab, nämlich die zwischen dem damaligen Bundeskanzler Josef Klaus und SPÖ-Vorsitzenden Bruno Kreisky. Kreisky spricht Klaus mit Herr Bundeskanzler an, worauf dieser vorschlägt, man solle einander Dr. Kreisky und Dr. Klaus nennen. Kreisky sagt darauf: »Bitte, wenn’s dann leichter geht« — und spricht Klaus in weiterer Folge immer als Herr Bundeskanzler an. Ebenso habe ich Sebstaian Kurz konsequent weiter mit Herr Minister und per Sie angesprochen.
Ich glaube, das ist genau die richtige Methode, zu reagieren. Bei einem Du-Wort, das nicht einmal gegenseitig vereinbart wurde, ist das umso mehr der Fall. Und heutige Journalisten, die mit dem Bundeskanzler per Du sind, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass das kein gutes Licht auf ihre Arbeit wirft. Ich vergebe 100 Kunhar pro begonnenen Artikel eines Journalisten, der öffentlich zugibt, mit Kurz per Du zu sein.
Verhabert
Das Du-Wort und die Freundschaft, die Kurz offensichtlich allen anbietet, kennen wir. Sie beinhaltet ein Kritikverbot und selbstverständliche Subordination. Beides hat selbstverständlich mit Freundschaft nichts zu tun. Es ist das Sich-Verhabern mit einem Mächtigen — ein Verhältnis also, in dem niemals Gleichheit herrschen wird und kann.
Der österreichische Journalismus ist weitgehend mit Kurz und seiner Partei verhabert: weil man dafür Geld bekommt, weil man sich Vorteile erwartet oder einfach aus vorauseilendem Gehorsam. Vielleicht gibt es noch mehr Gründe. Allerdings ist auch klar: Journalismus, der sich mit den Mächtigen verhabert, ist uninteressant. Heute ist es gar nicht mehr einfach, sich sprachlich von allem abzugrenzen, was uns die Kurz-ÖVP auftischt. Ich plädiere dafür, wachsam zu sein. Ich plädiere dafür, nicht mit zweierlei Maß zu messen. Ich plädiere dafür, alles, was wir lesen, in Kunhar zu messen.
Titelbild: APA Picturedesk