Donnerstag, Oktober 10, 2024

Hebein tritt aus Grüner Partei aus – ÖVP »begeht Vetragsbruch«

ÖVP »begeht Vetragsbruch«

Mit einem lauten Knall trat die ehemalige Vizebürgermeisterin Birgit Hebein am Sonntag aus der Grünen Partei aus. Die Koalitionsmitverhandlerin warf den Türkisen „Vertragsbruch“ vor, von den Grünen zeigte sie sich enttäuscht.

Wien, 23. August 2021 | Trotz Rekordergebnis bei der Wien-Wahl 2020 ist es um Birgit Hebein ruhig geworden. Nach der Wahl hatte die Grünen-Spitzenkandidatin ihre Funktionen zurückgelegt.

Doch am Sonntag meldete sich Hebein über Facebook mit scharfer Kritik an der türkis-grünen Bundesregierung zurück. Hebein, die Anfang 2020 den Koalitionsvertrag zwischen ÖVP und Grünen mitverhandelt hatte, trat als Konsequenz aus der Grünen Partei aus. Sie ist die erste hochrangige Grüne, die aufgrund der Regierungsbeteiligung aus der Partei austritt.

“Türkis-autoritäre Richtung”

Anlass ist die Flüchtlingspolitik der türkis-grünen Bundesregierung – und hier nun vor allem die Weigerung, Menschen aus Afghanistan zu holen, wie sie betonte. Das Land gehe in eine “türkis-autoritäre Richtung”, warnte sie.

“Wie auch zuletzt auf der Demonstration ‘Leben retten jetzt’ – an der sehr viele junge Menschen und afghanische Familien teilgenommen haben – auf die kursierenden Gerüchte angesprochen, stelle ich klar: ja, es stimmt: ich habe vor einigen Tagen meinen sofortigen Austritt aus der Grünen Partei bekanntgegeben. Die grüne Politik mit all den Argumenten und Nichthaltungen erreichen nicht mehr mein Herz”, ließ sie in ihrem Posting wissen.

Viele Menschen würden auf das Kämpfen der Grünen für den Klimaschutz bauen, gab sie zu bedenken. Als Mitverhandlerin der türkis-grünen Koalition erkenne und kritisiere sie jedoch, “dass dabei unsere Demokratie, der gesellschaftliche Diskurs, der Rechtsstaat, das Parlament und die Medien sich in eine türkis-autoritäre Richtung entwickeln und der türkise Weg weitergeht, als wäre nichts gewesen”.

ÖVP “begeht Vertragsbruch”

Gefragt wären “klare grüne Haltungen und nicht Passivität”, bekrittelte die ehemaligen Kommunalpolitikerin. “Wenn wir es ehrlich betrachten, sind wir mit dem ohnehin gewagten Versuch der Strategie, mit einer Regierungsbeteiligung für eine Kurskorrektur zu sorgen, an Grenzen angelangt. Damit haben wir Hoffnung zerstört. Zumindest habe ich diesen Punkt erreicht und ziehe daher die Konsequenzen.”

Die ÖVP begehe Vertragsbruch, zeigte sich Hebein überzeugt. Denn sie handle aktuell im Widerspruch zu der Vereinbarung bei den Koalitionsverhandlungen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe zugesichert, dass Österreich “nie vorpreschen wird um Flüchtlinge aufzunehmen, aber er ist gesprächsbereit, wenn andere Länder vorangehen”.

Diese Zusage sei bereits bei der Aufnahme von Menschen aus Moria torpediert worden. Nun würden andere Länder wie Deutschland “selbstverständlich” vorangehen und zumindest versuchen, gefährdete Menschen aus Afghanistan zu holen. Der türkise Weg werde aber unbeirrt fortgesetzt. “Vielleicht unterstützt dieses Statement das Engagement von diejenigen in der Partei, wie u.a. Ewa Dziedzic und Vicky Spielmann, die für Menschenrechte einstehen”, hielt Hebein fest.

Bundes-Grüne schweigsam

In der Wiener Landespartei kommentierte man den Schritt der Ex-Chefin am Sonntag folgendermaßen: “Wir respektieren den formalen Austritt von Birgit Hebein aus der Grünen Partei, für die sie viele Jahre als Aktivistin, Abgeordnete und Vizebürgermeisterin aktiv war.” Über ihre Beweggründe könne sie selbst am besten Auskunft geben, hieß es in der an die APA übermittelten Stellungnahme.

“Für uns Wiener Grüne war und ist immer klar: Wien ist Menschenrechtsstadt. Dafür setzten wir uns auch gerade jetzt ein. Die Menschenrechte und ihre Erklärung sind unteilbar und unantastbar. Sie sind unmissverständlich, alternativlos und die größte Errungenschaft unserer Gesellschaft. Dafür treten wir als Wiener Grüne ein”, wurde betont. In Bundespartei und Parlamentsklub gab es auf APA-Anfrage keine Reaktion.

Die Wiener SPÖ äußerte Genugtuung über die ihrer Ansicht nach späte Einsicht. “Spät, aber doch hat Hebein eingesehen welch Geistes Kind Kurz in Wahrheit ist. Rund um die Koalitionsverhandlungen 2019 sah es noch anders aus. Aber dazulernen ist etwas Positives”, postete die Partei auf Twitter. Klar sei jedenfalls, so hielt man fest, dass Wien auch in Zukunft das Gegenmodell zur “inhumanen Bundesregierung” bleibe.

Hebeins Statement im Volltext:

Wie auch zuletzt auf der Demonstration “Leben retten jetzt” – an der sehr viele junge Menschen und afghanische Familien teilgenommen haben – auf die kursierenden Gerüchte angesprochen, stelle ich klar: ja, es stimmt: ich habe vor einigen Tagen meinen sofortigen Austritt aus der Grünen Partei bekanntgegeben. Die grüne Politik mit all den Argumenten und Nichthaltungen erreichen nicht mehr mein Herz.

Viele Menschen bauen auf das Kämpfen der Grünen für den Klimaschutz, für ein Überleben unseres Planeten. Als Mitverhandlerin der türkis-grünen Koalition erkenne und kritisiere ich, dass dabei unsere Demokratie, der gesellschaftliche Diskurs, der Rechtsstaat, das Parlament und die Medien sich in eine türkis-autoritäre Richtung entwickeln und der türkise Weg weitergeht, als wäre nichts gewesen. Eine Entwicklung, wo klare grüne Haltungen und nicht Passivität, sowie mangelnder Einsatz für Menschenrechte aufgrund der Machtverhältnisse gefragt wären. Wenn wir es ehrlich betrachten, sind wir mit dem ohnehin gewagten Versuch der Strategie, mit einer Regierungsbeteiligung für eine Kurskorrektur zu sorgen, an Grenzen angelangt. Damit haben wir Hoffnung zerstört. Zumindest habe ich diesen Punkt erreicht und ziehe daher die Konsequenzen. Das ist nichts, was nach meinem Rückzug aus der Parteipolitik vor fast 8 Monaten öffentlich interessant wäre.

Gäbe es da nicht einen Punkt, der durch die Gespräche wieder deutlich geworden ist: Die türkise Partei begeht Vertragsbruch. Die türkise Partei handelt im Widerspruch zu der Vereinbarung bei den Koalitionsverhandlungen: Bundeskanzler Kurz hat zugesichert, dass Österreich “nie vorpreschen wird um Flüchtlinge aufzunehmen, aber er ist gesprächsbereit, wenn andere Länder vorangehen.” Diese Zusage wurde bereits letztes Jahr im Herbst bei der Aufnahme von Menschen auf der Flucht aus Moria (intern heftig diskutiert und mit Hoffnung, dass es zu Weihnachten gelingt) und wird jetzt wieder gefährlich populistisch mit dramatischen Folgen durch Innenminister Nehammer torpediert. Andere Länder, wie Deutschland, gehen selbstverständlich voran, um zumindest zu versuchen, gefährdete Menschen aus Afghanistan zu holen (an den militarisierten Grenzen werden seit Jahren Menschen brutal ohne Verfahren zurückgeschoben), der türkise Weg wird unbeirrt unter grüner Regierungsbeteiligung fortgesetzt. Verdeutlicht auch durch die Abschiebung von SchülerInnen, obwohl im Koalitionsvertrag festgehalten wird, dass unter türkis-grün “kein Kind zurückgelassen wird”. Vielleicht unterstützt dieses Statement das Engagement von diejenigen in der Partei, wie u.a. Ewa Dziedzic und Vicky Spielmann, die für Menschenrechte einstehen.

(bf/apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Benedikt Faast

    Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.

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