EU-Schlusslicht
2019 fühlten sich noch fast 80 Prozent der Österreicher „frei“, aktuell sind es nur noch 15 Prozent. Die Pandemie hat europaweit tiefe Risse hinterlassen, zeigt eine EU-weite Studie. Das Vertrauen in die Regierungen ist bei Alt und Jung unterschiedlich.
Wien, 03. September 2021 | Die europäische Politik ist auf mehreren Ebenen tief polarisiert. Zu diesem Schluss kommt eine europaweit durchgeführte Umfrage des „European Council of Foreign Relation“. Nur 15 Prozent der Österreicher fühlen sich im Land ohne Einschränkung „frei“, damit ist man vor Deutschland das Schlusslicht.
Unfreie Gefühlslage
Zwar fühlen sich 42 Prozent im Land „teilweise frei“, doch das Ergebnis ist dramatisch. Denn ebenfalls 42 Prozent sagen, sie fühlen sich „nicht frei“. Der zweitschlimmste Wert unter 12 EU-Ländern, in denen die Umfrage durchgeführt wurde. Noch weniger “frei” fühlen sich nur die Deutschen. Überraschend: Am meisten frei fühlen sich aktuell die Ungarn. Hinter Ungarn folgen Spanien und Bulgarien.
Quelle: Screenshot ecfr.eu
2019 fühlten sich noch 78 Prozent der Österreicher „frei“, was allerdings restrospektiv abgefragt wurde. Ähnlich dramatisch ist es nur in den Niederlanden, wo sich das Freiheitsgefühl von 79 Prozent auf 19 Prozent reduziert hat.
Frage nach Verantwortung
18 Monate Pandemie und Bewältigung – bei der Frage nach der Verantwortung sind sich die Europäer uneins. Doch tatsächlich meint ein ganzes Drittel, dass jene Individuen, die sich nicht an die “Regeln und Ratschläge” der Regierung halten, für die Covid-Krise verantwortlich seien. Die “Krisenverlängerer” sind demnach für eine relative Mehrheit verantwortlich für die Situation. 16 Prozent sagen hingegen, dass die Antworten der Regierung schuld an der Krise sind. 10 Prozent sagen, dass niemand schuld sei.
Fragt man allgemeiner, ob die ungehorsamen Individuen oder die Regierung für den Ausnahmezustand verantwortlich seien, sagen 43 Prozent „Regierung“ und 48 Prozent „Individuen“. In Österreich geben allerdings 56 Prozent den Ungehorsamen die Schuld. In Frankreich sind es beispielsweise nur 36 Prozent, in Polen nur 31.
Quelle: Screenshot ecfr.eu
Angemessen?
Und wie ist die Meinung der Europäer zu monatelangen Ausgangssperren und aktuellen Zutrittsbedingunge, etwa durch „Grünen Pass“? Durchaus wohlwollend mit den Regierenden. Wieder führt Ungarn, wo 71 Prozent meinen, die Corona-Restriktionen seien „ziemlich richtig“ gewesen. 52 Prozent der Österreicher finden das, ein Viertel hätte noch strengere Maßnahmen gewollt, dass andere Viertel weniger strenge. Hier wurden Personen befragt, die sich mit Sars-Cov-2 infiziert hatten.
Quelle: Screenshot ecfr.eu
Kritischer mit der Regierung sind jedenfalls die Jüngeren. Bei Menschen unter 30 Jahren ist eher die Regierung als die ungehorsamen Individuen verantwortlich. Auch die Motivation hinter den Lockdowns sehen sie skeptischer. Trotzdem vertrauen immerhin 57 Prozent der Regierung. Über 60 sind es allerdings mehr als 70 Prozent.
Quelle: Screenshot ecfr.eu
Die Covid-Krise habe Europa „ebenso gespalten wie die Euro- und Flüchtlingskrise“, kommen die Autoren zum Schluss. Jene, die einen wirtschaftlichen Schaden davongetragen haben, sehen die Restriktionen als zu streng an.
Spaltung
Über die Beweggründe der Restriktionen sind die Europäer gespalten. Eine Mehrheit hat trotz monatelanger Beschränkungen weiterhin Vertrauen. Misstrauische glauben, dass die Regierungen Fehler vertuschen wollen würden, die „Ankläger“ würden meinen, „dass Regierungen versuchen, ihre Kontrolle über die Menschen zu erhöhen“.
Die Gesellschaft spaltet sich zwischen jenen, die glauben, dass Regierungen eine Gefahr für ihre Freiheit darstellen und jenen, die den Ungehorsam ihrer Mitbürger als bedrohlich ansehen. Die Spaltung habe sich auch zwischen den Generationen eingenistet, so die Umfrage.
Befragt wurden mehr als 16.000 Europäer im Zeitraum von Ende Mai bis Anfang Juni 2021. Man rechnet mit einer Schwankungsbreite von 3 Prozent.
(ot)
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