Die Taliban-Führung verspricht zwar “Respekt vor der Bevölkerung”, die Euphorie bei den Afghanen hält sich allerdings in Grenzen. Zu groß ist die Angst vor den Steinzeit-Islamisten.
Kabul, 10. September 2021 | Nach zwanzig Jahren Krieg und Gewalt bemühen sich die radikalen Taliban-Islamisten, ihr Image in Afghanistan und der Welt aufzupolieren. Doch selbst im eigenen Land (vor allem in der Hauptstadt Kabul) tun sie sich schwer, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen.
„Wild, schmutzig, ungebildet“
Seit die Steinzeit-Truppe am 15. August in Kabul einmarschiert ist und die Macht übernommen ist, patrouillieren dort Männer in Kampfmontur. Wer wirklich das Sagen hat, ist oft nicht zu erkennen. Die Bevölkerung in der Hauptstadt ist den Anblick der rauen Kämpfer, die meist vom Lande stammen, nicht gewöhnt. Dass diese schwer bewaffnet unterwegs sind, trägt offenbar nicht zur Vertrauensbildung bei.
Ahmad, ein Lehrer in Kabul, war noch ein Kind, als die Taliban 2001 gestürzt wurden. Er hat wie viele andere Angst und will deshalb seinen vollen Namen nicht nennen, schreibt die APA. “Die Leute in Kabul hassen sie”, sagt er voller Abscheu. “Ihr solltet sie sehen! Sie sehen wild aus, sie sind schmutzig, ungebildet, haben lange Haare und dreckige Kleidung. Sie haben überhaupt keine Manieren.” Die Menschen hätten große Angst: “Mitten auf der Straße schlagen sie die Leute mit ihren Waffen. Die Menschen haben große Angst vor ihnen.”
Respekt versprochen, Skepsis geerntet
Die Taliban-Führer erklärten unterdessen, sie wollten, dass sich Kabuls Bevölkerung sicher fühle. Sie räumen aber auch ein, dass sie vom raschen Zusammenbruch der vom Westen unterstützten Regierung überrascht gewesen seien. So sei ihnen kaum Zeit geblieben, Pläne für die Stadt und ihre mehr als fünf Millionen Menschen zu schmieden. Immer wieder betont die Taliban-Führung, sie unterscheide sich von den Hardlinern, die von 1996 bis 2001 herrschten. Es werde keine willkürlichen Strafen geben. Die Patrouillen seien angewiesen, den Menschen mit Respekt zu begegnen.
“Wenn es in irgendeinem Gebiet ein Problem gibt, sei es ein Dieb, ein Unterdrücker, ein Bewaffneter oder ein Tyrann, dann sollten die Menschen wissen, dass sie überall mit uns Kontakt aufnehmen können”, so Sejed Rahman Hejdari, ein Kommandeur der Taliban-Patrouillen in Kabul. “Lasst es uns einfach wissen, wenn es solche Probleme gibt. Wir werden dem ernsthaft nachgehen und die Kriminellen festnehmen.”
Die brutal verprügelten Journalisten Neamat Naqdi (links) and Taqi Daryabi. Bild: APA Picturedesk.
Kurz nachdem die Taliban dieses Mal die Kontrolle übernommen haben, gingen sie massiv gegen Demonstranten vor. Warnschüsse wurden abgefeuert, Menschen festgenommen und mit Gewehrkolben und Rohren traktiert. Die Taliban-Führung hat versichert, sie werde die Vorfälle untersuchen. Doch auch wegen solcher Übergriffe fällt es vielen schwer, den Versprechen der Taliban Vertrauen zu schenken. “Wenn Kinder und Frauen sie sehen, haben sie natürlich Angst vor ihnen”, sagt Rahmatullah Chan, der in Kabul lebt. “Ihre vorherige Herrschaft war schrecklich.”
Frauen fürchten um Errungenschaften
Viele Frauen bangen um die Errungenschaften der vergangenen zwanzig Jahre. Auch die Worte des Taliban-Kommandeurs Hejdari, die Menschen sollten keine Angst vor ihnen haben, “wir sind Tag und Nacht für sie da”, stimmt nicht alle vertrauensvoll. So berichtete die 22-jährige Ajescha laut APA, sie habe gesehen, wie Frauen mehrmals von Taliban geschlagen worden seien. “Das sind sehr gefährliche Leute. Sie schlagen Frauen und beleidigen sie. Es ist mir egal, was ihre Anführer sagen – sie sind vollkommen wild.”
Doch nicht alle in Kabul stören sich am Ruf der Taliban, schnell harte Strafen zu verhängen. Manch einer erhofft sich mehr Sicherheit in einer Stadt, die zahllose Anschläge erlebt hat.
(red/apa)
Titelbild: APA Picturedesk