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Wenn das AMS in die Unterhose schaut

Das ist ein Unterüberschrift

Das AMS fragt Arbeitslose nach Geschlechtskrankheiten und Geburtsfehlern. Die Antworten fließen in eine Datenbank im Ausland. SPÖ, FPÖ und Experten zeigen sich entsetzt.

 

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Johanna Jaufer

Wien, 30. September 2021 | 272 Fragen müssen Arbeitslose in ganz Österreich für das „JobIMPULS-Projekt“ ausfüllen und dabei intime Daten preisgeben. Laut übereinstimmenden Schilderungen mehrerer Klienten wird nicht freigestellt, ob man die Fragen beantworten möchte. „Zu keinem Zeitpunkt wurde mir gesagt, dass das Ausfüllen auf freiwilliger Basis erfolgt. Ich hatte immer das Gefühl, ich muss diesen Fragebogen ausfüllen“, berichtet ein Arbeitsuchender.

Daten gehen nach Deutschland

Vor Ort wird ein persönliches Login-Profil auf der Website der deutschen „Jobnet AG“ erstellt. Dort werden die Antworten unter Klarnamen eingetragen. 272 Mal wird nach persönlicher Lebenseinstellung, Charaktermerkmalen und intimen Daten zum eigenen Gesundheitszustand gefragt. Sogar Geburtsfehler, Geschlechtskrankheiten und psychische Störungen müssen Arbeitsuchende in die deutsche Datenbank eintragen. Die Fragen sind in sechs Ausprägungen von „stimmt gar nicht“ bis „stimmt genau“ im Detail zu beantworten.

Auf Herz und Nieren

Ob man im Alltag auf Notlügen zurückgreift wird genauso erfasst wie Erkrankungen von Herz, Leber, Psyche und Geschlechtsorganen. Wer den „JobIMPULS“-Fragebogen beantwortet, wird zum gläsernen Menschen. Die Daten werden bei der deutschen „Jobnet AG“ hinterlegt, die sich auf ihrer Website schon 2018 damit rühmt, vom AMS den Auftrag zur Anwendung ihrer „JobIMPULS“-Methode erhalten zu haben. ««« Link: https://www.jobnet.ag/JobnetAG/Aktuelles/2018/2018-10-24_Zuschlag_nach_europaweiter_Ausschreibung_JobIMPULS_Methode_wird_auch_in_Oesterreich_eingesetzt.php

AMS spricht von Freiwilligkeit

In einer schriftlichen Stellungnahme betont das AMS wiederholt, dass es sich um ein „Angebot“ handle, das, anders als es mehrere Klienten unserer Redaktion übereinstimmend schildern, völlig freiwillig genutzt werde. Gefragt nach dem konkreten Zweck der Erhebung betont man, „weitere Ressourcen und Ansatzpunkte für die Beratung“ gewinnen zu wollen und sich an einer „Ressourcenstärkung zu orientieren“.

Wie viele Betroffene den Fragebogen bereits ausgefüllt haben, wisse man nicht: „Das AMS hat hier keinen Zugriff auf das System“. Allerdings erwarte man, alleine in diesem Jahr noch 30.000 bis 35.000 Lizenzen für die „JobIMPULS-Methode“ der Jobnet AG abzurufen. Kostenpunkt pro Lizenz: 40 Euro. Das Projekt sei seit 2018 in Gebrauch.

SPÖ und FPÖ entsetzt

 Die Fragen bringen nichts und gehören herausgenommen, sagt SPÖ-Abgeordnete und Datenschutzsprecher Christian Drobits: „Ich will nicht, dass hinterfragt wird, wer einen Geburtsfehler hat und ich will auch nicht Suggestivfragen wie ‚Mir geht‘s meistens gut’ – das sind Suggestivfragen, die ich als langjähriger arbeitsrechtlicher Gerichtsvertreter kenne und die auch im Gericht verpönt sind. Von Freiwilligkeit sei bei solchen Fragestellungen nur sehr schwer zu sprechen. Die Praxis gehöre sofort eingestellt. Drobits zeigt sich verwundert, wieso das AMS in diese Richtung keine Handlungen setze. Zu klären sei außerdem, wer für die Sache verantwortlich sei – das AMS, der aktuelle Arbeitsminister Kocher oder die frühere Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein, in deren Amtszeit die Methode eingeführt wurde.

Auch FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch übt auf Nachfrage scharfe Kritik am Fragebogen. Sie hält es für „zynisch“, Leute in einer ohnehin schon schwierigen Situation „mit solchen Fragen zu quälen“. Belakowitsch kann sich nicht vorstellen, welchen Nutzen das AMS etwa aus dem Wissen über eine vorhandene Geschlechtskrankheit ziehen soll: „Dieser Inhalt hat nichts mit einer Vermittlung zu tun. Da hätte ich gerne die Auskunft vom AMS – was passiert, wenn ich ankreuze: ich habe eine Geschlechtskrankheit?“ Außerdem bleibe offen, wer die Fragen vorgesetzt bekommt – schließlich bezahlt das AMS für den Fragebogen.

Datenschützer und Juristen bezweifeln Zulässigkeit

Die vorab von den Klienten zu unterschreibende Einwilligungserklärung wollte das AMS uns nicht übermitteln. Sämtliche Vorschriften des Datenschutzes werden eingehalten, heißt es in der offiziellen Stellungnahme. Der Wiener Datenschützer Andreas Krisch (Mitglied des Datenschutzrates) bezweifelt das:

„Wenn nicht ausreichend klar vermittelt worden ist, dass das eine optionale Sache ist und es völlig freigestellt worden ist ob man das jetzt will oder nicht, dann wird auch daraus meiner Meinung nach eine Unzulässigkeit und damit eine Ungültigkeit der Einwilligung.“

 Rechtlich gesehen darf nur gefragt werden, was für den gesetzlichen Auftrag des AMS zur Jobvermittlung notwendig ist. Auch Arbeitsrechtsprofessor Martin Risak meldet Zweifel an der Gesetzeskonformität der Befragung an.„Wofür brauche ich diese umfangreichsten Gesundheitsdaten die weit über das hinausgehen, was ein Arzt in einer Grundanamnese machen würde?“ Ein Arbeitgeber dürfte beispielsweise solche Daten gar nicht erheben, ohne zuvor den Betriebsrat zu fragen. Auch Dienstzeugnisse dürfen nichts enthalten, was die Auffindung einer neuen Stelle erschwert. Und in der konkreten Situation beim AMS stelle sich zusätzlich die Frage nach dem Kopplungsverbot der Datenschutzgrundverordnung: „Es darf nicht der Abschluss eines Vertrags oder die Erbringung einer Leistung daran gekoppelt werden dass man zustimmt dass sensible Daten verarbeitet werden.“ Wer davon abhängig ist, sein Arbeitslosengeld von derselben Stelle ausbezahlt zu bekommen, die gleichzeitig nach intimen Gesundheitsdaten fragt, könne „gewaltig unter Druck geraten“.

Die Recherche erscheint zeitgleich auf Johanna Jaufers Podcast „Die Woche“ (dort gibt es auch eine vollständige Liste der Fragen) und ZackZack.

Titelbild: APA Picturedesk

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