Phänomen K. als flüchtige Erscheinung?
Wenn die perfekt inszenierten Bilder von Sebastian K. vergessen sind, was bleibt dann von seinen Regierungen? Und wollen wir künftig eine andere Politik?
Elsbeth Wallnöfer
Wien, 31. Oktober 2021 | Was so manchem vom einstigen Stern der neuen türkisen Bewegung in Erinnerung bleiben wird, ist weniger der Umstand, dass Kurz als Totengräber der klassisch-soliden Volkspartei in die Annalen eingehen wird. Es sind die vielen Bilder von ihm, mit denen er und sein Team das Land fluteten. Seine optische Omnipräsenz, die vielen Fotos und Pressekonferenzen, die, in Kombination mit sich stets widerholenden Gesten, dem einen Zweck dienten: eine Aura um seine Person aufzubauen. Eine Aura, die trunken machen, die alle Widersprüche vergessen lassen und eventuell aufkeimenden Zweifel ersticken soll.
Meisterwerke
Daher ist den Bildermachern wahre Meisterschaft in Sachen perfekter politischer Ikonografie zu attestieren. Die Kunst eine perfekte, jedoch seelenlose Illusion in geheiligter Unberührtheit zu erschaffen, wäre beinahe gelungen. Situativ stets einwandfrei positioniert, lichttechnisch kenntnisreich eingestellt, dynamisch, da wo es notwendig ist und von steifer gemäßigter Strenge, wo Haltung vermittelt werden will (auf der UNO-Vollversammlung). Visionär, wo Ideenreichtum vorgegaukelt werden wollte (auch in NY). Die Bildermacher des Ex-Kanzlers schufen auf eindrucksvolle Weise einen Homunkulus, der Vieler Begehren und Sehnsüchte spiegelte.
Es mag wohl dem Verlangen nach internationaler Anerkennung geschuldet sein, der Sehnsucht, sich endlich vom übermächtigen Deutschland abzusetzen, ja, gar es ihm gleichzutun und als internationaler Player zu reüssieren. Die zahlreichen Bemühungen, sich immer und immer wieder mit Deutschland zu vergleichen rührt von einer alten Wunde. Der augenfällige Wettlauf des letzten Kanzlers, es Angela Merkel gleichzutun, sich dafür in Deutschland vorzugsweise mit tendenziös rechtskonservativen ins Bild zu setzen, war grotesk.
Der segnende Blick des Sebastian K.
Da eitert ein Stachel – die großdeutsche Idealisierung – im Fleisch vor sich her und offenbart nur eines: das Österreich der letzten Stunden, lebt in totaler Selbstverkennung seiner selbst. Die unzähligen Fotos, auf denen der letzte Kanzler beim Händeschütteln mit möglichst vielen Staatsführern zu sehen ist, beabsichtigen, ihn als Primus inter Pares darzustellen, ihn als geopolitischen Player zu vermitteln – obwohl bar grundlegender geografischen Kenntnisse.
Bilder, die dagegen im Inland entstanden, zeigen ihn bevorzugt mit auf Brusthöhe halb geöffneten, ausgebreiteten Händen. Einer Geste wie eine Mischung aus Segnung und behutsamer Aufforderung zu Umarmung. Eine Attitüde, die uns aus unserer katholischen Ikonografie ins kulturelle Gedächtnis und Empfinden eingebrannt ist, die in uns ein ontologisches „Aufgehobensein“, ein Urgefühl, wecken.
Wenn wir uns am letzten Kanzler abarbeiten, dann sollten wir das nicht ohne die eigene Selbstsucht zu befragen, tun. Auch wenn die ergaunerten Zustimmungs- und Beliebtheitswerte nicht ernst zu nehmen sind, verbleiben, nach Abzug, genug Symptome, die unseren mental-nationalen Zustand erahnen lassen. Das Staatsgeschehen der Regierungen Kurz I. und Kurz II. ist daher eine mentale Verfassungs– eine Zustandskrise.
Wir – wer ist das?
Wir Österreicher wollen „wer sein“, wie man hierzulande gerne sagt, ohne zu wissen, wer wir sind. Bis ins Jahr 2017 stand in den Präambeln der Regierungserklärungen stets der kollektiv gültige Satz „Österreich ist eine Kulturnation“, wohlwissend, dass dies einer der äußerst seltenen „Rohstoffe“, unser Kapital, ist. Populisten haben es nicht so mit Kultur (weil zu freigeistig und unkontrollierbar), allein die Volkskultur ist ihnen willkommene Praxis zur programmatischen Kollektivierung und folkloristischer Uniformierung.
Wenn wir ernsthaft bemüht sind, die Jahre der letzten beiden Regierungen zu überwinden, müssen wir uns der Frage nach dem „wir“ stellen. Dies zu erörtern ist hier en Detail nicht der Platz, aber wir könnten schon mal mit „Österreich ist eine Kulturnation und ein gut funktionierender Sozialstaat, fußend auf einer soliden Verfassung, die im Einklang mit den Sozialpartnern gelebt wird. Die Zukunft des Landes will vom Ideal einer bestmöglichen ökosozialen Wirtschaft angetrieben sein“.
Österreichs Neuerfindung
Wenn wir klare Ziele schaffen, an Bewährtem vergangener Regierungen anknüpfen, brauchen wir keine schönen Bilder trügerischen Inhaltes, keine smarten, sittlich verkommenen, politisch-historisch unbeleckten Phrasenschleuderer mit ihren rhythmisch wiederkehrenden Angriffen auf die Gewaltenteilung, die der paneuropäischen Rechten die Führerschaft anbietet, keine unzähligen Pressekonferenzen und Fotos von Händen schüttelnden Männern. Genug des Zornes, Neides, der Zwistigkeiten schürender Attacken auf Flüchtlinge. Lassen wir vergangene zwei Regierungen als flüchtige Erscheinung im Leben der jungen Republik hinter uns, wenden wir uns der notwendigen Neuerfindung Österreichs zu, der Konstitution eines zeitgemäßen „wir“. (Die alte ÖVP ist mit gemeint).
Elsbeth Wallnöfer, geb. 1963 in Südtirol ist Volkskundlerin und Publizistin. Jüngste Veröffentlichtungen: “Heimat. Ein Vorschlag zur Güte” und “Tracht macht Politik”.
Titelbild: APA Picturedesk