»Kann ich nicht mehr schweigend hinnehmen«
Seit Tagen reiten die ÖVP und deren Anwälte in großen österreichischen Tageszeitungen aus, dass Sebastian Kurz „entlastet“ sei. Die Chats seien ganz anders gemeint. Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner widerspricht dem nun vehement. Er kann dies „nicht mehr schweigend hinnehmen.“
Wien, 11. November 2021 | Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner äußert sich nun zur ÖVP-Inseratenaffäre. In der “Tiroler Tageszeitung” (Donnerstag-Ausgabe) widerspricht er dem jüngsten Entlastungsversuch des ÖVP-Klubvizes August Wöginger für den mittlerweile als Bundeskanzler zurückgetretenen Sebastian Kurz. Mitterlehner will, wie er sagte, sich nicht von Kurz und dessen Anwälten “als Entlastungszeuge missbrauchen” lassen.
“Ich habe es satt, dass mein Name von Kurz und seinen Anwälten in den Mund genommen und verwendet wird, um mich als Entlastungszeuge zu missbrauchen”, sagte Mitterlehner – laut TT -Vorabmeldung – wörtlich. Er habe zu “all den unglaublichen Vorgängen nichts mehr sagen” wollen. Aber “die untauglichen Entlastungsversuche kann ich nicht mehr schweigend hinnehmen”, stellte Kurz’ Vorgänger fest.
Kurier-Artikel brachte Fass zum Überlaufen
Das Fass zum Überlaufen gebracht haben, so die TT, die Aussagen im “Kurier” von Anwalt Norbert Wess zur Verteidigung seiner Mandantin, der ebenfalls in der ÖVP-Affäre beschuldigten Ex-Familienministerin Sophie Karmasin, und vor allem die Replik darauf von ÖVP-Klubvize Wöginger. Dieser tat am Mittwoch beim Ministerrats-Doorstep kund, dass er Kurz “massiv” entlastet sehe – weil nun klar sei, dass der Chat falsch interpretiert worden sei. In Wahrheit hätte Kurz Karmasin treffen wollen, um den Rücktritt der Ministerin zu verhindern.
Der @KURIERat gibt gerade so richtig Gas. Ich glaub, die wollen *ihren* Kanzler zurück…🇦🇹🏛 pic.twitter.com/UwM8bIVzDx
— L.J Sapper (@FollowTheSapper) November 9, 2021
Update: Wöginger sieht Kurz durch aktuellen Litigation-Artikel im Kurier, der Chats über das abgemachte "Package" zwischen Schmid und Karmasin nicht erwähnt, "massiv entlastet". Die türkise Reinwaschung ihres mehrfach gefallenen Kanzlers ist in vollem Gange. 🇦🇹🏛 https://t.co/QxKpUo5blY pic.twitter.com/WeLdoYClN1
— L.J Sapper (@FollowTheSapper) November 10, 2021
Dem tritt Mitterlehner vehement entgegen: Aus dem Chatverlauf geht für ihn “klar hervor, dass es beim Treffen Kurz mit Karmasin um Meinungsumfragen ging, und nicht um Rücktritt oder Neuwahlen. Weiters sei es absurd, dass sich Kurz um Neuwahlen sorgte, weil bereits eine Umfrage im Feld war, die belegen sollte, dass Kurz bei umgehenden Neuwahlen der mit Abstand bessere Kandidat wäre.”
Wögingers Interpretation “diametral” zu Chatsverläufen
Wögingers und Wess’ Interpretation steht dem Chatverlauf, so Mitterlehner, “diametral entgegen”. Denn schon drei Tage vor dem Treffen Mitterlehners mit Karmasin hat Thomas Schmid an Kurz getwittert: “Gute News bei der Umfrage Front. Sophie weiß ich nicht, ob ich überreden konnte.” “Kann ich mit ihr reden”, antwortete Kurz. Schmid meinte daraufhin: “Ja bitte! Sie ist so angefressen wegen Mitterlehner, weil er ihr in den Rücken gefallen ist. Habe jetzt 3 Stunden mit ihr gesprochen. Und spindi (Mitterlehners Vorgänger Michael Spindelegger, Anm.) auf sie angesetzt.” Und weiter schrieb Schmid: “Wenn du ihr sagst, dass jetzt die Welt nicht untergeht. Und das Mitterlehner eben ein Arsch war usw. Hilft das sicher.” “Passt mache ich”, antwortete Kurz.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Karmasin, Kurz und “Österreich”-Herausgeber Wolfgang Fellner wegen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Der Vorwurf lautet, dass aus Mitteln des Finanzministeriums, also Steuergeld, manipulierte Umfragen eines Meinungsforschungsunternehmens in “Österreich” bezahlt wurden, die ausschließlich im parteipolitischen Interesse von Kurz waren.
Lopatka zur Kurz-Verteidigung
Ganz anders als Mitterlehner sieht dies naturgemäß die türkise ÖVP, die in Person von Reinhold Lopatka auf Mitterlehner antwortete. Der ÖVP-Abgeordnete schreibt in einer Aussendung am Donnerstag: „Ex-Vizekanzler Mitterlehner wäre gut beraten, besser zu schweigen, anstatt andere anzugreifen und so um Aufmerksamkeit zu heischen. Mitterlehner sollte sich vielmehr daran erinnern, wie oft er durch seinen respektlosen Umgang mit Ministerkollegen und engsten Mitarbeitern für große interne Verwerfungen gesorgt hat. Es wird ihm nicht gelingen, die Ereignisse von damals nun umzudeuten.“ Dass Sebastian Kurz seinen damaligen Parteichef in den Chats einen “Arsch” nannte, kritisierte Lopatka in seiner Aussendung hingegen nicht. Vielleicht würde dies nicht als “respektloser Umgang mit Ministerkollegen” für den Abgeordneten zählen.
(bf/apa)
Titelbild: APA Picturedesk