Mittwoch, September 11, 2024

Türkises Botschafterkarussell sorgt für Unmut

Der türkis-grüne Ministerrat hat 28 Leitungsfunktionen im Außenministerium beschlossen. Unter den Auserwählten befinden sich mehrere Kurz-Vertraute, zum Teil mit wenig Erfahrung. Stimmen aus Diplomatie und Politik sehen das kritisch.

Wien, 16. Dezember 2021 | Zwei Wochen nach dem Rücktritt von Ex-Kanzler Sebastian Kurz darf sich ein Teil seiner Gefährten freuen. Am gestrigen Mittwoch hat der Ministerrat Leitungsfunktionen der österreichischen Diplomatie beschlossen. Ergebnis: Kurz-Vertraute sind noch einmal ordentlich belohnt worden. Für Kritiker ist klar, dass Nähe und Loyalität zum türkisen Projekt entscheidend gewesen sind. Kein gutes Vorzeichen für künftige Besetzungen.

Türkise Top-Jobs

So wird Kurz’ europapolitische Beraterin Barbara Kaudel-Jensen Botschafterin in Paris und bekommt damit einen der begehrtesten Posten überhaupt. Zuletzt war sie Sektionschefin im Kanzleramt, einen Botschafterposten hatte sie allerdings noch nie. Das war bisher eine Voraussetzung, um an einen absoluten Top-Job wie den in Paris zu kommen.

Auch der langjährige Pressesprecher des Ex-Kanzlers, Etienne Berchtold, staubt ab: er geht nach Abu Dhabi. Wie Kaudel-Jensen hat er keinerlei Vorerfahrung als Botschafter vorzuweisen. Er war auch noch nie Leiter einer Abteilung oder Sektion im Außenamt, lediglich europa- und sicherheitspolitischer Assistent. Kurzzeit-Außenminister Michael Linhart, der ausreichend qualifiziert ist, wird Botschafter in Berlin. Zuvor war er schon Botschafter in Paris. Fraglich ist allerdings, ob und wann sich Linhart für den Posten beworben hat (ZackZack berichtete). Die Ausschreibung endete bereits zwei Wochen nach seiner Bestellung zum Minister.

„Jetzt ist alles vorbei“

Aus hochrangigen Diplomatenkreisen heißt es, dass die Entscheidungen des Ministerrats weitreichende Konsequenzen haben dürften. „Jetzt ist alles vorbei“, alte Gepflogenheiten seien endgültig über Bord geworfen worden, so die Kritik. Dafür verantwortlich sei Außenminister Schallenberg, der über die Parteiloyalität hinausgehend Kanzlernähe als wichtigstes Kriterium im Haus eingeführt hätte. „Wenn jetzt andere ans Ruder kommen, nehmen die sich ein Beispiel an den Türkisen und besetzen Posten ebenfalls nach ihren Wünschen“, vermutet ein leitender Diplomat.

Gerade die Personalie Kaudel-Jensen sorgt für Unmut. Ohne jegliche Vorerfahrung als Botschafterin einen der höchsten Posten im Ausland zu bekommen, sei bisher ein No-Go gewesen. Bei Linhart verhalte es sich etwas anders. Der sei zwar qualifiziert genug, wirke aber aufgrund seines Kurzzeit-Intermezzos als Minister wie eine politische Verschubmasse. Dem Vernehmen nach wollte man Linhart nicht wieder zurück nach Paris schicken, da das vor Ort den Eindruck eines Regierungschaos in Wien verstärkt hätte, wie auch die „Presse“ berichtete. Der Fall Berchtold sei grenzwertig, da es sich bei Abu Dhabi eher um eine kleine Botschaft handle, heißt es aus hochrangigen Außenamtskreisen. Berchtold bringt aber eine interessante Zusatzqualifikation mit: er war mal als Assistent des Österreich-Chefs der Ölfirma Shell tätig, die seit mehr als 80 Jahren in den Emiraten vertreten ist.

Angst vor Abwanderung der Exzellenz

NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter sagt im Gespräch mit ZackZack, er gönne zwar jeder und jedem einen schönen Botschafterposten. Allerdings müsse Qualifikation die oberste Prämisse bei der Auswahl sein. Augenscheinlich müsse man sich derzeit aber bei einer Partei oder eher noch „einer Partie (der türkisen, Anm.)“ anbiedern. „Ich möchte, dass hervorragende Leute im Außenamt arbeiten bzw. uns im Ausland vertreten, und nicht türkise Berater. Leider lebt das System Kurz noch weiter“, so Brandstätter. Österreich laufe damit Gefahr, exzellente Leute für den diplomatischen Dienst zu verlieren, wenn klar sei, dass Parteiloyalität mehr zähle als die Ausbildung.

Insgesamt beschloss der Ministerrat am Mittwoch die Besetzung von 28 Leitungsfunktionen. Um die neuen Funktionen auch antreten zu können, fehlen den Auslandsvertretern der Republik noch sogenannte Agréments, also Akkreditierungen des jeweiligen Empfangsstaates. Außerdem müssen die Beglaubigungsschreiben des Bundespräsidenten übergeben werden.

(wb)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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