Krisenmodus
In der ZackZack-Redaktion ist immer etwas los. Den wöchentlichen Einblick gibt diesmal Thomas Walach. Es geht um Sobotka in der Badewanne, einen Computer in der Schubkarre und die geheime Emailadresse des Sebastian Kurz.
Wien, 22. Jänner 2022 | Freitagabend kommen Babsi Piontek und ich nach der Arbeit so ins Reden. Wir tauschen, alten Veteranen gleich, Kriegsgeschichten aus dem Ibiza-Untersuchungsausschuss aus. Gerade in den Nachtstunden waren meist nur noch vier Journalisten im Ausschusslokal: Die unermüdlich tickernde Renate Graber („Standard“), Jürgen Klatzer (orf.at), Babsi Piontek (damals noch „Puls 24“) und Thomas Oysmüller oder ich für ZackZack.
Da hat jeder seine Lieblingserinnerungen. Babsi kann auf Wunsch eine mehrstündige Live-Performance der Befragung von Kathrin Glock abliefern (in allen Rollen: Babsi Piontek). Die Show gipfelt in dem verzweifelten Aufschrei Glocks, John Travolta endlich in Ruhe zu lassen, und das sagt genug über dieses denkwürdige Ereignis.
Die hygienische Pause
Ich persönlich halte die Befragung von Kanzler-Assistentin und gegenwärtigem Love-Interest Andreas Gabaliers, Lisa Wieser, für das Highlight des Ausschusses. Der Abend beginnt mit einem furiosen Verzögerungsversuch des Vorsitzenden Sobotka. Der hat die bemerkenswerte Angewohnheit, jedes Mal, wenn er aufs Klo muss, eine „hygienische Pause“ anzuordnen. (Warum der Nationalratspräsident nicht einfach nur eine Pause ausruft, anstatt stets ausdrücklich seine bevorstehende Entleerung anzukündigen, weiß ich nicht.)
Nun werden diese „hygienischen Pausen“ Sobotkas immer dann auffällig lang, wenn als letzte Auskunftsperson jemand geladen ist, den die ÖVP lieber nicht im Ausschuss sehen will. Nach 18:00 darf keine Befragung mehr begonnen werden. Dann muss man – leider, leider – auf die Auskunftsperson verzichten.
18:00 ist noch weit entfernt, als die Befragung Lisa Wiesers beginnen soll; die Abgeordneten haben in weiser Voraussicht bei der vorigen Auskunftsperson auf den Großteil ihrer Fragezeit verzichtet. Dennoch kündigt Sobotka eine Pinkelp… ah, „hygienische Pause“ an. Die zieht sich so lang, dass man beginnt, sich Sorgen um den Vorsitzenden zu machen.
Dem SPÖ-Fraktionsvorsitzenden Krainer schwebt eine erstaunliche Erklärung vor. In die gespannte Stille im Saal bittet er: „Kann mal jemand nachschauen, ob der Vorsitzende ein Vollbad nimmt?“
Ein Suchtrupp wird losgeschickt, der frisch hygienisierte Vorsitzende herbeigeschafft. Dass der Präsident des Nationalrats sich vor den Abgeordneten auf dem Klo versteckte, steigert die Erwartungshaltung an die kommende Befragung erheblich.
Kinderwagen oder Schubkarre, Hauptsache, Laptop!
Die hat aber zunächst etwas von Zähne ziehen. Doch dann! Wir haben alle noch lebhaft in Erinnerung, dass Finanzminister Blümel sich nicht mehr erinnern konnte, ob er einen Laptop gehabt hatte. Und da sagt Wieser – die Assistentin des Bundeskanzlers – auf die harmlose Frage der Abgeordneten Kucharowits, ob sie einen Laptop hatte, den bemerkenswerten Satz: „Also ich glaube, dass ich damals keinen Laptop hatte.“
Entschuldigung, aber wir liegen vor Lachen am Boden. Alle. Abgeordnete, Mitarbeiter, Journalisten. Nur Kucharowits bewahrt die Nerven. „Sie glauben oder wissen es?“ „Vielleicht geteilt mit Gernot Blümel!“ prustet der Abgeordnete Matznetter.
Nach einigem Hin und Her erinnert sich Wieser dann immerhin, dass sie einen Computer verwendete (die Digitalisierung macht vor keinem Halt!), aber ob das nun ein Laptop war? Kucharowits hebt ihren eigenen Laptop hoch, um den Unterschied zu verdeutlichen, es hilft nichts. Wieser will es partout nicht einfallen, man solle doch in der IT-Abteilung des Kanzleramts nachfragen usw.
Alle haben eben ihre Fassung wiedergefunden, als Matznetter per nicht protokolliertem Zwischenruf eine letzte Eselsbrücke anbietet: „Wenn Sie den Computer mit nach Hause genommen haben, haben Sie da eine Scheibtruhe gebraucht?“ Ich gebe zu, ab dann ist es durchgehend heiter.
Der Abgeordnete Fürlinger entdeckt in sich einen frühen Robespierre und hält ein Plädoyer zur Ermahnung des Ausschusses und zur Verteidigung der gedächtnisschwachen Jugend. Es sei „zum Schämen für das Hohe Haus, was hier herinnen passiert.“ Das finde ich auch. Bis heute hege ich aber den Verdacht, dass Fürlinger gar nicht die Dreistigkeit der Auskunftsperson gemeint haben könnte.
Das Staatsgeheimnis
In derselben Nacht werden noch ein Staatsgeheimnis enthüllt und eine mutmaßliche Straftat aufgedeckt. Kanzler Kurz, der stets behauptete, alle Mails aus seiner ersten kurzen Amtszeit wären vernichtet, war bei seinem eigenen Auftritt vor dem Ausschuss gefragt worden, wie viele Maildressen er genutzt hätte. Antwort: Zwei, die offizielle des Kanzleramts und die der Partei nämlich. Und sonst keine? „That’s it.“, hatte Kurz gesagt.
Lisa Wieser hat offenbar das Protokoll von Kurz Befragung nicht aufmerksam gelesen, oder die Brisanz der Frage der Abgeordneten Tomaselli nicht verstanden, als die wissen will „ob es noch weitere E-Mail-Adressen gibt?“ Wieser: „Also es gibt noch eine halb private E-Mail-Adresse.“
Alle im Saal spitzen die Ohren. Hat die Assistentin des Bundeskanzlers ihn gerade der Falschaussage im parlamentarischen Untersuchungsausschuss überführt? Und als Draufgabe gleich noch auf eine brisante, bisher unbekannte Informationsquelle hingewiesen?
Tomaselli, mit Schalk im Nacken: „Halb privat heißt ja auch halb beruflich. Würden Sie uns die bitte nennen?“
Es beginnt ein halbstündiges Ringen, in dessen Verlauf die Abgeordneten der ÖVP die „halb private“, „halb berufliche“ Mailadresse des Kanzlers einmal als Staatsgeheimnis, einmal als Privatsache des Bürgers Kurz behandelt wissen wollen. Der Abgeordnete Ofenauer verschluckt sich an seiner eigenen Erregung (Zwischenruf Matznetter: „Nicht stottern!“), eine geheime Sitzung wird verlangt, die Vertrauensperson Wiesers versucht, sich Rat am Handy zu holen, die Abgeordnete Krisper protestiert dagegen, ein Hauch von Staatskrise liegt in der Luft.
Irgendwann gelingt es dem stellvertretenden Verfahrensrichter Rohrer, für Ruhe zu sorgen. Er sei sicher, dass die Anwesenden Journalisten die Persönlichkeitsrechte des Kanzlers wahren und die Adresse nicht veröffentlichen würden.
Kanzler Kurz und die Meeressäuger
Alle Köpfe drehen sich zu den Sitzplätzen der Journalisten. Graber, Klatzer, Piontek und Walach nicken stumm, wie Kinder, denen man ein Eis verspricht, wenn sie brav sind. Wir haben uns bis heute daran gehalten. Aber Kurz kann diese Adresse nicht mehr benutzen, denn es ist eine Adresse des Kanzleramts und Kurz ist bekanntlich nicht mehr Kanzler, sondern „Global Strategist“. Also kann es ja jetzt nicht mehr schaden, das Geheimnis endlich zu lüften.
Wieser muss die Frage beantworten. Tut sie auch: „Also da geht es um nichts Geheimes und wir haben auch nichts zu verbergen, da geht es einfach nur um die Persönlichkeitsrechte. Die E-Mail-Adresse lautet: …“ Und das sagt sie so leise und verschämt, dass keiner es versteht.
Tomaselli fragt nach. Die Adresse lautet: „Seekuh.“
Wie? Was? Seekuh? Verwirrung unter den Anwesenden. Ist das ein Spitzname des Kanzlers? Matznetter hält sein Handy hoch: „So geheim ist die gar nicht, die hab ich im Internet gefunden.“ Am Display ist das Bild eines großen, grauen Meeressäugers zu sehen.
Es dauert, bis Verständnis einsickert. Die Adresse lautete nicht “seekuh@bka.gv.at”, sondern “seku@bka.gv.at”, für Sebastian Kurz.
Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es war, monatelang der Versuchung zu widerstehen, eine Nachricht eines nigerianischen Prinzen in Finanznöten an seku zu schreiben. Ich habe es nie getan. Und heute ist es zu spät. Seku, das Delfinhörnchen, war viel zu kurz Kanzler.
Uns bleibt nur noch die Erinnerung.
Titelbild: ZackZack