VW-Abgas-Skandal
Wer vor Bekanntwerden der Abgas-Manipulation einen VW-Neuwagen gekauft hat und drei Jahre nach Bekanntwerden oder bisher noch nicht vor Gericht gezogen ist, hat weiterhin Anspruch auf Schadenersatz. Das Unternehmen habe sich „bösgläubig bereichert“, urteilte der BGH in Deutschland. Kläger in Österreich erhoffen sich, dass hierzulande die Verjährung auf 30 Jahre ausgedehnt wird.
Karlsruhe, 23. Februar 2022 | Der Bundesgerichtshof (BGH) in Deutschland hat Montagabend entschieden, dass VW sich durch die Manipulation von Schadstoffwerten mit Hilfe einer Software „bösgläubig bereichert“ hat. Er hat ausgeschlossen, dass Ansprüche auf Schadenersatz drei Jahre nach Bekanntwerden des Betrugs verjähren. Kunden, die vor Bekanntwerden des Skandals einen VW-Neuwagen gekauft haben, der mit der Software ausgestattet war und die Schadstoffwerte verfälscht hat, können in Deutschland auch jetzt noch Entschädigung vom Unternehmen einklagen.
VW hat sich laut BGH „bösgläubig bereichert“
Der BGH orientiert sich in seiner Entscheidung an Paragraf 852 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), dessen erster Satz eine Verjährung von Schadenersatzansprüchen ausdehnt, wenn „der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt“ hat.
Für die Bemessung des Schadenersatzes ist der Zeitpunkt des Kaufs und der volle Kaufpreis ausschlaggebend. Denn laut BGH hat sich VW „bösgläubig bereichert“. VW ist mit seinem Argument abgeblitzt, dass der reine Gewinn als Bemessungsgrundlage dienen müsse. Grundlage für diese Entscheidung sind die Paragrafen 818 und 819, die eine verschärfte Haftung bei „Kenntnis und bei Gesetzes- oder Sittenverstoß“ vorsehen.
Zuvor hatte sich VW in zwei Fällen vor Gericht erfolgreich darauf berufen, dass Schadenersatzansprüche verjährt sind, weil die Kläger über drei Jahre nachdem der Abgas-Skandal öffentlich geworden war Klage eingereicht hatten. Das Argument war, die Käufer hätten ab jenem Zeitpunkt, an dem VWs Betrug öffentlich wurde, wissen können, dass ihre Fahrzeuge davon betroffen waren und direkt klagen können. Ein „Verstoß gegen Treu und Glauben“ wurde VW damals nicht angelastet.
Sammelklagen auch in Österreich
Auch in Österreich sind Sammelklagen gegen VW anhängig. Juristin Ulrike Wolf vom Verein für Konsumenteninformation ist leitend daran beteiligt. Sie freut sich darüber, dass der BGH in Deutschland den Betrug von VW als „bösgläubig“ bezeichnet hat. „Dass das einmal ein Höchstgericht in dieser Klarheit sagt, kann man nur begrüßen“, sagte sie gegenüber ZackZack. Die Entscheidung gebe den Klägern in Deutschland enormen Rückenwind.
In Österreich gibt es keine Bestimmung, die die Verjährung auf die Weise aussetzt, wie in Deutschland. Aber indem man argumentiert, dass die Handlungen von VW sittenwidrig waren, kann man die Verjährungsfrist auf 30 Jahre ausdehnen. Genau diese Feststellung erhofft sich der VKI in einer höchstgerichtlichen Entscheidung.
Der VKI hat Anfang September 2018, also etwa drei Jahre nachdem der Abgasskandal öffentlich bekannt wurde, 16 Sammelklagen mit gesamt rund 10.000 Fällen bei österreichischen Gerichten eingebracht. Der Streitwert beläuft sich auf rund 60 Millionen Euro. Er soll den Minderwert des Autos ersetzen, 20 Prozent des jeweiligen Kaufpreises.
„Wir verschließen uns keinem Vergleich“, sagt Wolf. Das müsse im Interesse von VW sein, schließlich müsse das Unternehmen bereits hohe Anwaltskosten tragen. Sie kritisiert, dass sowohl deutsche Verbraucher als auch die Republik Österreich für deren VW-Flotte schon eine Entschädigung erhalten hätten, die österreichischen Bürger aber als „Menschen zweiter Klasse“ behandelt würden.
„Thermofenster“ wird auf EU-Ebene noch verhandelt
Derzeit sind einige Verfahren in Österreich unterbrochen, sowohl Sammel- als auch Individualklagen. Als Grund dafür wird von einigen Gerichten ein ausständiges EuGH-Urteil genannt.
Der EuGH sowie der BGH haben bereits festgestellt, dass die Abgas-Manipulations-Software von VW, durch die die Abgasreinigungsanlage nur im Abgasnorm-Testbetrieb ordentlich reinigte, gegen EU-Recht verstößt. Derzeit geht es noch um die Frage, ob die temperaturgesteuerte Abgasreinigung das ebenfalls tut.
VW verwendete Einrichtungen, die bei Außentemperaturen von unter 15 und über 33 Grad Celsius und ab einer Höhenlage von über 1000 Metern die Abgasreinigung herunter- oder ganz abschalteten. Diese Abschalttechnik wird „Thermofenster“ genannt. Möglicherweise sei eine solche auch in Diesel-Fahrzeugen anderer Hersteller eingebaut, sagt Ulrike Wolf vom VKI. Argument dafür ist der Motorschutz. Im Fall der Manipulations-Software hat dieses Argument nicht standgehalten. Wolf rechnet damit, dass es beim “Thermofenster” genauso sein wird.
Dass in Österreich viele Verfahren gegen VW derzeit unterbrochen sind, weil die Gerichte meinen, auf das “Thermofenster”-Urteil warten zu müssen, versteht Wolf nicht, schließlich ginge es in den Klagen um mehr als das.
EuGH-Generalanwalt berurteilte Thermofenster als rechtswidrig
EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos hat dem EuGH im Herbst 2021 ein Gutachten vorgelegt, in dem er die Thermofenster-Technik für unionsrechtswidrig erklärt hat. Fahrzeuge, die damit ausgestattet sind, seien folglich nicht verkehrsfähig. Aufgrund des Klimas und der geografischen Beschaffenheit Österreichs und Deutschlands schaltet sie sich dort aber möglicherweise besonders häufig ab, was die Abgasbelastung stark erhöht. In einem früheren Urteil hatte der BGH geurteilt, ein solches Thermofenster einzurichten sei nicht vorsätzlich und sittenwidrig.
Das Gutachten des Generalanwalts ist für den EuGH nicht bindend, aber häufig folgt er der Beurteilung. Davon geht auch Ulrike Wolf vom VKI aus. Und wenn das Thermofenster als rechtswidrig beurteilt werde, müsse VW wohl Hardware nachrüsten, sagt Wolf gegenüber ZackZack.
(pma)
Titelbild: APA Picturedesk