Was schreiben die österreichischen Medien über das Kurz-Urteil? Daniel Wisser hat die wichtigsten Reaktionen eingefangen.
Gehen wir einmal nicht davon aus, dass die Verurteilung eines früheren SPÖ-Kanzlers wegen Falschaussage in einem Ausschuss größere Wellen geschlagen hätte als der Schuldspruch gegen Kurz und Bonelli. Die Berichterstattung über die Urteilsverkündung in Sachen Falschaussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist in den meisten Medien sehr sachlich und profund geraten. Es ist wohltuend, dass Gericht und Journalismus hier vorbildhaft akkurat vorgegangen sind.
Gezeigt hat sich viel mehr als nur die Angelegenheit, in der der Richter sein Urteil gesprochen hat. Gezeigt hat sich bis zum letzten Auftritt der beiden Beschuldigten, dass sie die moralische Reife, in einem Staat einer Regierung anzugehören, geschweige denn diese zu führen, nicht haben. Im Jahr 2017 hätte diese Erkenntnis – und ich behaupte, es war nicht schwer, zu ihr zu gelangen – dem Land viel erspart.
Renate Graber und Fabian Schmid treffen den Nagel auf den Kopf, wenn sie in Der Standard schreiben: Kurz selbst hatte mehrere Chancen verpasst, um straffrei aus dem Verfahren zu kommen. Zwar sagte der Exkanzler am Freitag sinngemäß, er hätte womöglich vieles besser machen können, einen klaren Fehler räumte er aber nie ein. Anders war das bei Ex-Casinos-Managerin und ÖVP-Vizeparteiobfrau Bettina Glatz-Kremsner, die zunächst ebenfalls wegen Falschaussagen mitangeklagt war. Sie übernahm bereits am ersten Verhandlungstag Verantwortung und gab an, sie hätte sich besser auf die Befragungen vorbereiten sollen. Daraufhin schlug der Richter eine Diversion vor. Glatz-Kremsner willigte ein, muss eine Geldbuße bezahlen und schied somit ohne Verurteilung aus dem Verfahren aus.
Es ist unklar, warum Kurz und Bonelli Glatz-Kremsners Weg nicht gefolgt sind. Oder es ist klar und ihr erbärmliche Show mit fragwürdigen Zeugenaussagen, Selbstmitleid, Wallfahrten und Kinderzeichnungen ist nichts anderes als jene Missachtung der Justiz, die sie immer betrieben haben. Reibenwein, Lindorfer und Gebhard schreiben im Kurier: „Man fühlt sich wehrlos“, sagte Kurz in seiner letzten Wortmeldung vor dem Urteil. Und er spricht vom Medieninteresse, das „nicht sehr angenehm sei“. Deshalb habe er sich aus der Politik zurückgezogen.
Wie bizarr, dass Medieninteresse für Sebastian Kurz ein Rückzugsgrund sein soll, nachdem er selbst nie auf Kompetenz und Inhalte, sondern auf Medieninteresse um jeden Preis gesetzt hatte. Mehr zur katholischen Buße neigt laut oben zitiertem Kurier-Artikel Bonelli, der die Against-the-Wall-Fahrt von Kurz durch eine Wallfahrt ersetzt: „Es gehört wohl zu den erniedrigendsten Momenten in meinem Leben, hier und heute die Schlussworte als Angeklagter formulieren zu können.“ Als er von der Anklage erfahren habe, sei er mit Freunden in den Wallfahrtsort Mariazell gefahren.
Was Kurz‘ letzte Marotte mit den zwei Zeugen betrifft, die Thomas Schmids Darstellungen entkräften sollten, bleibt bis zu Prozess-Ende unklar, wieso und wie ihre Aussagen, denen Schmid widersprach, bei Kurz‘ Anwalt landen konnten und welche Rolle er und sein Anwalt dabei gespielt hatten. Der Kurier dazu: „Hinweise aus Kollegenkreisen“, lässt sich der Anwalt [gem. ist Kurz‘ Anwalt Dietrich, Anm.d.Verf.] entlocken. Eine Zeugenbefragung lehnt er aus Gründen der Verschwiegenheitsverpflichtung ab.
In den Salzburger Nachrichten beschreibt Hermann Fröschl den letzten Prozesstag. Und auch hier wird deutlich, dass Sebastian Kurz wohl die Skepsis, die er anderen gegenüber aufbringt, nicht gegen sich selbst hegt: Sebastian Kurz gestikuliert, schüttelt den Kopf, kurz stockt ihm der Atem. Dann meldet er sich zu Wort. Menschen verfolgten „immer wieder ihre eigenen Interessen“, das habe man in der Bestellung der ÖBAG gesehen.
Kurz hat hingegen niemals eigene Interessen verfolgt. Die Salzburger Nachrichten machen auf derselben Seite ebenfalls korrekt darauf aufmerksam, dass dieser Prozess gegenüber einer anderen Causa kleinere Bedeutung hat. In dem darunter platzierten Artikel heißt es im Untertitel: In einem sehr viel heikleren Verfahren gegen Sebastian Kurz laufen die Ermittlungen noch.
Auf Seite 11 der Tiroler Tageszeitung kommentiert Wolfgang Sablatnig: Der Schuldspruch ist für Kurz mehrfach bitter. Er ist eine Hypothek für Verfahren, die noch kommen könnten – Stichwort Umfragen und Inseratenaffäre. Kurz hat aber auch das Match um die Glaubwürdigkeit gegen Thomas Schmid verloren. Die zwei russischen Geschäftsleute hätten dessen Glaubwürdigkeit untergraben sollen. Der scheinbare Coup misslang.
Erst der Anfang, so betitelt Sablatnig seinen Kommentar. Wir können nur hoffen, dass es nicht nur ein Anfang ist, was eine sachliche Bewertung der Kanzlerschaft Kurz‘ und die sachliche Berichterstattung über die anstehenden Prozesse betrifft. Wir hoffen vor allem für die Zukunft, dass den Regierenden in diesem Land wieder klar wird, dass ihr politischer Erfolg auch von ihrer Glaubwürdigkeit und dem Respekt, den sie den demokratischen Institutionen und damit auch Parlament und Justiz entgegenbringen, abhängt.
Lassen wir uns nicht täuschen: Kurz hat den Rahmen für das Verunglimpfen der Justiz vorgegeben. Andere folgen seinem Vorbild. Seltsamerweise sind es immer Menschen, gegen die Ermittlungen laufen, die mit der Justiz nicht einverstanden sind. Der jüngste Fall: Eva Dichand, die – obwohl sie sich laut eigenen Angaben bei der Produktion ihrer Zeitung heute nicht einmischt – in einer dreiteiligen Artikelserie ebendort auf die Justiz losgeht, eine Hetzjagd der Medien gegen ihre Person sieht und sich in diesem Zusammenhang mit Alexandra Föderl-Schmid vergleicht. Mir ist nicht bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen Föderl-Schmid Ermittlungen eingeleitet hätte. Aber gut: Überall sind arme Opfer, die alles und jeden benutzen, um als arme Hascherl dazustehen – sogar Wallfahrten und den lieben Gott.
Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com