Pressestimmen zu Russland-Invasion
Zum Krieg Russlands gegen die Ukraine schreiben Zeitungen am Montag:
“Die NATO will auf keinen Fall in den Krieg hineingezogen werden. Sie muss daher eine Situation vermeiden, in der Putin ein NATO-Mitgliedsland angreifen könnte, denn dann müsste das Militärbündnis zurückschlagen. Es gilt also, behutsam vorzugehen. (…)
Jedoch kämpfen die Ukrainer nicht nur für sich selbst, sondern auch für Länder, die fürchten, Putins nächstes Ziel zu sein. Und sie holen für den Westen die Kastanien aus dem Feuer. Je länger sie kämpfen und je mehr Schläge sie der russischen Armee zufügen, desto größer die Chance, dass Putin kein neues Abenteuer in einem anderen ehemals zur Sowjetunion gehörenden Land wagt. Und je kleiner auch die Gefahr, dass er es wagt, ein NATO-Mitglied zu überfallen. Je mehr Leichensäcke in Russland ankommen, desto größer wird zudem die Möglichkeit eines Aufstands gegen Putin in seinem eigenen Land.”
“The Times” (London):
“Der bisher am weitesten westlich ausgeführte russische Angriff war auch eine Botschaft an Polen und den Westen: Die Russen werden nicht zögern, den Krieg bis an die Grenzen der NATO und darüber hinaus auszudehnen – als Vergeltung für das, was sie als schleichende Verwicklung der Allianz in den ukrainischen Widerstand betrachten.
Dies ist zwar ein weiterer Schritt zur Eskalation des Konflikts, der Präsident Putins Drohung bekräftigt, den Westen mit noch nie dagewesenem Terror zu überziehen, sollte er in der Ukraine intervenieren. Doch dadurch wurde die wachsende Entschlossenheit des Westens nicht erschüttert, sich selbst und die ukrainische Bevölkerung zu verteidigen, die bald zu Tausenden sterben könnte.”
“Süddeutsche Zeitung” (München):
“Kein Zweifel, man braucht in Notlagen begeisternde Reden – zur Stärkung der Moral oder etwa auch, um die Aufnahme der Flüchtlinge in Europa und die Rückwirkung von wirtschaftlichen Sanktionen zu bewältigen. Bei Selenskijs Auftritten verbietet sich ohnehin die Stilkritik, die Lage lässt ihm kaum eine andere Wahl, und dass er vor seinem Rollenwechsel aus der Unterhaltung in die Politik Erfahrung damit gesammelt hat, wie man in eine Kamera spricht, ist einfach nur Glück. Trotzdem muss man sich klarmachen, dass die Kriegsrhetorik in einer völlig anderen medialen Situation erklingt als einst bei den großen historischen Vorbildern.”
“Frankfurter Allgemeine Zeitung”:
“Nimmt Moskau wie angekündigt auch die Waffenlieferungen des Westens ins Visier, dann könnte es zu weiteren Angriffen nahe der NATO-Ostgrenze kommen. Hier sollte man sich nicht provozieren lassen, aber auch nicht einschüchtern. Je weiter der Krieg fortschreitet, desto wahrscheinlicher wird es, dass russische Truppen auch in den westlichen Landesteil vorstoßen. Selbst für einen waghalsigen Feldherrn wie Putin wäre es angesichts seiner aktuellen militärischen Probleme und der Stärke der Allianz ein kaum noch beherrschbares Unterfangen, würde er dabei eine Konfrontation mit der NATO eingehen. Der Westen sollte bei seiner Strategie bleiben: einer sichtbaren und glaubwürdigen Sicherung der Ostflanke, begleitet von einer mittelbaren Unterstützung der Ukraine.”
“Stuttgarter Nachrichten”:
“Die Raketeneinschläge in Grenznähe zeigen, wie schmal der Grat ist, auf dem der Westen wandelt. Klar ist, dass die NATO auf einen russischen Raketenangriff auf polnisches und damit eigenes Territorium reagieren müsste. Eine von der NATO garantierte Flugverbotszone dagegen würde die Allianz verpflichten, auf russische Kampfjets zu schießen. Damit wäre der Weltkrieg nicht eine Frage von Kilometern, sondern von Stunden. Doch mit einer Ausweitung des Krieges wäre niemandem geholfen, auch nicht den Menschen in der Ukraine. Das gilt umso mehr, als das mörderische Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin ohnehin keine Zukunft hat. Einem Mann, der nur Zerstörung und Tod anzubieten hat, wird auf Dauer niemand folgen.”
“De Telegraaf” (Amsterdam):
“Eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und der zweitstärksten Atommacht könnte weitreichende Folgen haben. Daher sind harte Sanktionen und Waffenlieferungen an die Ukraine die bessere Wahl. Der Westen wusste allerdings schon vorher, dass dies die Russen nicht aufhält.
Jetzt, wo die Bilder von verzweifelten Flüchtlingen und zerstörten Städten die Gemüter erhitzen, wächst der Druck, mehr zu tun. Die zynische Realität ist jedoch, dass das am wenigsten schlechte Szenario darin zu bestehen scheint, den russischen Feldzug in der Ukraine so weit wie möglich zu erschweren, ohne dass die NATO eingreift.
Ein wirtschaftlich und militärisch erschöpftes Russland muss Präsident Putin und seine Clique aus dem Traum von einem großrussischen Imperium reißen. So können weitere militärische Abenteuer unterbunden werden. Für Politiker ist dies zwar eine schwer zu verkaufende Argumentation. Zuschauen sieht nicht nach Solidarität aus. Aber es verhindert die Ausweitung des Konflikts und ein unendlich größeres Blutvergießen.”
“Wall Street Journal” (New York):
“Wladimir Putin heizt seinen blutigen Krieg in der Ukraine weiter an und stellt die NATO jeden Tag mehr auf die Probe. Der Russe macht sich Präsident Bidens öffentliche Erklärungen darüber zunutze, was die USA nicht tun werden, um der Ukraine zu helfen, und bringt dabei den Krieg näher an die Grenzen der NATO. Das steckt hinter der Bombardierung eines ukrainischen Truppenübungsplatzes am Sonntag, der nur zehn Meilen (rund 16 Kilometer) von der polnischen Grenze entfernt liegt. (…) Biden hat seine rote Linie bei der Verteidigung ‘jedes Zentimeters’ des NATO-Territoriums gezogen. (…) Aber was wäre mit einem chemischen Angriff in der Ukraine? (…) Wie sähe es bei einer Belagerung von Städten aus, bei der Tausende ums Leben kommen? Ob man es nun mag oder nicht, die russische Brutalität, die der Westen in der Ukraine toleriert, schreibt die Regeln dafür um, womit Länder im 21. Jahrhundert ungestraft davon kommen können. Putin kann tun, was er will, solange er die Grenzen des ukrainischen Staatsgebiets nicht überschreitet.
Niemand will einen weiter ausufernden Krieg. Aber wenn Russland zunehmend provoziert, sollten Biden und die NATO besser darauf vorbereitet sein, einen solchen zu führen. Ein rücksichtsloser oder verzweifelter Putin könnte ihnen keine andere Wahl lassen.”
“Público” (Lissabon):
“Mit jedem Tag werden die Wunden tiefer, die der Angriff auf die Ukraine aufreißt. Am schlimmsten aber wäre es, sich an diese humanitäre und geopolitische Katastrophe zu gewöhnen. Nichts deutet auf ein nahes Kriegsende hin.
Der ukrainische Widerstand wird die großen Städte vielleicht nicht halten können, aber er wird die Besetzung eines derart riesigen Landes zu einem militärischen Alptraum machen. Es ist fraglich, ob Russland dafür über ausreichende Mittel verfügt. Der Widerstand der Ukrainer auf den russischen Angriff hängt auch von der Unterstützung der demokratischen Länder ab. Es ist daher ein Muss, auch in Zukunft an der Seite der Ukraine zu stehen.”
(apa)
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