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Putin und der lange Schatten des KGB

Das ist ein Unterüberschrift

Geschäfte machen und Dienst am Staat – für Putin und seine Leute ist das kein Widerspruch. Wie kam es, dass ein Zirkel ehemaliger Spione zusammen mit der Mafia reich wurde und dabei Russland in einen Putin-Staat verwandelte?

Thomas Walach

Wien, 14. März 2022 | November 1982: Der Chef des KGB, Juri Wladimirowitsch Andropow, wird Generalsektretär der kommunistischen Partei. Für jeden, der es sehen will, zeichnet sich ab, dass die Sowjetunion dabei ist, den kalten Krieg zu verlieren. Sie kann weder wirtschaftlich noch technologisch mit dem Westen mithalten.

Der Staat und seine Streitkräfte suchen nach Möglichkeiten, den Vorsprung des Westens zu verringern. Die Auslandsabteilung des KBG baut dazu ein Schmuggler-Netzwerk auf. Waffen und Rohstoffe werden heimlich in die ganze Welt verkauft – unter Umgehung der westlichen Sanktionen – Computertechnik und andere Güter, die es in hoher Qualität nur im Westen gibt, ins Land gebracht.

Dresden

Ein Zentrum dieser Aktivitäten ist Dresden. Dort findet sich die Elektronik-Industrie der DDR, der „Volkseigene Betrieb Kombinat Robotron“. Sie hinkt dem Westen hinterher. Ein beliebter Witz handelt davon, wie stolz DDR-Diktator Erich Honecker darauf gewesen sei, dass sein Staat „den größten Mikrochip der Welt“ produziere. Dennoch ist Dresden der geeignete Ort für den KBG, um westliche Techniker als Spione anzuwerben.

Im Leipziger Hotel „Bellevue“ brachte die DDR westliche Gäste unter. Sie wurden rund um die Uhr von der Stasi überwacht und abgehört. Routinemäßig versuchten weibliche Agenten, die Besucher zu verführen. Dank der omnipräsenten Überwachungsgeräte konnte man sie später erpressen.

Das Dresdner Hotel Bellevue. Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Hotel_Bellevue_(Dresden)#/media/Datei:DD-Blick-Ballonfahrt-2.jpg

Die Aktivitäten der DDR zur Beschaffung westlicher Mikroelektronik in Dresden wurde von der sogenannten „Kommerziellen Koordinierung“ (KoKo) gesteuert. Der österreichische Geschäftsmann Martin Schlaff spielte laut einem Untersuchungsbericht des deutschen Bundestags und Ermittlungen des Generalbundesanwalts eine wichtige Rolle. Die Stasi führte Schlaff als „Inoffiziellen Mitarbeiter“, der bestreitet aber, jemals für die Stasi tätig gewesen zu sein. Über ein Schweizer Nummerkonto soll das Firmennetzwerk Schlaffs 192 Ende der 1980er 192 Millionen D-Mark erhalten haben – Schlaff bestreitet auch das. Die deutsche Justiz stellte ihre Ermittlungen ein. SPÖ-Mitglied Schlaff ist heute Milliardär.

Ab 1985 war ein KBG-Offizier namens Wladimir Wladimirowitsch Putin in Dresden stationiert. Später sollte er sagen, er habe dort keine besondere Rolle gespielt. Tatsache ist aber: Putin war als Verbindungsoffizier des KGB zur Stasi die Drehscheibe für Agenten, Informationen und Waren, die über Dresden Richtung Moskau flossen.

Die Mafia

Während das Schmuggler-Netzwerk des KGB westliche Technologie und Devisen beschaffte, war der Geheimdienst in der sowjetischen Wirtschaft auf andere Art tätig. Die Planwirtschaft funktionierte nicht, es mangelte an fast allem. Wer nicht monatelang auf Ersatzteile für Geräte, Möbel oder Hausrat warten wollte, musste entweder jemanden bestechen oder das Gewünschte auf dem Schwarzmarkt besorgen.

Während das Regime Schwarzhandel offiziell bekämpfte, ließ man ihn im Untergrund blühen – der Schwarzmarkt hielt die sowjetische Wirtschaft am Laufen. Er war auch oft das einzige Betätigungsfeld für Angehörige diskriminierter ethnischer Minderheiten: Tschetschenen, Georgier, Juden. Aus den Schwarzmärkten der Sowjetunion entstanden die – oft stark ethnisch geprägten – Verbrechensorganisationen, die wir „russische Mafia“ nennen.

Von Anfang an standen sie unter Kontrolle des KGB. Denn nur weil der Staat ein Auge zudrückte, hieß das nicht, dass er auf die Kontrolle über den Schwarzmarkt verzichten wollte. Wer unter Hand mit Waren handeln wollte, brauchte dafür das Einverständnis des Geheimdienstes.

Eine kaum unterscheidbare Mischung aus KGB-Agenten, Händlern und Angehörigen des organisierten Verbrechens hatte schon in den 1970er-Jahren den Sprung über den großen Teich geschafft und sich in New York niedergelassen. Um sowjetischen Juden, die zu Hause Opfer von Diskriminierung waren, die Auswanderung zu ermöglichen, schlossen die USA 1974 einen Vertrag mit der Sowjetunion. Die USA lockerten Sanktionen, im Gegenzug erlaubte die Sowjetunion Juden die Emigration.

KGB-Chef Andropov konnte sein Glück kaum fassen. Denn natürlich war es der KGB, der aussuchte, wer auswandern durfte – was auch immer offiziell in dem Vertrag mit den USA stand. Der KGB eröffnete eine eigene Abteilung mit dem Zweck, jüdische Sowjetbürger für die Emigration in die USA auszuwählen und – oft unter Druck – als Agenten anzuwerben. Brooklyns Brighton Beach wurde zum Zentrum der russischen Mafia – und des KGB. „Little Odessa“ wurde die Gegend genannt. Zu den vielen wertvollen Kontakten, die russische Auswanderer dort knüpften, gehörte auch ein junger New Yorker Immobilieninvestor namens Donald Trump. Führende Mitglieder der russischen Mafia in New York kauften Trumps Luxuswohnungen. Semyon Kislin, ein Geschäftsmann aus “Little Odessa”, der laut FBI in Verbindung mit der russischen Mafia steht, finanzierte einen großen Teil des Trump Tower.

Donald Trump und sein Vater Fred in New York, 1986

Schmuggel, Schwarzmarkt, Mafia. Unter Kontrolle des KGB hatte sich neben der hoffnungslosen sowjetischen Planwirtschaft eine Schattenwirtschaft gebildet. Es waren Agenten und Vertrauensleute des KGB, die wussten, wie man im Westen Geschäfte macht und die über Devisen und Kontakte ins kapitalistische Ausland verfügten.

Perestroika und die Oligarchen

Ab den späten 1980ern wurde die Möglichkeit eines vollständigen Zusammenbruchs des sowjetischen Imperiums plötzlich denkbar. Dank Michail Gorbatschows Perestroika konnten ausgewählte Personen offiziell im Westen Geschäfte machen. Sie verkauften Rohstoffe und erhielten dafür harte Währung: US-Dollar oder Schweizer Franken. Damit konnte man in der Sowjetunion alles kaufen, und zu einem Spottpreis. Binnen kürzester Zeit wurden die jungen Geschäftsleute sehr reich – natürlich unter Anleitung des KGB. Die Agenten der Staatssicherheit spannten ein Auffangnetz für ihren Apparat. Auch wenn das Sowjetimperium scheitern würde, konnten seine Strippenzieher weitermachen.

Als Gorbatschow klar wurde, dass die neuen Unternehmer das Land leer saugten, versuchte er, ihr Einkommen zu begrenzen. Genau wie ihre Angestellten sollten sie höchstens 100 Rubel im Monat verdienen. Alles darüber sollte dem Staat zugutekommen.

Doch es zeigte sich, dass die neuen Oligarchen viele Freunde im Politbüro gefunden hatten. Gorbatschows Plan scheiterte. Der KGB sah das Ende nahen. Über ein Netzwerk an Firmen und Vertrauensleuten im Westen brachten die Geheimdienstler ihre Schäfchen ins Trockene und das Staatsvermögen ins Ausland. Ein Zentrum dieser Aktivitäten war Wien: Neutral, ohne nennenswerte Spionageabwehr, aber voll eingebunden ins westliche Wirtschaftssystem.

Hier hatte das Firmennetzwerk „Nordex“ seinen Sitz – das erste Unternehmen im Westen, in dem offiziell privates Kapital aus der Sowjetunion investiert werden durfte. Laut einem Analysebericht des Schweizer Nachrichtendienstes handelt es sich um ein Unternehmen im Dienst des KGB. Auf ZackZack-Anfrage bestätigten die Schweizer Behörden die Echtheit des Dokuments. Die „Financial Times“-Journalistin Catherine Belton nannte Nordex-Chef Grigory Luchansky einen „sowjetischen Auswanderer, der vom KGB rekrutiert wurde, um Staats- und Parteivermögen am Vorabend des Kollapses der Sowjetunion zu transferieren“. Die CIA betrachtet Nordex als KGB-Tarnfirma und als „Beispiel für die Expansion krimineller Organisationen aus Russland“.

In Wien erfreuten sich sowjetische, und bald darauf russische Geschäftsleute mit engen Verbindungen zu KGB und Mafia bester politischer Kontakte. Ideologisch waren sie dabei nicht wählerisch. (Ex-)SPÖ-Politiker saßen für Businessmen mit Mafia-Hintergrund in Aufsichtsräten. Später kümmert sich das ÖVP-Kabinett im Innenministerium um den Staatsbürgerschaftsantrag Luchanskys. Oligarch Dmytro Firtasch mit engen Kontakten zum vielleicht wichtigsten Don der Russischen Mafia, Semyon Mogilevich, wird zwar von den USA gesucht, lebt aber ein Luxusleben in Wien. Er bewohnt eine Villa von ÖVP-Großspender Alexander Schütz, Bundeskanzler Sebastian Kurz benutzte, wie ZackZack aufdeckte, Firtaschs Privatjet für einen Staatsbesuch.

Putin und Jelzin

Als die Sowjetunion schließlich Geschichte war, gingen viele KGB-ler zunächst auf Tauchstation. Putin schloss sich der Demokratiebewegung an und wurde Vizebürgermeister von St. Petersburg. Seit seiner Jugend sei er kein Kommunist gewesen, ließ er nun öffentlich wissen. Geschäfte seien die Zukunft des Landes. Belton vermutet, dass der KGB den St. Petersburger Bürgermeister Anatoli Sobtschak ermutigt hatte, Putin zu protegieren. 1996 verließ Putin die Kommunalpolitik, im Jahr darauf wurde er stellvertretender Büroleiter von Präsident Boris Jelzin.

Jelzin hatte zu Beginn seiner Amtszeit einen Putschversuch kommunistischer Hardliner überstanden. Obwohl der KGB Jelzin während des Putschs auf Schritt und Tritt beobachtet hatte, ließ der Geheimdienst den Präsidenten gewähren.

Boris Jelzin während des gescheiterten Putschs im August 1991. Bild: APA Picturedesk

Jelzin sollte später unter großem medialen Getöse Ermittlungen verkünden, die zum Ziel hatten, das Staatsvermögen wiederzufinden, das über KGB-Firmennetzwerke im Ausland verschwunden war. Doch Ermittler erklärten später, dass die Sache nur Show war und man ihnen wo immer möglich Steine in den Weg legte. Jelzin, so sagten Insider, hatte nicht das geringste Interesse daran, das Geld zu finden.

1998 machte Jelzin sein Protegé Putin zum Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB. Putin war damit im Kreis seiner ehemaligen KGB-Kameraden zur zentralen Figur geworden. Am 9. August 1999 machte Jelzin Putin zum Ministerpräsidenten. Hinter der Ernennung steckte nach eigenen Angaben die „Graue Eminenz“ in Jelzins Kremel, der Oligarch Boris Beresowski. Als Jelzin keine fünf Monate später überraschend zurücktrat, fiel die Führung der Amtsgeschäfte an Putin. Noch am selben Tag, dem 31. Dezember, erließ Putin eine Amnestie für alle Straftaten, die Jelzin im Amt begangen hatte.

Der Putin-Staat

Unter Jelzin hatten superreiche Geschäftsleute, die vom Fall der Sowjetunion profitiert hatten, die Wirtschaft und Politik des Landes kontrolliert. Eine Gruppe besonders einflussreicher Oligarchen, die „Sieben-Bankiers-Bande“, hatte Jelzin unterstützt und dafür erheblichen Einfluss auf die Staatsgeschäfte genossen. Das sollte sich nun ändern. Putin verlangte bedingungslose Loyalität. Die Oligarchen verkauften einige ihre wertvollsten Unternehmen zu Spottpreisen an den Staat. Die Kontrolle über die neu eingerichteten staatlichen Unternehmen übernahmen die sogenannten „Silowiki“ – Ex-KGB-Leute und Bekannte Putins.

Oligarchen, die Putin zuvor protegiert hatten, weil sie ihn für steuerbar gehalten hatten, bemerkten ihren Irrtum zu spät. Sie mussten feststellen, dass ihr Einfluss nun nicht mehr erwünscht war. Beresowski und Medienmogul Wladimir Gussinski flüchteten ins Ausland, ihre Firmennetzwerke wurden zerschlagen. Michail Chodorkowski, der sich offen gegen Putin stellte, wurde abgeurteilt und inhaftiert. Wer sich fügte, wie Roman Abramovich oder Oleg Deripaska, verlor zwar viel politischen Einfluss, konnte aber einen Großteil des angehäuften Reichtums behalten.

Die „Silowiki“ übernahmen nun die Schalthebel der Macht. Dabei konnten sie nicht nur sehr reich werden, das wurde sogar von ihnen erwartet. Gussinski, der ohne sein Wissen abgehört wurde, erklärte, dass es Putin misstrauisch machte, wenn einer seiner Gefolgsleute nicht versuchte, Profit aus seiner Position zu schlagen.

Auch Putin selbst hält es so. Nach eigenen Angaben besitzt Putin drei alte Autos und einen Campinganhänger, eine Wohnung mit 77 Quadratmetern und ein Stück Land. Tatsächlich übersteigt schon der Wert von Putins Uhr, die er aus Gewohnheit am rechten Handgelenk trägt, den Wert dieses offiziellen Vermögens. Sie kostet über 350.000 Euro. Putin ist einer der reichsten Menschen der Welt, sein Vermögen wird auf 40 Milliarden Euro geschätzt.

Geschäfte machen, Geld anhäufen und Russland dienen – für Putin und die Manager der KGB-Schattenwirtschaft aus Putins Generation ist das ein- und dasselbe. Vom Kommunismus haben sie sich längst verabschiedet, nicht aber vom Korpsgeist des einst allmächtigen KGB; ebenso wenig wie von der Vorstellung, das durch den Westen gedemütigte Russland zu alter Größe zu führen.

Titelbild: APA Picturedesk

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