Das ist ein Unterüberschrift
Die russische TV-Mitarbeiterin Marina Owsjannikowa protestierte während einer Live-Übertragung gegen den Krieg. Die Frau ist nach ihrer Verhaftung verschwunden.
Moskau, 15. März 2022 | “Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen” – Die Aufschrift ist für ein Protestschild nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich und riskant waren jedoch die Umstände, unter denen es hochgehalten wurde, nämlich während der Live-Übertragung der abendlichen Hauptnachrichtensendung des staatlichen russischen Fernsehsenders Kanal 1 am Montag, der Hauptnachrichtenquelle für Millionen von Russen.
“Nein zum Krieg, Nein zum Krieg, Nein zum Krieg!” rief die Frau, die das Schild hochhielt und plötzlich hinter der Nachrichtensprecherin ins Bild trat. Nach einigen Sekunden brach die Übertragung ab und zeigte Aufnahmen aus einem Krankenhaus. Die Frau wurde verhaftet, ihre Anwälte wussten danach laut Medienberichten nichts über ihren Aufenthaltsort. In Russland ist es Medien verboten, den russischen Einmarsch in die Ukraine als “Krieg” oder “Invasion” zu benennen. Stattdessen ist offiziell von einer “militärischen Spezialoperation” die Rede. Es drohen bis zu 15 Jahren Haft. Kanal 1 sprach in einer Mitteilung lediglich von einem “Vorfall” während der Sendung “Wremja” und kündigte eine interne Prüfung an.
Die 44-Jährige ist die russische TV-Mitarbeiterin Marina Owsjannikowa. Sie ist mit einem Regisseur von Russia Today verheiratet und hat zwei Kinder. Vor ihrer Protestaktion hatte sie ein Video aufgenommen. Darin sagt sie auch, sie schäme sich dafür durch ihre Tätigkeit beim Fernsehen Teil der Propaganda gewesen zu sein, die russische Gesellschaft habe zu lange weggesehen, etwa bei der Annexion der Krim 2014 und bei der Vergiftung von Kreml-Kritiker Alexey Nawalny. Der Wortlaut des im Netz verbreiteten Videos in einer dpa-Übersetzung in Auszügen:
“Das, was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen. Und Russland ist der Aggressor. Und die Verantwortung für diese Aggression liegt nur auf dem Gewissen eines Menschen – und dieser Mensch ist Wladimir Putin. Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren. Fürchtet nichts. Sie können uns nicht alle einsperren.”
Bewunderung für Mut
Vor allem russische Oppositionelle lobten die Frau für ihren Mut. “Was Mut wirklich bedeutet”, twitterte der Pianist Igor Levit. Auch der inhaftierte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny begrüßte die Aktion. Seine Sprecherin Kira Jarmisch twitterte: “Wow, das Mädchen ist cool.” Jarmisch lud das Video hoch, das sich in kürzester Zeit mehr als 2,6 Millionen Menschen ansahen. Interessant auch die Reaktionen einiger österreichischer Akteure: Der ÖVP-nahe PR-Berater Daniel Kapp etwa teilte das Video mit den Worten “mein Respekt”. Spannend daran: Als PR-Berater arbeitet er auch für den Kreml-nahen Oligarchen Dmytro Firtasch
(sm/apa)
Titelbild: Screenshot/ZackZack