Wer unter dem gestrengen Blick der Eltern als jüdisches Wunderkind startet, hat nur wenig Rebellionsmöglichkeiten. Neben Rumgeigen ist Aliosha nun ein erfolgreicher Kabarettist geworden. Die vielen gewaltsamen Konflikte machen es dem Kabarett nicht leicht.
Der Geiger und Kabarettist Aliosha Biz und ich haben ein paar Dinge gemeinsam. Wir reißen gern die Klappe auf, wir kommen beide ursprünglich aus Russland, wir sind durch große Schicksalsgnade in Wien hängengeblieben als Treibholz der ehemaligen UdSSR, wir lieben Bühnen und wir sind beide nicht besonders groß. In Zentimetern! Sonst schon. Wir haben aber auch vieles nicht gemeinsam: Aliosha klingt berauschend, wenn er singt und mir hat man das Mitsingen bereits in der Schule untersagt, weil ich jedes filigrane Gerüst der Mehrstimmigkeit gnadenlos zum Einsturz brachte, sobald ich- siehe oben-die Klappe aufriss. Und wir haben etwas anderes nicht gemeinsam, um das ich ihn weniger beneide: während ich noch kein Projekt dramatisch und drastisch ändern musste, weil die politische Lage sich als Faktenlawine über meine Inspirationen und Pläne drüberwälzte, hat es Aliosha Biz gleich zweimal getroffen. Wer unter dem gestrengen Blick der Eltern als jüdisches Wunderkind startet, hat nur wenig Rebellionsmöglichkeiten. Neben Rumgeigen ist Aliosha nun ein erfolgreicher Kabarettist geworden. Und ich war mal Punk. Damit ließ sich aber eher keine Aufmerksamkeit generieren. Schon wieder etwas Unterscheidendes. Biz wurde also Kabarettist und schrieb ein schwungvolles Programm, namentlich „Der Fiddler ohne Ruf“. Es handelt vom Russischsein.Erinnerungen, Witze, Nostalgie und so weiter.
Humor im Würgegriff der Weltpolitik
Dann kam Corona und nix war mit der Premiere. Und als es endlich zur Premiere kam, überfiel Russland die Ukraine und alle Witze schmeckten ihm plötzlich doch schal. Das Programm musste also umgeschrieben werden: gut, dachte er sich, dann lege ich jetzt einen Schwerpunkt auf Israel, die jüdische Geschichte, den nahen Osten und mehr. Er schrieb um. Und es folgte der 7. Oktober. Das Programm war – so wie es nun in der Zweitfassung dastand – schon wieder nicht mehr zu gebrauchen!
So betrachtet bin ich sehr froh darüber, die rebellische Seite als sehr erfolgloses Punkmädchen erledigt zu haben, denn diese bot weitaus weniger Enttäuschungsmöglichkeiten. Falsche Schnürsenkel, zu wenig knallende Haarfarbe. Und das wars! Hätte ich damals meine wahre Identität preisgegeben- nämlich die einer jüdischen Kosmopolitin, oder sollte ich gleich sagen Globalistin? Dann wäre diese Rebellion vermutlich gesundheitsgefährdender gewesen als ich abschätzen hätte können. Ich hatte aber auch – im Unterschied zum Geiger – da Glück, denn zu jenem Zeitpunkt verdrängte ich diesen Teil meiner Identität recht drastisch. Er hat die seine nie verdrängt. Dafür werde ich halt auch nie und nimmer so sexy Geige spielen wie Aliosha. Aber man kann schließlich nicht alles haben.
Titelbild: Miriam Moné