Samstag, Juli 27, 2024

Randnotizen: Alte Mythen, frisches Geld

Mit dem Angriff des Iran auf Israel sind alte Medienmythen wieder da. Sie sollen die Weltbevölkerung wohl beruhigen. Doch wir wissen: Die Eskalation ist beispiellos. Beide Regierungen zündeln weiter und die, die sie bis an die Zähne bewaffnen und hochrüsten, verdienen daran Billionen.

Das Aufatmen und die begeisterten technischen Schilderungen erfolgreicher Raketen-  und Geschossabwehr, die dem Angriff des iranischen Regimes auf Israel folgen, können mich nicht positiv stimmen oder erleichtern. Wer Irangate erlebt hat und die beiden Golfkriege, im Zuge derer die Mediensaga vom »klinisch sauberen Krieg« das erste Mal medial breitgetreten wurde, weiß, welche Bigotterie hinter den Waffengeschäften steht, die hier ungehindert weiterlaufen. Wie jene behandelt werden, die die tatsächlichen Vorgänge aufklären oder Informationen darüber veröffentlichen, und dass Verurteilungen, genauso wie Sanktionen und Allianzen sehr fragil sind.

In Der Standard kommentiert Maria Sterkl:

Ja, es gebe einen leichten Schaden an einer Militärbasis, ein lebensgefährlich verletztes siebenjähriges Mädchen: Das alles sei bedauerlich, aber es hätte auch viel schlimmer kommen können, so der Tenor. Dass es nicht so gekommen sei, sei ein Erfolg für Israel – und eine Niederlage für den Iran. War es das aber wirklich?

Und wenig später gibt sie die Antwort:

Kurzum: Es war keine proisraelische Allianz, die in der Nacht auf Sonntag im Einsatz war, sondern eine anti-iranische.

Nahostredakteuer Jannis Hagmann fasst die iranische Propaganda bzw. die »offizielle iranische Sicht« zusammen:

Das iranische Regime stellt dies anders dar: „Die Operation ist mit Erfolg ausgeführt worden“, sagte Armeechef Mohammed Bagheri am Sonntag. Nach seinen Angaben, die wie die Zahl von 99 Prozent abgefangener Geschosse mit Vorsicht zu genießen sind, wurden keine zivilen Ziele ins Visier genommen.

Hauptanliegen sei es gewesen, Ziele anzugreifen, die in Zusammenhang stehen mit der Tötung eines Kommandeurs der iranischen Revolutionsgarden bei einem Angriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Syrien am 1. April: zum einen ein israelisches Geheimdienstzentrum, das Informationen geliefert haben soll, zum anderem den Stützpunkt Nevatim. Von diesem aus waren die Kampfjets nach Damaskus gestartet. „Beide Zentren sind beträchtlich beschädigt und außer Betrieb gesetzt worden“, behauptete Bagheri.

Normalisierung des Krieges

Schauderhaft ist die Rhetorik der Verharmlosung, die so locker hingesagte Scheinnormalisierung dieses beispiellosen Tabubruchs und wie Krieg und Menschenleben zu Teilen eines Spiels oder taktischem Manöver erklärt werden. Wie viele Tote es gab, werden wir wohl nie oder erst in fünfzig Jahren erfahren. Und für Deeskalation braucht es mehr, als sich eine Seite zu suchen, auf die man sich stellt, und das Verharmlosungsspiel mitzumachen. Die Gewaltspirale dreht sich weiter und ein diplomatisches Einschreiten ist nicht einmal in Sicht. Diesen Krieg, wenn er sich weiter entfesselt, wird niemand gewinnen. Sehr viele aber werden ihn und vor allem ihr Leben verlieren. Jedes einzelne Leben könnte verschont werden. Tomas Avenarius kommentiert in der Süddeutschen Zeitung:

Aber die verquere israelische Innenpolitik und das armselige Agieren Netanjahus dürfen nicht den Blick auf das größere Bild verstellen. Die Raketennacht vom Wochenende war der erste direkte iranische Angriff auf israelisches Staatsgebiet. Das ist in der vierzigjährigen Geschichte der Erzfeindschaft dieser beiden Staaten beispiellos und zwingt die USA und Europa in die erneute Gefolgschaft Netanjahus. […] Mit diesem Tabubruch dürfte sich alles ändern, für Israel und für seine Unterstützer. Revolutionsführer Ali Chamenei hat zwar erklärt, die Vergeltung für den Angriff auf die Botschaft in Damaskus könne damit „als erledigt betrachtet werden“. […] Iran und Israel bekriegen sich seit mehr als vier Jahrzehnten.

Jetzt haben sie den Konflikt gemeinsam nach besten Kräften verschärft. Die Islamische Republik steht als Mastermind hinter dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober, Israel drangsaliert die Palästinenser und tötet iranische Atomwissenschaftler in Teheran und Isfahan. Es gibt weder die von Haus aus Guten noch die immer Bösen – es gibt nur Zündler und jede Menge an Risikofaktoren.

Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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