Samstag, Juni 29, 2024

Legt euch gehackt

Die Geschichten der Gefolterten, der Ermordeten, der Vergewaltigten sind gut nachzulesen. Sie sind darum so gut dokumentiert, weil die Folterer, die Mörder und die Vergewaltiger sie so gut dokumentiert haben. Die Folge davon: noch mehr Antisemitismus. In Amerika, in Europa. In elitären Schichten. In Universitäten. Dort, wo man es nicht so erwartet hätte.

Ehrlich gesagt dachte ich, dass ich nichts mehr zu Antisemitismus schreiben wollte. Ich dachte, es sei schon so viel gesagt worden, eigentlich fast alles.  Jedenfalls habe ich das gehofft. Dass es irgendwann einmal erledigt sein wird. Nichts neues. Altbekannte Fakten. Etwas, das man überwinden kann. Vielleicht sogar etwas, das schon überwunden ist! Der Beginn der Pandemie hat mich eines Besseren belehrt. Das, was sich schon in der Denkmechanik eines Gerd Hamer erkennen ließ – die Beschuldigung der Juden, dass sie die Nichtjuden vergiften wollen würden  (Hamers Modell war die Schulmedizin versus die Neue Germanische Medizin, so nannte er sein Kurpfuschermodell, das viele Menschen qualvoll das Leben kosten würde) – tauchte plötzlich wieder auf. Ein giftiges Geraune, das unter anderem auf Forscher und Ärzte abzielte.

Aufstieg alter Schreckgespenster

Allerdings war auch schon davor George Soros eine willkommene Gestalt, auf die sich das übervolle Reservoir des Judenhasses entladen konnte, um Druck abzulassen. Und danach, nach dem 7. Oktober steigerte sich der Druck offenbar immens. Ich habe schon viel darüber geschrieben, so auch in meinen Kolumnen hier und ich will mich nicht wiederholen. Die Geschichten der Gefolterten, der Ermordeten, der Vergewaltigten sind gut nachzulesen, weltweit. Sie sind unter anderem darum so gut dokumentiert, weil die Folterer, die Mörder und die Vergewaltiger es so gut dokumentiert haben. Die Folge davon war: noch mehr Antisemitismus. In Amerika, in Europa. In elitären Schichten. In Universitäten. Dort, wo man es nicht so erwartet hätte.

Fehlende Solidarität

Das schreibe ich, weil hier kein Unterschied gemacht wurde zwischen der Politik der aktuellen israelischen Regierung und der israelischen Zivilbevölkerung, die immerhin trotz der schrecklichen Ereignisse des 7. Oktober immer noch Kraft fand, gegen Netanjahu zu protestieren. Es galt sogar jüdischem Leben weltweit.

Wenn in Wien im zweiten Bezirk, der sogenannten Mazzesinsel, antisemitische Drecksparolen geschmiert werden, richtet sich der Grund – nämlich stupider Antisemitismus – von selbst. Wenn in Wien – im mittlerweile geräumten Protestcamp – Solidarisierung mit Terroristen skandiert wird, ist das eine unverzeihliche Grenzüberschreitung. Ich frage mich, wieso solche Aktionen oft weit milder betrachtet werden als eine Demo, auf der Nazisprüche skandiert und Hitlergrüße gezeigt werden würden. Es beruhigt mich keineswegs, dass es neben rechten, altbekannten auch noch linken Antisemitismus gibt, nicht in der UdSSR (den kannte ich gut) sondern hier, in Europa, in Österreich. Kurzum, ich habe gelernt, dass der Antisemitismus nicht nur nicht vorbei ist, sondern dass er sich prächtig entwickelt.

Zuschriften der unangenehmen Art

Die Zuschriften, die ich erhalte, seit ich öfter darüber schreibe, statt schamhaft zu schweigen wie viele meiner Vorfahren, die sich dessen nicht nur schämten, sondern die auch aus Angst schwiegen – sind, sagen wir einmal, manchmal sehr originell. Es steht eine ungeheure Wut dahinter. Und manchmal auch eine bittere Enttäuschung. Ich habe Menschen enttäuscht, weil ich gegen Folter, Mord, Vergewaltigung angeschrieben habe. Das habe ich übrigens auch getan, als ich für geflüchtete Tschetschenen und Tschetscheninnen übersetzte. Da hat es offenbar bis auf dumpfe Rechte niemanden gestört. Für Juden und Jüdinnen aber soll ich es nicht tun. „Legt euch gehackt“, sagt mein Kollege Hasnain Kazim, wenn er sich in ähnlicher Situation wiederfindet. Ich finde diesen Satz äußerst reizvoll und kannte ihn bisher nicht. Ich werde mir das mal ausleihen. Also: legt euch gehackt.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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