Freitag, Mai 3, 2024

Prozess: Bandenkrieg am Bahnhof

Prozess

Wegen einer Massenschlägerei in Wiener Neustadt musste die Cobra anrücken und der Zugverkehr für eine Stunde gesperrt werden. Jetzt stehen fünf Jugendliche vor Gericht. Sie wollen sich nur gewehrt haben.

Wien, 19. März 2022 | Die erste Regel des Fight Club lautet: Ihr verliert kein Wort über den Fight Club! Dichthalten funktioniert allerdings nur bedingt, wenn es zu Schüssen, einem Großeinsatz der Polizei und mehreren Verletzten kommt, man angeklagt wird und infolgedessen vor Gericht aussagen muss. So geschehen fünf Jugendlichen nach einer Massenschlägerei am Wiener Neustädter Hauptbahnhof.

Eigentlich hatten sich an jenem Tag Anfang Jänner die Mitglieder zweier Gruppen Jugendlicher nur zum Reden treffen wollen – behaupten zumindest die Beteiligten – und das sind ganz schön viele, mehr als 30, um genauer zu sein. „Wollen Sie die Jacke ausziehen? Das hier wird länger dauern“, fragt Richterin Anna Marchart am Anfang der Verhandlung am Landesgericht Wien.

Hahnenkampf am Parkdeck

Für eine Aussprache war man mit der S-Bahn von Wien nach Wiener Neustadt gefahren, erzählt der Hauptangeklagte. Er und die fünf, sechs Leute, mit denen er unterwegs war, hatten damit gerechnet, eben so vielen gegenüberzustehen, so der Sechzehnjährige. Am Bahnsteig dann die Überraschung: Eine Gruppe von 20 bis 30 Personen wartet schon auf die Ankommenden.

Das bedrohliche Willkommenskomitee will reden, aber nicht hier, sondern am alten Parkdeck. „Sie sind also zum Reden dorthin gegangen, wo es keine Kameras gibt? Haben Sie nicht geahnt, dass das nicht friedlich laufen wird?“, fragt Richterin Marchart mit hochgezogenen Augenbrauen. Doch, sagen auch die anderen Angeklagten, aber Weglaufen sei zu dem Zeitpunkt nicht mehr gegangen.

„Nicht schuldig!“, sagen sie fast alle. Nur der Hauptangeklagte gibt zu: Er hat angefangen. Ein Bursche aus der rivalisierenden Gruppe sei ihm ziemlich nahegekommen, „Kopf an Kopf“, sagt er. Er habe gewusst, der andere würde ihn gleich angreifen und daher habe er selbst zweimal mit der Faust zugeschlagen – seinem Gegner “zweimal Faust gegeben”, wie der Angeklagte sich ausdrückte – und einmal mit dem Knie getreten. Der andere sei sofort bewusstlos gewesen. Dann seien aber die zwanzig anderen auf ihn und seine Freunde losgegangen.

Showdown mit Schreckschusspistole

Deutlich in der Unterzahl hätten sie sich nur gewehrt und versuchten zu flüchten, ins Stiegenhaus. Dort die nächste Überraschung: Im Stiegenhaus sind noch mehr Burschen und auch deren Freundinnen. Der Hauptangeklagte beschreibt, wie er von hinten geschlagen wurde. Einer der Angeklagten erzählt, er habe auch gesehen, wie einer rumgebrüllt und sich sein T-Shirt ausgezogen habe.

Endlich im Erdgeschoss fährt plötzlich ein Auto vor, mehrere ältere Jugendliche steigen aus. Einer soll mit einer goldenen Schreckschusspistole geschossen und auch auf die Angeklagten gezielt haben, ein anderer habe ein Messer gezogen. Chaos, ein Junge geht zu Boden, mehrere treten auf ihn ein, plötzlich Rufe: „Polizei!“ Die Burschen laufen in alle Richtungen davon. Zu Verhaftungen kommt es dennoch.

Die Bilanz: Mehrere Verletzte, ein abgebrochener Zahn, blaue Flecken und aufgeplatzte Wunden. Der, den der Hauptangeklagte zuerst angriff, will 2000 Euro Schmerzengeld. Die fünf Angeklagten sind alle aus der kleineren Gruppe. Jeder, der auf der Anklagebank sitzt, hat seine Hände im Schoß verschränkt und knetet seine Finger. Sie sehen noch jünger aus, als die 16, 17 Jahre, die sie alt sind. Ihre Eltern sitzen hinten im Saal. Bei den Schilderungen der Geschehnisse durch die jeweils anderen lachen die Angeklagten mehrmals etwas verlegen und stumm unter ihren FFP2-Masken.

Keiner kennt sich, keiner war‘s

Hintergrund der geplanten „Aussprache“ in Wiener Neustadt war ein Streit über Instagram zwischen zwei Burschen, erzählt derjenige, der Schmerzengeld fordert und das erzählt auch der Hauptangeklagte. Beide kannten sich gar nicht, denn es waren gar nicht sie, die den Streit miteinander hatten. Es ging um einen Bekannten des Hauptangeklagten, der nicht allein dort aufkreuzen wollte, weil er Angst hatte, verprügelt zu werden.

Obwohl die Leute aus Wiener Neustadt den Bekannten noch in der S-Bahn anriefen und diesem auf Türkisch sagten, er solle mit ihnen kämpfen, habe der Hauptangeklagte wirklich geglaubt, es würde nur geredet werden, versichert dieser der Richterin. Er habe keine Probleme gewollt, wegen seiner Vorstrafe. Erst wenige Monate zuvor war er wegen Mordversuches angeklagt, dann aber wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Auch die anderen beteuern, man habe gedacht, es werde nur geredet, ein anderer will nicht einmal den Grund für die Fahrt nach Niederösterreich gewusst haben.

Schaulustige Verbündete

Derjenige, der Schmerzengeld fordert, ein dünner kleiner Jugendlicher mit Silberkettchen über dem schwarzen Rolli, erzählt die Geschichte ein bisschen anders. Nicht seine Gruppe habe den anderen wegen der Aussprache angerufen, sondern umgekehrt. Die 20 Leute, die da am Bahnsteig dabei waren, kenne er gar nicht, nur sieben bis acht davon, die anderen seien aber wohl zum Zuschauen mit aufs Parkdeck gekommen.

Ja, das Parkdeck war seine Idee. Auch gegen ihn ist ein Verfahren anhängig. Die anderen seien wahrscheinlich Tschetschenen gewesen, seine Gruppe Türken. Warum hat er dann mit dem Hauptangeklagten geredet und nicht mit dem, mit dem er sich aussprechen wollte, wenn der extra zu ihm fuhr, fragt die Richterin. Der Jugendliche zuckt die Achseln: „Er stand hinten, er ist nicht zu mir gekommen.“

Schauplatz Schutzzone

Seit einigen Jahren gibt es am Neustädter Bahnhof eine sogenannte Schutzzone. Die Polizei kann dort Betretungsverbote aussprechen, wenn es zu Auffälligkeiten kommt, sowie Geldstrafen für die, die sich nicht daran halten. Die SPÖ fordert seit Jahren ein Wachzimmer am Bahnhof, trotz einer Petition im Februar, die aufgrund der Massenschlägerei gestartet wurde, gibt es dieses immer noch nicht, wie der “Kurier” berichtete. Die Landespolizeidirektion Niederösterreich sehe keinen Bedarf, die Schutzzonen hätten die Kriminalität bisher ausreichend gesenkt.

Noch gibt es im Prozess kein Urteil, Richterin Marchart vertagt.

(sm)

Titelbild: APA Picturedesk

Stefanie Marek
Stefanie Marek
Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.
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20 Kommentare

  1. wie?
    sie spö will ein wachzimmer dort haben und die lpd NÖ sagt nein?

    na dann werdet ihr noch viel spaß dort haben

      • das wort ‚weck‘ ist ja ein wahnsinn. das gibts doch nicht einmal bei volksschuelern.

    • Das wird wohl kaum mehr gehen, wahrscheinlich sind die meisten schon Österreicher. Und die NGOs hängen an ihnen. Abgesehen davon, sind das die Garanten für unsere Pensionszahlungen, also unverzichtbare Leistungsträger …

  2. Etwas anderes: Kann man denn nicht Werbung schalten, die weniger grindig ist? Vielleicht sogar sinnvolle und bessere Dinge, die eh sonst keiner findet, zB nachhaltig? Es gibt so tolle Projekte mit Waren oder Dienstleistungen mit Sinn und Ihr schaltet lauter ekelhafte Zehen und Bauchfettbilder, die niemand und so oft sehen will.

  3. Sehr gute Milieustudie!
    Oft ist eine Rauferei den Medien nur ein paar Zeilen wert: “Schlägerei – Verurteilt – Freigesprochen”. Die hier geschilderten Emotionen sind allerdings wichtig und runden das Stimmungsbild ab. Zum Vergleich ein negatives Beispiel: Wenn die Verteidigungslinie von Schmid bereits im Fall Thalhammer darauf abzielt, die Nennung von Emotionen zu skandalisieren, möchte ich jetzt nicht wissen, was er bei eventuell besuchten Gerichtsverfahren alles verschwiegen hat. Danke jedenfalls an sm für die ausführliche Reportage!

    • Sie meinen wohl möglichst lange Jugendknast mit Rahmenbedingungen nach Vorstellung der FPÖ? Wenn man möchte dass sich Gewaltpotential und Gangmentalität manifestieren, ist dies gewiss eine Möglichkeit um solches zu garantieren. Ein jeder kompetenter Jugendrichter weiß jedoch dass sozialpädagogischer Zugang verknüpft mit zielgerichteter Therapie mit Schwerpunkt Trauma und Gewalt hier ein adäquaterer Ansatzpunkt ist um aus jugendlichen Raufbolden und Kleinkriminellen keine Gewohnheitsverbrecher heranzuzüchten.

      • Sie sollten nicht automatisch Ihrem Beißreflex folgen sondern Ihre rosarote Brille abnehmen und das Problem genauer betrachten. Es scheint, dass sich jetzt auch in Österreich Clans bilden, die wie zum Beispiel in Berlin bereits ganze Stadtteile kontrollieren und terrorisieren. Das ist alarmierend!

        • Ist mir schon bewusst. Hab auch mit tschetschenischen Jugendlichen nicht die besten Erfahrungen gemacht, die jedoch in vielen Fällen von den Familienclans und deren kulturellen Konflikten beeinflusst, manipuliert und missbraucht werden. Die Kunst ist es sie dabei zu unterstützen dass sie sich davon freimachen und ihre eigene Zukunft in Angriff nehmen, sofern sie in Österreich eine aufbauen möchten. Mit der richtigen Unterstützung ist auch bei diesen jungen Leuten noch viel möglich. Mit hart repressiven und revanchistischen Methoden wird man nie für eine notwendige Einsicht bzw. Reflektion sorgen können. Damit stärkt man nur ihre Voreingenommenheit und untaugliches Freund – Feind denken. Verantwortungsbewusste und sozial eingestellte Staatsanwälte und Richter sind nicht naiv, sondern denken in hohen Maße auch an den Schutz der Gesellschaft.

          • Der beste Schutz für die Gesellschaft wäre eine Abschiebung, aber unsere Regierung schafft das nur bei schulpflichtigen Mädchen

          • Bei der tschetschenischen Community haben viele Familien bereits das Bleiberecht und man kann deren Söhne nicht so leicht abschieben. Ginge nur bei Kapitalverbrechen. Würde es anders sein, wäre es unverhältnismäßig sie direkt Diktator Kadyrov auszuliefern, der ebenfalls als Kriegsverbrecher durchgeht. Dass dieser “Abtrünnige” die unfreiwillig zurückkehren müssen, nicht mit offenen Armen empfängt dürfte ja bekannt sein.
            Wenn man mit den Jungs dann schon leben muss, sollte man sich ihnen zum eigenen Vorteil verstärkt annehmen und sie nicht aus der Gesellschaft ausgliedern.

          • Sie müssten die Jugendlichen aus ihren Familien reißen, um sie vor Beeinflussung zu schützen. Wenn die Mutter sagt, ein Mann ist nur ein Mann, wenn er im Knast war und der Jugendliche verinnerlicht hat, seine Mutter dreimal zu ehren bevor er den Vater ehrt, stürzen Sie den Jugendlichen in einen Gewissenskonflikt. Mit 16 ist die Sozialisation abgeschlossen, schon viel zu spät, um etwas gegen diese Werte ausrichten zu können. In Deutschland wurde lange weggesehen, jetzt gibt es bereits no-go Zonen, wo die Polizei nicht mehr hinein kann. Diese Clans werden immer mächtiger und reicher und knüpfen entlang ihrem Netzwerk auch Verbindungen nach Österreich.

            Sie könnten es schaffen, wenn Sie die Jugendlichen isolieren, aber das ist aufgrund der hohen Zahlen nicht mehr möglich.

          • “…jetzt gibt es bereits no-go Zonen, wo die Polizei nicht mehr hinein kann.”
            Ja, diese Mär hält sich in gewissen Kreisen. Richtig ist, dass sie in manchen Bezirken nur in Mannschaftsstärke aufläuft. Aber das ist am Rennbahnweg in Wien nicht anders, und das schon länger.
            Als ich heim ins Reich kam, habe ich mir die angeblichen no go-Zonen in meiner Heimatstadt mal angesehen, all diese für Deutsche lebensgefährlichen Stadtteile. Angeblich gibt es davon drei. Nirgends gab es Probleme. Weder auf der Straße, noch im Beisl. Aber erzähl nur weiter, hast den Irrtum eh schon im Namen.

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