Russische Desinformation ist kein neues Phänomen, im brutalen Krieg gegen die Ukraine hat sie Hochkonjunktur. Europa ist darauf wieder einmal nicht vorbereitet.
Benjamin Weiser
Wien, 06. April 2022 | Nachdem die Covid-Demos infolge der Durchseuchungspolitik langsam aber sicher abschwellen, geifert das radikalisierte Milieu jetzt in Richtung Ukraine. Ja nicht reinfallen auf westliche Propaganda, heißt es da. Die absurden Lügen des Kremls blendet man freilich aus. Putin-Verharmlosung ist allerdings ein Phänomen, das breite Schichten betrifft.
Im Zuge der ersten Russlandsanktionen ab 2014 waren Kreml-Lobbyisten in deutschen Talkshows von Beginn an präsent. Ihnen wurde viel Raum gegeben – sie nutzten ihn. Schon bald übernahmen Politiker von links bis rechts die Erzählung stumpfer Sanktionen. Entsprechende Umfrageergebnisse folgten. Im Netz bespielten derweil Trolle und Bots die russische Klaviatur. Selbiges passiert jetzt wieder.
Spricht man mit Auslandsrussen von London bis Wien, hört man oft: Ja, in Russland gebe es überbordende Staatspropaganda, die Medien seien nicht frei. Gleichzeitig wird behauptet, dass es in Europa auch nicht anders sei. Gut leben lässt es sich hier seltsamerweise trotzdem. Die Saat Putins geht entgegen aller Evidenz immer wieder auf. Der Ex-KGB-Mann weiß: wenn man selbst kein überzeugendes Gesellschaftsmodell hat, muss man das des Gegners zerstören. Zweifel säen. Lügen. Destabilisieren.
Dabei ist Putins Kreml-Funk janusköpfig aufgebaut. Nach innen wird geklagt, der Westen sei an allem schuld. Die Sanktionen zwängen die russische Wirtschaft in die Knie, heißt es. Kein Wort vom eigenen Angriffskrieg als Auslöser, den man in Russland selbst nicht als solchen bezeichnen darf. Mit einem klaren Feindbild schafft man in einem Land ohne freie Medien einen patriotischen Sammlungseffekt („rally around the flag“). Nach außen hin wiederum spielt man die Wirkung der Sanktionen herunter, Putins Schergen machen sich darüber öffentlich lustig. Angeblich schadeten die Sanktionen dem Sender mehr als dem Empfänger, wird der europäischen Audienz erzählt. Durch außenwirtschaftliche Daten lässt sich das kaum stützen, auch weil Sanktionen ein politisches Instrument sind. Deren zahlenmäßige Messbarkeit ist wissenschaftlich ohnehin umstritten.
Die Ziele der EU-Sanktionen sind einfach: Flagge zeigen und die Kosten für den Krieg hochtreiben, um das Morden des Kremls teurer zu machen. Dass damit ein vollständiger Kurswechsel erzwungen wird, ist unwahrscheinlich. Das lehrt die Geschichte. Soll man deshalb darauf verzichten? Immerhin sind Sanktionen so ziemlich das einzige Instrument zwischen Diplomatie und militärischer Kriegführung. Dies schlüssig zu argumentieren, ist angesichts 27 verschiedener Mediensysteme in der EU eine Herausforderung – aber eine notwendige, will man Europa von den Fesseln eines Kriegstreibers befreien.
Im Angesicht des blutrünstigen Ausrottens der Ukraine scheinen wir aber nicht im Stande, mit dem Diktator aus Moskau umzugehen. Wir wollen günstig heizen und ertragen die Bilder nicht. Butscha, das wollen wir nicht sehen. Während manche Moraldebatten um Verpixelung als Vorwand fürs Wegschauen führen, reagieren andere mit Wahrheitsumkehr. Schon bald könnte es auch wieder eine Diskussion um Geflüchtete geben. Mit einem Flüchtlingskoordinator, der sich nicht zuständig fühlt, sind Probleme vorprogrammiert. Putin sitzt derweil am langen Tisch in Moskau und wartet ab. Er weiß: wer zu blöd ist für einen kalten Krieg, verliert auch den heißen.
Titelbild: APA Picturedesk