Analyse
Vier ausgewiesene Agenten können über eines nicht hinwegtäuschen: Österreich gilt als Hintertür für Putins Geheimdienste. Geheime Akten zeigen, wie tief das Misstrauen der westlichen Dienste in den letzten Jahren war.
Peter Pilz
Wien, 13. April 2022 | „Wir können uns auf Österreich nicht verlassen. Gerade jetzt nicht.“ Der Experte, der dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad nahesteht, traut dem österreichischen BVT auch unter dem neuen Namen „DSN“ nicht über den Weg. „Wien ist die undichte Stelle Richtung Moskau. Das wissen bei uns alle.“
Der Mossad ist assoziiertes Mitglied im Berner Club CdB, einem angeblich informellen Geheimdienstzusammenschluss. Der CdB ist aber mächtiger als er sich nach außen hin gibt. Und er ist umfassend: auch FBI, CIA und die restlichen Dienste der englischsprachigen „Five Eyes“ in Australien, Neuseeland und Kanada sind im Club. Zu den Mitgliedstaaten der EU kommen bei den ordentlichen Mitgliedern noch Großbritanniens MI5 und die Dienste aus Norwegen und der Schweiz dazu.
Über den Berner Club tauschen die Nachrichtendienste ihre Informationen aus. Mit Codewörtern beschränken sie in ihrer Codeworttabelle den Kreis von Empfängern und markieren spezielle Zielbereiche. Die Tabelle liegt der Redaktion vor.
Der islamische Terrorismus läuft unter dem Codewort „Capriccio“, rechter und linker Extremismus läuft unter „Rile“. Bei „Silentium“ geht es um organisierte Kriminalität.
Philosophy
Nur mit einem Codewort hatte das BVT ein Problem: mit „Philosophy“, dem Code für „Spionageangelegenheiten im Zusammenhang mit den Diensten von Russland, anderen GUS-Staaten, China und Iran“. Im November 2018 veröffentlichte der Falter ein Dokument, dessen Brisanz bis heute unterschätzt wird. Es stammt aus der Zentrale des finnischen Nachrichtendienstes SUPO in Helsinki. SUPO wandte sich an den „Philosophy“-Verteiler, die CdB-Mitglieder ohne die assoziierten Mitglieder außerhalb Europas. Aber von der SUPO-Meldung ist ein Mitglied ist ausgeschlossen: „except BVT Vienna“.
(Faksimile ZackZack)
2018 war Herbert Kickl Innenminister. Seine FPÖ war bereits seit dem Dezember 2016 mit Putins Partei „Einiges Russland“ in Moskau durch einen Kooperationsvertrag verbunden. Aber Kickl war nur die Spitze des russischen Eisbergs mitten in Wien. Von Ex-KGB- und Stasi-Männern war Wien neben London längst zum zweiten Hauptstandort des Putin-Netzwerks bestimmt worden.
Putin-Zentrale „Wien“
Im Wiener Putin-Netzwerk sind mehrere Knoten miteinander verbunden:
Putin-Oligarchen wie Dmytro Firtasch sorgen über Firmenkonstrukte in Russland, der Ukraine und der Schweiz für Geld aus dem Erdgasgeschäft. Die Putin-Expertin Catherine Belton spricht in diesem Zusammenhang von „schwarze Kassen“, die hier gezielt für Putin und sein System angelegt werden sollen. Die Gaskunden im Westen sollen demnach nicht wissen, dass sie über Zwischenhändler wie Rosukrenergo Putins verdeckte Aktionen finanzieren.
Die Finanzierung der Putin-Firmen läuft in Wien und Moskau über Banken wie Raiffeisen. Putin-nahe Oligarchen verlassen sich seit langem auf Raiffeisenbank International RBI.
Firtasch wird in Wien von verlässlichen Personen aus dem ÖVP-Umfeld betreut. Der „Investor“ und Kurz-Unterstützer Alexander Schütz gehört ebenso dazu wie ÖVP-PR-Mann Daniel Kapp.
Belton nennt einen weiteren Namen: Martin Schlaff, ein Investor, dessen Spuren wie die Putins mit dem Namen „IM Landgraf“ in die Zeit von DDR und Stasi zurückführen.
FSB und SWR
Hinter dem Netzwerk der schwarzen Kassen operieren der russische KGB-Nachfolger FSB und der Auslands-Geheimdienst SWR. Seit 2005 wird die russische Spionage vom FSB-Residenten an der russischen Botschaft in Wien geleitet. Außenminister und Innenminister werden über die russische Botschaft in Wien informiert, wer ganz offiziell Putins Geheimdienst-Geschäfte in Wien leitet.
Für die russischen Dienste arbeitet vom 1. Sekretär der Botschaft abwärts ein großer Teil des Botschaftspersonals. Der FSB-Resident ist für hunderte Agenten in Österreich zuständig. Ein Teil von ihnen „kümmert“ sich um tschetschenische Flüchtlinge und arbeitet dabei nach Angaben von DSN-Mitarbeitern Informationen zufolge eng mit Beamten des Innenministeriums zusammen.
Die umfangreiche Wirtschaftsspionage bis zur Auskundschaftung technischer Details im Rüstungsbereich wird über die Handelsabteilung der russischen Botschaft organisiert. Die DSN kennt die Spione und meldet dem Landesverteidigungsministerium jährlich die Namen der russischen Agenten, die ihren Besuch bei der militärischen Luftfahrtshow „Airpower“ in Zeltweg planen. Der Bericht aus dem Juni 2009 illustriert die BVT-Überwachung der SWR-Agenten.
(Faksimile ZackZack)
Die DSN, wie das BVT jetzt genannt wird, führt eine lange Liste der aktiven FSB- und SWR-Agenten. In DSN und Innenministerium (BMI) ist klar, dass das neue Einsatzgebiet der FSB-Agenten in Wien und den Landeshauptstädten „ukrainische Flüchtlinge“ heißt. Obwohl die Namen und Aufgaben der Führungsoffiziere und ihrer Agenten bekannt sind, wird bislang nichts unternommen, um sie an ihrer „Arbeit“ zu hindern und sie auszuweisen.
Der FSB steht seit langem in engem Kontakt mit BVT/DSN. Interventionen von CIA und MI5 gegen die zu engen Verbindungen zwischen BVT, russischen und iranischen Diensten blieben in der Regel unbeachtet. In Einzelfällen versuchten sogar US-Botschafter wie Lyons Brown, auf Komplizen ausländischer Dienste in Schlüsselbereichen des BVT hinzuweisen.
Neptune und ZQB
Im Gegensatz zu allen anderen Diensten des Berner Clubs waren im BVT zwei der sensibelsten Datenbanken für Mitarbeiter leicht zugänglich: die Neptune-Datenbank mit der internen Kommunikation des Clubs; und die zentrale Quellenbewirtschaftung mit den Listen der verdeckten Ermittler des BVT.
Bei der Hausdurchsuchung im BVT wurden diese Daten auf einer Festplatte ohne besondere Sicherheitsmaßnahmen beschlagnahmt und von den Ermittlern mitgenommen. Untersuchungen der WKStA ergaben, dass die sensiblen Daten unverschlüsselt auf einer Festplatte für fast alle zugänglich in der IT-Abteilung des BVT lag. Bis heute ist nicht klar, ob es russischen Diensten gelungen ist, über die riesigen Sicherheitslücken im BVT die Daten der CdB-Dienste abzusaugen.
In einem internen Mail beschreibt BVT-Mitarbeiter Franz K. den Schaden. Er schreibt in einer Mail: „Es tut mir leid, dass ich euch vor dem Wochenende noch eine schlechte Nachricht übermitteln muss. Aber ich hab mir die CommCenter-Backup-Platte, die von der WKStA zurückbekommen habe, jetzt genau angesehen.“ Er schließt mit: „Ich finde, wir sollten nochmals mit Nachdruck darauf hinweisen, wie wichtig Geheimhaltung der Daten (ZQB NEPTUNE PWGT) sind (sic!).“ PWGT meint Polce Working Group on Terrorism. Bei der Neptune-Kommunikation geht es um die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017, bei den ZQB-Daten um jene bis 29. August 2013. Die Neptune-Exchange-Datenbank ist bis 18. April 2016 betroffen.
Im Juli 2018 wollten die Partnerdienste des Berner Clubs nur noch das Nötigste mit dem BVT zu tun haben. Die Affäre „Neptune“ war bereits bekannt. Um einen weiteren Abfluss sensibler Daten zu Putins Geheimdiensten zu verhindern, wurde die BVT-Mitgliedschaft im Berner Club suspendiert. Deutsche, französische und britische Dienste dichteten gemeinsam das österreichische Leak ab. Von da an war das BVT strategisch blind.
Putins Wien
Es gibt mehrere Gründe, warum Wien als Einfallstor für russische Dienste und russische Politik gilt. Die österreichische Politik hat seit Jahrzehnten ein „besonderes Verhältnis“ zu Russland. Alle Dienste wissen: Österreich hat keine funktionierende eigenständige Spionageabwehr. Seit Jahrzehnten kennen Innenminister diese Sicherheitslücke – und lassen sie offen. In DSN/BVT hat sich das Naheverhältnis zum FSB über zwei Jahrzehnte so intensiv entwickelt, dass dem FSB temporär ein Verbindungsbüro im Ministerium zur Verfügung gestellt wurde. Russland konnte sich darauf verlassen, dass seine Interessen bei Ermittlungen (Mord am tschetschenischen Flüchtling Israilov, Verhaftung und erzwungene Freilassung eines mordverdächtigen KGB-Oberst) „berücksichtigt“ wurden.
Wien ist ein Zentrum des Nachrichtenhandels. Spuren des Handels führten immer wieder ins BVT selbst. Mit FPÖ und ÖVP hat Österreich zwei Parteien, die – aus unterschiedlichen Gründen – ein Naheverhältnis zum Putin-Regime pflegen. Die Innenminister stammen seit 2000 ausschließlich aus diesen beiden Parteien.
Die DSN bittet auf Nachfrage um Kenntnisnahme, dass man zu nachrichtendienstlichen Angelegenheiten generell keine Auskünfte erteilen könne. Für Anfragen zu in Österreich akkreditierten Personen bzw. zu deren Ausweisung wird an das Außenministerium verwiesen.
Austria sei ein „beachtlicher Flugzeugträger“ für geheime russische Aktivitäten, zitiert die Financial Times am 27. März 2022 einen Diplomaten. Für das „Binnenland Österreich“ scheint ein anderer Vergleich geeigneter: Österreich ist das EU-Scheunentor für Putins russische Dienste.
Titelbild: APA Picturedesk