In der Ukraine fand am Montag der erste Prozess gegen einen russischen Kriegsverbrecher statt. Der Angeklagte gab sich geständig und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Wien, 23. Mai 2022 | In Kiew wurde heute das Urteil im ersten Kriegsverbrecherprozess seit Beginn des russischen Angriffskriegs verkündet. Der 21-jährige russische Soldat Wadim Schischimarin wurde wegen Mordes am ukrainischen Zivilisten Aleksandr Schelipov zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Verurteilte soll in dem Gebiet Sumy am 28. Februar, kurz nach Ausbruch des Krieges, einen unbewaffneten 63-jährigen Mann aus dem Fenster eines gestohlenen Autos heraus erschossen haben, weil diese Zeuge des Diebstahls war.
Schießbefehl zunächst verweigert
Der Verurteilte gab sich von Beginn an überraschend geständig, aber behauptete zur Tat gedrängt worden zu sein. „Ich war nervös wegen der Vorgänge. Ich wollte nicht töten”, so der Verurteilte bei seiner Einvernahme.
Nachdem sein Konvoi am 28. Februar unter Beschuss geraten sein soll, wollte der Soldat mit vier Kameraden in einem gestohlenen Auto die Flucht ergreifen. Ein unbewaffneter Passant, der unweit seines Hauses telefoniert hatte, soll den Diebstahl mitbekommen haben. Daraufhin soll der Fähnrich Schischimarins ihm befohlen haben zu schießen. Als er ablehnte, soll ein anderer Soldat in einem drohenden Ton den Schießbefehl wiederholt haben und ihn damit erpresst haben, ihn zu verraten. Danach soll der 21-jährige einen kurzen Schuss abgegeben haben. Auf die Frage des Richters zu seiner „inneren Einstellung“ zum Opfer antwortete der Verurteilte: „Ich wollte ihn nicht töten. Ich habe geschossen, damit man mich in Ruhe lässt.“
Reue nicht glaubwürdig
Der Anwalt des Verurteilten hatte für einen Freispruch plädiert, weil sein Mandant einen direkten Befehl ausgeführt hatte, den er zunächst verweigert hatte. Die Staatsanwaltschaft und schließlich auch das Gericht misstrauten der Aussage des Soldaten, nicht die Absicht gehabt zu haben, das Opfer zu töten. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, er habe sich sehr wohl dessen bewusst sein müssen, dass er einen „kriminellen Befehl“ durchführte. Die Aufrichtigkeit der Reue wurde vom Gericht nicht anerkannt. Lediglich seine Kooperation bei den Ermittlungen wurde als mildernder Umstand gewertet.
Das Bezirksgericht in Kiew befand Schischimarin wegen „des Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges in Verbindung mit dem vorsätzlichen Mord an dem Einwohner Aleksandr Schelipov“ für schuldig. Das Gericht verurteilte ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Internationale Ermittlungen in vollem Gange
Der Prozess fand zeitgleich zu laufenden Untersuchungen internationaler Institutionen zu Kriegsverbrechen in Städten wie Bucha und Mariupol statt. EU-Justizkommissar Didier Reynerds versicherte der Ukraine eine strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen: „Es wird Zeit brauchen, es wird ein langer Prozess, aber die Gräueltaten, die in der Ukraine begangen wurden, werden nicht ungestraft bleiben”, so Reynders im Interview mit der italienischen Zeitung “La Stampa”. Es sollen Untersuchungen am Tatort in der Ukraine und in verschiedenen europäischen Ländern, wo Zeugenaussagen gesammelt werden, laufen. Derzeit soll es etwa 10.000 Akten und Ermittlungen dazu geben und mehr als 600 Verdächtigen sollen bisher identifiziert worden sein.
(nb/apa)
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