Donnerstag, Mai 2, 2024

Koks-Banden nutzten »Gütesiegel EU«

Zwischen Bananen- oder Ananaspaletten gelangen Drogen nach Europa. Zollfahnder beschlagnahmten auch im vergangenen Jahr wieder Rekordmengen an Kokain – doch es ist nur die Spitze des Eisberges. Der Markt verlagert sich: mehr Handel, mehr Banden, mehr Gewalt.

Den Haag, 1. Juni 2022 | Ein Rekord jagt den nächsten: 73 Tonnen Kokain sind im vergangenen Jahr allein im Hafen von Rotterdam sichergestellt worden – zum Verkaufswert von etwa fünf Milliarden Euro. In Hamburg waren es mehr als 19 Tonnen – so viel wie nie zuvor. Doch für die Fahnder sind diese Erfolge auch der bittere Beweis, dass Europa eine Drehscheibe des Kokainhandels geworden ist. “Wir wissen, dass das nur die Spitze des Eisberges ist”, sagt Jan op gen Oorth von Europol in Den Haag.

In Europa wird heute mehr Kokain angeboten als je zuvor, stellen Europol und die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht im neuesten Bericht über den Kokain-Markt fest. 2020 waren in der EU 214,6 Tonnen beschlagnahmt worden. Ein Rekord, und der wurde 2021 noch übertroffen: Nach den vorläufigen Daten wurden 240 Tonnen sichergestellt. An der Spitze steht der Hafen von Antwerpen, gefolgt von Rotterdam und dann Spanien.

Mehr als 60 Prozent gehen nach Europa

Für den Kokain-Boom gibt es viele Gründe. Die Produktion in Südamerika stieg nach Angaben von Europol enorm und dadurch auch der Schmuggel. Die Kartelle arbeiten professioneller. “Sie sind wie legale Wirtschaftsunternehmen aufgestellt”, sagt Op gen Oorth. Die Drogenexperten schätzen, dass allein in Kolumbien jährlich 2.000 Tonnen Kokain produziert werden. Mehr als 60 Prozent davon komme nach Europa. Dabei wurden auch die Kontrollen verstärkt. “Aber sie reichen nicht aus angesichts der immensen Liefermengen”, sagt der Europol-Sprecher. Und wenn die Fahnder dann doch einmal zwischen einer Ladung Bananen oder Ananas Pakete mit Kokain entdecken, dann ist das für die Drogenkartelle kaum mehr als Pech. “Die sagen sich: “Was soll’s?””, sagt Op gen Oorth. “Diese Verluste nehmen sie in Kauf.”

Koks-Gütesiegel „EU“

Das Kokain ist längst nicht nur für Europäer bestimmt, sagt der Sprecher. “Die EU ist zur Drehscheibe geworden für Asien, den Nahen Osten und Australien.” Die kriminellen Banden nutzten das “Gütesiegel EU”: Ein Container aus der EU werde eben weniger schnell kontrolliert als einer aus Südamerika.

Vom lukrativen Geschäft wollen auch immer mehr Gruppen profitieren. Doch mehr Konkurrenz führt auch zu mehr Gewalt. Die internationale Bande um den marokkanischstämmigen Niederländer Ridouan Taghi zum Beispiel, dem derzeit in Amsterdam ein großer Prozess gemacht wird, ist berüchtigt für extreme Gewalt. Auch der Mord am Kriminalreporter Peter R. de Vries in Amsterdam im vergangenen Jahr soll auf das Konto der Bande gehen.

Hamburger Hafen als Ausweichzentrum

Mehr Gewalt und strengere Kontrollen führen dazu, dass die Kartelle ausweichen auf andere Häfen in Kalabrien etwa oder in Hamburg. Der norddeutsche Zoll stellte 2021 die Rekordmenge von 19,1 Tonnen Kokain sicher, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Allein 16 Tonnen entdeckten die Fahnder im Februar 2021 in Containern aus Paraguay – die größte je in Europa sichergestellte einzelne Kokain-Ladung mit einem Verkaufswert von mehr als zwei Milliarden Euro.

Tonnenweise Funde

Im Zuge der Ermittlungen wurden in den Niederlanden und Belgien insgesamt weitere gut 18 Tonnen gefunden. Und nicht nur das: Am Ende wurden auch die Täter ausfindig gemacht. Die internationale Bande wurde nach Angaben des Landeskriminalamts Niedersachsen im April zerschlagen. Nach Razzien in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Spanien und Paraguay wurden etwa 20 Verdächtige festgenommen – darunter auch der mutmaßliche Drahtzieher.

Es war einer der großen Erfolge europäischer Ermittler. Doch die Fahnder machen sich keine Illusionen. Die meisten Lieferungen aus Südamerika kommen trotz aller Bemühungen des Zolls vermutlich durch. Es ist kaum einzuschätzen, ob die Beschlagnahme der Rekordmengen 2021 überhaupt eine Auswirkung auf den globalen Handel hatte.

(apa/red)

Titelbild: APA Picturedesk

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14 Kommentare

  1. In die Ukraine dürfte auch Stoff geliefert werden:
    Selenskyj: „Ukraine de facto schon EU-Mitglied“

  2. Befasst man sich näher mit dem Thema Drogen, deren Herstellung, ihren Vertrieb, den ökonomischen Nutzen und ihre Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft, muss man sich mit den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen auseinandersetzen.
    Ich möchte, da es sonst zu weit führen würde, nur das staatspolitisch-kriminalistisch-kriminologische-soziologische und pädagogische Handeln, an Hand einer Fabel beschreiben.
    Die Fabel von den fünf Blinden, die vor einem Elefanten stehen. Der eine bekommt
    den Rüssel zu fassen und erklärt, der Elefant sei eine Art Schlange. Der zweite erwischt ein Bein
    und behauptet auf Tod und Leben, der Elefant sei eine Art Baum. Der dritte lehnt sich an ihn und
    erklärt ihn für eine Art Mauer. Der vierte ergreift den Schwanz und findet, er sei ein Seil. Der
    letzte schließlich gerät an die Stoßzähne und ist überzeugt, es seien gefährliche Pfähle.
    So kompetent verhalten sich die Blinden und haben selbige auch die Folgen und Auswirkungen für Staaten und ih

    • Lieber Beobachter, die Fabel ist ein Lehrstück! Bin lediglich bei einer einzigen Sache noch am Grübeln: Die in der Fabel genannten Blinden müssen zwar – sofern sie gefasst werden – die Konsequenzen tragen, für die Auswirkungen auf die Bevölkerung sind sie mAn nur eingeschränkt haftbar zu machen. Es liegt in der Verantwortung jedes Individuums, ob es sich in den Drogen-Kreislauf begibt oder nicht. Jed(r) ist für sich selbst verantwortlich! Manchen genügt die Handlungsfreiheit nach Locke, andere streben auch die Willensfreiheit (Leibniz) zu erlangen an. Das geht allerdings nur ohne Substanzen jeglicher Art, ohne Sucht. Die “Sehenden” sollten das bedenken, dh bei der Bevölkerung müsste es endlich mal heller werden.

      • Liebe Summa summarum, genau wie Sie es verstanden haben, war die Intention meiner Fabel gedacht. Die “Chefs” der Blinden haben selbige wohlweislich mit dieser Aufgabe betraut. Zum Einen können die Blinden die Absichten ihrer Lenker nicht sehen, andererseits ist ihr Risiko, für zu erwartendes Fehlverhalten bestraft zu werden, minimiert.
        Sie erwähnen Leibnitz als Vertreter des Rationalismus und Locke, selbiger ist dem Empirismus zuzuordnen. Beide Schulen bildeten sich in der frühen Neuzeit, als Nachfahren und Erweiterung der theologischen Vorgängerdebatten der Erkenntnistheorie. Der Vertreter des Idealismus Kant, formulierte seine Erkenntnistheorie in der Kritik der reinen Vernunft. Selbige als Fundament einer wissenschaftlichen Metaphysik formuliert.
        Sie ist daher eine Auseinandersetzung einerseits mit der rationalistischen, andererseits mit der empiristischen Philosophie des 18. Jahrhunderts, die sich vor Kant gegenüberstanden.
        Für Kant erfolgt Erkenntnis in Urteilen. In diesen Urteilen werden die Anschauungen, die aus der Sinnlichkeit stammen, mit den Begriffen des Verstandes verbunden (Synthesis). Sinnlichkeit und Verstand sind die beiden einzigen, gleichberechtigten und voneinander abhängigen Quellen der Erkenntnis. „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.”
        Ich möchte nicht tiefer in die Theorie gehen, es würde den Rahmen sprengen. Wenn Sie aber Leibnitz und Locke bewusst in dieser Fabel erkannt haben, finde ich das sehr bemerkenswert. Meine philosophische “Geheimbotschaft” in dieser Fabel lag in der eben angedeuteten Auseinandersetzung dieser verschiedenen Erkenntnistheoriemodelle. Einen Ausweg aus diesem Dilemma (wie Sie richtig bemerkten) kann nur das Individuum selbst schaffen. Voraussetzung dafür ist allerdings ein nicht beeinträchtigter Verstand…
        Es muss immer heller werden!

        • Es sind diese “Blinden” iSv “nicht sehen Wollenden”… blind followers, Sektenjünger, JVPler… wir finden sie in allen gesellschaftlichen Bereichen… *Sei wachsam!* Nur dann kann es heller werden. P.S. Die Auseinandersetzung Leibniz: Locke (15 Seiten) hat mir auf der Uni mal ein sehr gut beschert, bin damals auf den Freiheitsbegriff näher eingegangen. Ihre Fabel hat mich erinnert…

          • Liebe Summa summarum, hätten Sie es im letzten Satz nicht erläutert, wären Sie von mir als Genie eingeordnet worden. Nun müssen Sie leider in der Kategorie hochintelligent verweilen…
            Im Ernst, die von Ihnen angesprochenen Sektenjünger findet man leider in allen Parteien. Selbige leben ja und profitieren, trotz aller Skandale von ihnen. In den Verfassungen liberaler Staaten werden Sie kein Wort über eine Partei finden. Den Gründervätern dieser Chartas war völlig bewusst, welche Gefahren (speziell bei lang andauernden großen Mehrheiten) von diesen Gesinnungsgemeinschaften ausgehen können und werden.
            Kant hatte und hat die Lösung,

            „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude [wage es verständig zu sein]! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

            Würden wir Pöbelianer uns dessen bewusstSein, sähe es auf der Welt anders und besser aus…
            Deshalb muss es heller werden!

          • Lieber Beobachter, ich bin Pöbel, und das ist gut so! 🙂 Wir könnten hier lange diskutieren, denke ich. Wäre sehr spannend… Ich reiß’ mich jetzt am Riemen und verlasse unser Thema, das ursprüngliche heißt ja Koks, dazu kann ich nichts beitragen. Bin nicht in Hinterzimmern anwesend… 🙂

  3. Es scheint, dass sich Europa keine 2000 Spürhunde + -Halter / Infrastruktur in den Häfen und nachfolgenden Container-Umschlagplätzen leisten “möchte”, aber liebend gerne “2000 mal x” an Manpower für Bekämpfung zur Drogenkriminalität und auch für den Frontex Grenzschutz ausgibt… Woran das wohl liegen könnte, wer hier wovon profitiert, mag sich hier jeder nun für sich ausmalen … (Jetset Privilegien, Nightlife-Entertainment, Life-Style und Party-Kultur mag man sich ohne Koks offenbar nicht vorstellen müssen? Stimmt’s?? 😉 )

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