Teuerungswahnsinn:
Jetzt erwischt es auch jene 440.000 Haushalte, die mit Fernwärme beliefert werden. Wien Energie möchte die Preise um 92 Prozent erhöhen – also fast verdoppeln.
Wien, 08. Juni 2022 | 45 Euro monatlich – so viel zahlt ein durchschnittlicher Wiener Fernwärme-Haushalt künftig mehr. Betroffenen bleiben dadurch aufs Jahr gerechnet über 500 Euro weniger im Börsel. Ein weiterer Schock für viele der 440.000 Haushalte, die sich seit der Preisexplosion bei Lebensmitteln, Miete, Gas und Strom schon jetzt kaum über Wasser halten können.
Man habe einen Antrag auf Anpassung des amtlichen Preisbescheids gestellt, hieß es in einer Aussendung von Wien Energie am Mittwoch. Die wirtschaftlichen Entwicklungen würden eine deutliche Erhöhung erzwingen, wurde versichert.
“Haben keine andere Wahl”
Der Antrag wird in weiterer Folge von der Stadt Wien und den Behörden geprüft. Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer sind laut Wien Energie ebenfalls Mitglieder der Preiskommission. “Wir haben keine andere Wahl. Das sind die bitteren Folgen der weltweiten Energiekrise und beispiellos explodierender Großhandelspreise. Die Teuerung wurde durch die russische Invasion in der Ukraine weiter zugespitzt – es ist leider keine Entspannung der Preis-Lage in Sicht”, begründete Michael Strebl, der Vorsitzende der Wien-Energie-Geschäftsführung, den Schritt.
Bereits seit Herbst 2021 hätten sich massive Preissteigerungen an den Energiegroßhandelsmärkten gezeigt, der Ukraine-Krieg habe diese Entwicklung noch einmal verstärkt. Im Großhandel haben sich laut Wien Energie die Gaspreise im Vergleich zum Vorjahr vervielfacht, der österreichische Gaspreisindex stieg gegenüber Juni 2021 demnach um mehr als 420 Prozent. Die Fernwärme wird in Wien mehrheitlich aus Gas gewonnen, weshalb nun auch dieser Preis steigt.
Betroffene zahlen um 92 Prozent mehr
Wird dem Antrag stattgegeben, wird sich der Fernwärmepreis zur kommenden Heizsaison mit plus 92 Prozent in etwa verdoppeln. Zuletzt wurden die Preise 2016 erhöht. Nun sei der Schritt allerdings “ohne Alternative”, wurde beteuert. Auch die effiziente Erzeugung in den Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sowie die Nutzung der Wärme aus der Müllverbrennung und industrieller Abwärme könnten die Preis-Entwicklungen nicht mehr ausreichend abfedern.
“Es gibt nichts zu beschönigen. Die Preiserhöhung ist drastisch, aber es gibt nur einen Weg: Wir müssen raus aus Gas. Das gelingt nur durch massive Investitionen in erneuerbare Wärme. Dafür brauchen wir ausreichend wirtschaftliche Stabilität und müssen finanzielle Verluste vermeiden”, sagte Strebl. Bis 2040 soll die Fernwärme in Wien klimaneutral werden und damit auch unabhängig von teuren Gas-Importen sein.
FPÖ: “Unfassbarer Skandal”
Sowohl von der Wiener Landespartei der ÖVP als auch der FPÖ hagelte es für das Vorhaben der Wien Energie GmbH, deren Eigentümerin die Stadt Wien ist, Kritik. „Wir dachten nicht, dass die Überlegungen einer Preiserhöhung der Fernwärme tatsächlich umgesetzt werden. Wo bleibt hier die vielbeschworene soziale Gerechtigkeit der Wiener SPÖ?“, so Landesparteiobmann Stadtrat Karl Mahrer und Klubobmann Markus Wölbitsch in einer ersten Reaktion.
Als „unfassbaren Skandal“ bezeichnet der Wiener FPÖ-Chef, Stadtrat Dominik Nepp, den Plan. “Viele Bürger werden sich künftig entscheiden müssen, ob sie sich etwas zu essen kaufen oder warm duschen können – und dafür ist die SPÖ Wien voll verantwortlich”, so Nepp, der von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) einen “sofortigen Stopp dieser roten Preistreiberei verlangt”.
AK warnt vor Armut in vielen Haushalten
„Die Menschen kämpfen derzeit schon massiv mit den gestiegenen Preisen für Energie, Wohnen und Lebensmittel. Mit einer Verdoppelung der Fernwärmepreise drohen viele Haushalte in die Armut abzurutschen. Das muss verhindert werden“, äußerte sich auch Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl am Mittwoch.
Die AK Wien wird im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Antrag der Wien Energie auf Erhöhung des Höchstpreises für Fernwärme genauestens prüfen. Im Rahmen des Preisgesetzes kann die AK Wien eine Stellungnahme abgeben, allerdings steht ihr in der Preiskommission gemäß Preisgesetz nur ein Anhörungsrecht zu.
“Wer kann sich das noch leisten?”
Kunden, für die die finanzielle Mehrbelastung schwer zu stemmen ist, können sich an die Wien-Energie-Ombudsstelle wenden. Die Ressourcen dort würden bis zum Herbst zusätzlich aufgestockt, wurde seitens des Unternehmens versprochen. Für die betroffenen Wiener, denen aufgrund der Preisexplosionen in anderen Lebensbereichen immer weniger Geld im Monat bleibt, nur ein schwacher Trost.
Im Netz herrschte bereits Dienstagabend, als die Kronen Zeitung zuerst berichtete, Empörung und Verzweiflung unter vielen Nutzern. Dass in gefühlt allen Lebensbereichen mittlerweile alles teurer wird, die Löhne hingegen gleich bleiben, stößt vielen sauer auf. “Ihr seid echt nicht mehr dicht ! Alles wird unglaublich teuer aber die Löhne bleiben gleich wie soll man da noch leben?”, fragt sich etwa eine Facebook-Nutzerin.
(mst/apa)
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