Dienstag, Oktober 8, 2024

Kalt und immer kälter

Anstatt über die zweithöchste Inflationsrate und deren Folgen zu diskutieren, debattiert Österreich lieber übers Skifahren und rät zur Sparsamkeit. Auf wirkungsvolle Maßnahmen wartet man weiterhin vergeblich.

Während die Weihnachtsdeko verräumt ist und die ersten Neujahrsvorsätze schon wieder gebrochen sind und man langsam wieder im stressigen Arbeitsalltag ankommt, hat sich für viele von uns absolut gar nichts verändert. Im Gegenteil. Der Einkauf ist schon wieder teurer geworden, die nächste Mieterhöhung flattert ins Haus. Hier ein paar Euro, dort ein paar. Ständig. So geht es seit Monaten dahin. Warum? Weil wir dank unserer Regierung die zweithöchste Inflation im EU-Raum haben. Nur knapp überholt von der Slowakei.  

Keine wirkungsvollen Maßnahmen

In Österreich wollte die Regierung keine Maßnahmen setzen, die einflussreiche Menschen verärgern könnten. Das ging, weil diese Regierung uns Österreicher und Österreicherinnen kennt. Wir sind ein Menschenschlag, der sich lange zurückhalt, der leidensfähig ist. Zähne zusammenbeißen, „da müss ma jetzt durch! Nur nicht jammern!“ Wer sich bemüht, schafft das doch! So schlimm kann es nicht sein, wenn die Leute noch immer ins Restaurant gehen oder ein Auto haben oder gar einen Skiurlaub machen, oder? Wir bilden uns die Teuerungen alle nur ein. Und Maßnahmen, dafür ist es doch viel zu spät, das würde jetzt zu lange dauern, bis die wirken, meinte erst letzte Woche unser Herr Arbeitsminister Martin Kocher von der ÖVP.

Da fragt man sich doch ob das alles noch real ist? Da sitzt ein Minister im Interview und erklärt uns allen Ernstes, für Maßnahmen sei es jetzt zu spät. Was hat er die letzten beiden Jahre beruflich so gemacht? Däumchen gedreht? Wirklich darauf gehofft, diese Inflation würde sich ohne das Zutun der Regierung in Luft auflösen? So inkompetent kann die Regierung doch nicht sein.   

Scheindebatten übers Skifahren

Während monatlich der Einkauf immer schwieriger zu stemmen wird, verbeißen sich manche auf Diskussionen darüber, ob skifahren notwendig ist. Da gibt es dann Spartipps wie man diesen Sport billigst ausüben könnte. Da gibt es Diskussionen in den sozialen Netzwerken darüber, dass ein Rucksack mit Tee reicht, ein Pullover und alte Ski, und man halt den Berg raufklettern soll, wenn man sich die Liftkarte nicht leisten kann. Dann kann man den Kindern auch skifahren beibringen. Ich frage mich ehrlich, ob manche Leute überhaupt noch lesen, was sie von sich geben? Natürlich kann man immer alles irgendwie noch billiger und noch günstiger schaffen, man kann sogar zwei Wochen von Kartoffeln leben, in allen Varianten. Man kann bei 11 Grad schlafen. Man kann sogar auf warme Mahlzeiten verzichten. Alles schon gemacht. Aber wisst ihr was: ich empfehle es niemandem. Es ist weder lustig noch sozialromantisch, noch hat es irgendeinen Lerneffekt. Es ist einfach nur notwendiges Übel um durch das Monat zu kommen.  

Nein, ich muss nicht skifahren. Meine Kinder hätten es gern gelernt, aber das war halt nie drin. Ich bin auch keine Verfechterin davon, dass man alles ausprobieren muss. Aber wenn schon die Debatte darüber stattfindet, wie wichtig dieser Sport in Österreich ist, dann sollte man auch nicht vergessen, dass er für den Großteil der Menschen unleistbar geworden ist. Skifahren ist schon lange kein Volkssport mehr, sondern etwas, das Privilegierten vorbehalten bleibt.  

Reale Engpässe statt Skipässe

Anstatt weiter über die unterschiedlichen Preise von Tagespässen zu diskutieren und darüber, was man machen müsste, um es sich leisten zu können (eine Diskussion, die mich übrigens sehr an die “wie billig kannst du kochen” Debatte von vor wenigen Wochen erinnert), sollten wir alle wieder mehr in der Realität ankommen. In dieser geht es nämlich nicht mehr um Tagespässe oder ob eine Ausrüstung neu oder gebraucht sein darf, sondern um ganz banale Dinge wie Miete und Einkauf. Darum, ob man im nächsten Monat die Haushaltsversicherung bezahlen kann oder auslässt. Darum, dass eine kaputte Brille dein Monatsbudget komplett sprengt, dass die Bronchitis deines Kindes dich mehr kostet, als du für den Wocheneinkauf hast. Weil erstens nicht alles über Rezeptgebühr geht und zweitens viele keine Befreiung haben. Es geht um essentielle Dinge. Über die wird aber kaum gesprochen. Weil es in Österreich nicht gehört werden will.  

Es wird kalt und immer kälter. Vielleicht sollten wir daran arbeiten, weniger die Ellbogen auszufahren und Menschen vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben, um durch das Monat zu kommen, sondern mehr darüber sprechen, wo die inflationssenkenden Maßnahmen bleiben. Und darüber, weshalb bei immer mehr Menschen nach dem Geld noch so viel Monat übrig ist. 

Titelbild: Christopher Glanzl

Autor

  • Daniela Brodesser

    Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.

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